Archive for the ‘Das Leben in China’ Category

Kopfstand fürs Glück

Montag, Januar 31st, 2011

Es ist mal wieder soweit-während man zuhause verzweifelt versucht, die öden grauen Tage bis Ostern und dem Frühlingsanfang hinter sich zu bringen, sind die Chinesen ganz aus dem Häuschen: ihr Neujahrsfest ist in vollem Gange!

Und wieder ist es ein wilder Mix aus übrig gebliebenen Weihnachtsbäumen, Santa Claus Postern und Lichtgirlanden, vermischt mit dem üblichen nie enden-wollenden Feuerwerk und den allgegenwärtigen Symbolen des Mondjahres-Wechsels.

Die hängenden Fische, chinesischen Knoten, “verbeugendes Pärchen” Anhänger und Schilder sind einfach überall. Aber diesmal wollen wir ihnen keine Beachtung schenken, sondern uns dem “福”, bzw. “Fu Dao” widmen.

Das Symbol Fu bedeutet Glück und wäre also aus westlicher Sicht gut genug, auf Pappe gemalt und aufgehängt zu werden. Eine Portion Sprudelwasser in die Hand und los geht’s mit dem Feiertagsgefühl!

Herr Li und seine Kumpane haben hier jedoch eine ganz dufte Stufe der Cleverness entwickelt.
Wenn man sich das Bild hier einmal betrachtet, stellt man schnell einen gewissen Unterschied zu dem Symbol von vorhin fest. Und tatsächlich-es steht auf dem Kopf!
‘Klar, Herr Li hat den ein oder anderen Baijiu gepichelt, als er das Haus verdekoriert hat’ mag man da denken. Aber mitnichten-hier steckt in der Tat Absicht dahinter.

An diesem Punkt kommt das “Dao” ins Spiel. Es bedeutet “auf dem Kopf” und beschreibt damit sehr trefflich unser kleines Schild. Mit derselben Aussprache und anderer Schriftform jedoch bedeutet es “ankommen”.
Unser verdrehter Neujahreswunsch meint hier nun also frei übersetzt “möge das Glück hier ankommen”.

Hoffen wir einmal, dass es funktioniert. Ich bin mir sicher, dass man vor zwei Jahren vergessen hat, am Mandarin Oriental Hotel ein Fu Dao anzubringen. Und dann ist es folglich ja auch umgehend während des Abschlussfeuerwerks abgefackelt, um das offizielle Grillgebäude der Stadt zu werden.
Aber dieser Tage wären die ein oder andere Portion Glück nicht schlecht, so ausgefranst es derzeit aussieht. Man hat in der Tat erneut mit den Bauarbeiten begonnen. Bislang weiß niemand wie die neue Fassade aussehen wird. Ich hätte da einen Vorschlag: einfach genau so wieder bauen, nur auf dem Kopf stehend. Das sollte ausreichendes Glück für eine florierende Zukunft sichern.

Frohes Hasenjahr an alle da draussen!

Muße am Schnürchen

Montag, Juli 26th, 2010

Es hat etwas gespenstisches an sich: in kurvigen Bögen stehen kleine flackernde Lichter am Himmel über Beijing.

UFOs? Eingefrorene Sternschnuppen? Morse-Blitze? Ist man ein, zwei Häuserblocks entfernt und kennt man das Szenario noch nicht, dann kann man für diese Erscheinung einfach keine Erklärung finden.

Irgendwann jedoch steht man an einem zumeist größeren Platz, auf den die Lichtsäulen zuzulaufen scheinen. Und dann wird einem klar: Der Herr Li sitzt hier bei einem Feierabendbierchen und gibt mächtig Leine.

Wenn man sich die Zeit nimmt und sich neben ihn setzt, geschieht etwas ganz interessantes und recht seltenes: man entspannt.

Zunächst versucht der eigene Geist noch, dem ganzen mit Logik zu begegnen: Was machen erwachsene Menschen bitteschön abends um diese Zeit (21:00) auf der Straße mit Kinderspielzeug?

Und dann sieht man, wie Herr Li in geübtem Rhythmus kleine LEDs an die Schnur klemmt und die Leine weiter ausrollen lässt. Nur selten muss er aufstehen. Und dann meist nicht, um die Flugbahn seines Drachen zu korrigieren, sondern eher um jungen Flugaspiranten über die ersten Höhenmeter zu helfen. Denn das, so lernt man schnell durch Zusehen, will gelernt sein.

Im Laufe von zwei Stunden steigt die Zahl der modernen Schuppentiere über Peking stark an. Es ist ein windiger Abend und Herr Li und seine Schnurbrüder sind gut gerüstet – mit ihren umgehängten Spulen haben sie verblüffende Ähnlichkeit mit Hochsee-Anglern.

Diese äussert leichtgängigen Leinenwickler haben nichts mehr gemein mit dem um ein Stück Pappe gewickelten Bindfäden europäischer Kindertage. Die Schnur selbst übrigens auch nicht: Ein ultradünnes, erstaunlich belastbares Kunstfaserwerk , das kaum Gewicht auf die Waage bringt. So kann der Drachen deutlich höher steigen, als es in Hamburg oder Berlin erlaubt wäre. In Peking jedoch gibt es keine Hubschrauber und damit sind Entfernungen von mehreren hundert Metern kein Problem.

Auf die Frage, weshalb er hier sitze, sagt Herr Li, an einem solchen Abend müsse man selbstverständlich hier sein. Dies sei ein Drachen Abend quasi. Sprachs und nickt vielsagend. So aus dem Zusammenhang gerissen klingt das erst einmal etwas rätselhaft.

Was Herr Li hier meint, ist, dass man Xiang Qi (eine chinesische Form des Schach) an jedem anderen beliebigen Abend spielen kann.

Wenn es Wind gibt, es warm ist und zudem noch wenig Smog, dann ist Drachenzeit! Wäre ja auch dumm, derartige Verhältnisse nicht zu nutzen.

Als ich mich auf den Weg nach Hause mache, sitzt Herr Li noch immer unverdrossen auf seinem Klappstuhl und regelt munter den Drachenverkehr mit seinen Kollegen als gäbe es kein Morgen.

In der Zeit, in der ich neben ihm saß, hätte ich auch einen Film schauen können. Nur ist man nach einer DVD seltsamerweise niemals so entspannt und geerdet wie nach einer Drachenpartie mit Herrn Li. Am chinesischen Bier liegt das nicht. Vielmehr an der bodenständigen und ruhigen Stimmung. Weniger ist manchmal mehr. Selbst hier im Lande Li.

Die Ordnung der Dinge

Mittwoch, Juli 21st, 2010

A kommt vor B. Und Ü noch V. Cz spricht sich zwar wie “Tsch”, findet sich aber dennoch unter C wieder.

Das Alphabet ist schon toll. Nicht nur ermöglicht es uns die verbale und schriftliche Kommunikation, es lassen sich damit sogar völlig neue Wortkombinationen erstellen. Ein Talent des Alphabets weiss man jedoch erst auf der anderen Seite der Erde zu schätzen: es sorgt für Ordnung.

Der Durchblick im Aktenschrank, CD- oder Bücherregal wäre für viele Menschen nur schwer vorstellbar ohne Alphabet. Es erleichtert auch das Durchgehen der Anwesenheitsliste in der Klasse und sorgt für Übersicht im Handy. Sortierung anhand von Vor- oder Nachname? Ein Klick und man weiß, wen man wo zu suchen -und finden- hat.

Was aber, wenn man nicht Tamara und Aaron einsortieren möchte, sondern 静 und 建国? (wir ignorieren hier einmal die Tatsachen, dass in China freilich nicht nach den Vor-, sondern den Nachnamen sortiert wird – sofern man sie denn so bezeichnen kann)

Auf der Suche nach Antwort laufen wir in eine der üblichen chinesischen Fallen: Man stellt eine direkte Frage wie, sagen wir mal: “wie sortiert ihr eigentlich in China?” und findet sich eine knappe Stunde später am anderen Ende einer recht auslaugenden hitzigen Debatte wieder, an deren nicht abzusehendem Ende keine eindeutige Antwort steht.

Dennoch versuche ich hier einmal eine europäische Zusammenfassung:

Die alten Zeiten (knapp 50 Jahre her) sind gottlob vorbei. Damals hatte so ziemlich jeder seine eigene Art zu sortieren, und wir wollen gar nicht erst versuchen, dort eine irgendwie geartete Logik anzusetzen. Heute findet man offenbar hauptsächlich zwei etablierte Systeme: Die Sortierung nach Aussprache und nach Strichzahl.

Ersteres ist leicht verständlich: 静 wird beim alphabetischen J abgelegt, da es “Jing” ausgesprochen wird. 建国 übrigens auch, weil wir hier ausgesprochen “Jian Guo” hören. Leider konnten meine Recherchen nicht in Erfahrung bringen, ob man wie nach abendländischem Verständis den Jian Guo VOR der Jing ablegt oder ob nach dem Anfangsbuchstaben dann alles chinesisch egal ist. Übrigens sortieren wohl auch die meisten Computer-Systeme auf diese Weise die mit chinesischen Schriftzeichen betitelten Dateien und damit zumindest phonetisch nach Alphabet. Es sei denn, sie tun es nicht, was auch vorkommt. Aber warum das manchmal der Fall ist, darauf konnte nun wieder niemand eine Antwort finden.

Ablege-Variation Nummer 2 bezieht sich auf die Anzahl an Linien, die sich in dem ersten Schriftzeichen befinden. 静 findet sich dann also unter 14 und 建国 unter 8 wieder. Für europäisches Verständnis ist dies eine sehr seltsame Vorgehensweise. Aus chinesischer Sicht jedoch ist das eng daran angelehnt, wie man unbekannte Schriftzeichen im Lexikon nachschlägt.

Da auch Chinesen ein Zeichen nicht aussprechen können, das sie noch niemals gehört haben, zählen sie die Striche im Haupt-Teil des Zeichens (wie man den findet, das erschliesst sich nur Herrn Li und den seinigen). In Lexika kann man sich auf diese Weise relativ rasch an das gewünschte Zeichen heranzählen, nachschauen, wie es ausgesprochen wird und welche Bedeutung es hat. Man ist also an die Verwandtschaft von Wort und Zahl gewöhnt.

Einzig, der ordnungsliebende Herr Meyer fragt sich, wie es sein kann, dass zwei verschiedene Systeme parallel existieren. “Da müsste man ja erst schauen, welches System verwendet wird!”. Ja, genau, Herr Meyer. Und Herr Li fügt beiläufig hinzu “Na und?” und kaut weiter an seinem Hühnerfuss aus der Tüte.

Tja, wenn man “Li” mit Nachnamen heisst, dann ist Ordnung nun einmal nicht das halbe Leben. Macht irgendwie auch nichts, die Chinesen scheinen das gut zu überleben. Unser bürokratischer Herr Meyer hingegen hat seine Fassung noch nicht wieder gefunden und bestellt noch ein Bier. Das wird im Chinesischen übrigens genau wie bei uns im Magen abgelegt. Na, am Ende sind wir eben doch nicht so verschieden. Ganbei!

Hauptgericht als Beilage

Dienstag, Juli 6th, 2010

“So, wir nehmen dann einmal den gebratenen Dingensfisch, diese kleinen scharfen Hühnerteile im Flechtkorb, die grünen Bohnen mit mini-Gehacktem, die grünrosanen kalten Gurken und das Schweinefleisch mit Paprikastreifen. Spatz, was wolltest Du noch gleich dazu haben?”

Herr Meyer blickt von der Karte auf. Seine Frau ist jedoch mit Herrn Johnsons Gattin in eine wichtige Diskussion über das Für und Wider vom Kauf gefälschter Handtaschen vertieft. “Ach ja”, fällt es Herrn Meyer da wieder ein, “Wir bräuchten unbedingt noch diesen Kartoffelberg. Sie wissen schon, die Zwergpommes, quasi. Die sind einfach spitze”.

Der Ober, ein schwippverschwägerter Cousin zweiten Grades von Herrn Lis Tante mütterlicherseits schreibt ordentlich mit und blickt Herrn Meyer dann wieder aufmerksam an. Als dieser nichts weiter von sich gibt und ebenfalls nur abwartend zurück schaut, ist er merklich irritiert. Was er daraufhin von sich gibt, irritiert hingegen nicht nur Herrn Meyer, sondern auch Herrn Johnson. Es würde sogar die anwesenden Damen verwirren, wenn diese denn von ihrem Gespräch abliessen.

“Und als Hauptgericht?”

Herr Meyer ist hilflos. Wohl merkend, dass sich eine peinliche Pause aufzubauen beginnt, versucht er rasend schnell eine Lösung für ein Problem zu finden, das er überhaupt nicht versteht.

“Nun, äh, wir nehmen dann noch das Lamm mit Koriander.” Fast klang es eher fragend als bestimmt. Und als Herr Meyer nun wieder den Ober anschaut, ist seine Unsicherheit recht offensichtlich. Wieviele Gerichte soll er denn hier bestellen, damit das als vollwertige Mahlzeit durchgeht?

Der Ober ist seinerseits ebenfalls etwas hilflos, macht sich dann jedoch schließlich auf den Weg zur Küche. Er muss wieder einmal so eine seltsame Ausländer-Bestellung aufgeben…

Hier haben wir einer Szene beiwohnen dürfen, die sich so oder so ähnlich praktisch täglich in den unzähligen Restaurants dieses Landes ereignet. Unser kulinarisches Quartett aus dem Westen wird später beim Verlassen des Restaurants den Kopf darüber schütteln, dass man in China ständig derart viele Hauptgerichte bestellen muss, dass man sie unmöglich aufessen kann. Der abräumende Ober seinerseits schüttelt auch den Kopf. Und zwar darüber, dass Ausländer so unnachvollziehbar viele Beilagen bestellen, dafür jedoch eine Menge anderes vergessen.

Der Ratz-fatz-schmatz erfahre Leser ahnt es schon: im Lande Li ist wieder mal alles gänzlich anders als bei uns.

Im Westen haben sich die Menschen an eine ganz klare Futterordnung gewöhnt: Steak mit Pommes, Hühnchen mit Reis, Lammkeule mit Frühlingsgemüse, Red Snapper an Salat. Sehr schön nach Schema L wie lecker wird jeweils das tierische Produkt als Hauptspeise und das pflanzliche als Beilage bezeichnet. Ein Nebenprodukt sozusagen und damit nicht so wichtig. Und irgendwie ist das sowieso völlig egal, weil sich ja alles auf einem einzigen Teller tummelt, den ausser dem Besteller sonst niemand anfassen darf.

Vor dem Hauptgericht darf es noch eine kleine Vorspeise geben, und die kann dann so ziemlich alles sein: heiss, kalt, tierischer oder pflanzlicher Natur. Als Speise vor dem Hauptgang hat sie keine nähere Bezeichnung wie Beilagenvorspeise oder Haupt-Hors D’œvre. Und bestellt man keine Vorspeise, stört das niemanden.

In China wird erwartet, dass man sich das Essen zusammenzustellen vermag. Hier wird eben nicht bereits für den Gast alles auf eine Portion hin auf dem Teller arrangiert. Man bestellt jede Speisenkategorie einzeln. Und dann nicht nur einen Komplett-Teller für sich selbst, sondern immer für die Gruppe. Alle Teller kommen in die Mitte auf die Drehplatte und jeder isst von allem. Wenn es denn lecker ist. Und sinnvoll zusammen gestellt.

Es sollte eine Suppe dabei sein, um den Magen anzuwärmen. Etwas kalte Vorspeise (warme gibt es praktisch nicht) sollte da stehen. Und dann eine Reihe von Gerichten, mindestens zwei Fleischkategorien abdeckend. Gemüseteller sind ebenfalls zu ordern. Und dann, ja dann kommen wir zum Hauptgang. Dieser wird entweder durch Reis verkörpert, durch Baozi (Teigbeutel mit Füllung) oder durch Nudeln, also etwas mit Stärke. Der Westler kommt da schon einmal hoffnungslos mit den Begrifflichkeiten durcheinander. Eine kleine Schale blanker Reis – und das ist nun eine Hauptspeise? Da kommt man im Leben nicht drauf, wenn es nicht einer klar stellt.

Tee gehört auch wie selbst verständlich zum Essen. Oder Bier. Klare Wahl. Und bei beiden gilt ein Prinzip: Der Gastgeber (wer das ist, dazu kommen wir gleich) schenkt nach. Wobei genauestens darauf zu achten ist, dass bereits ab knapp über Glas/Becher-Hälfte akuter Nachfüll-Alarm besteht. Der geruhsame Europäer, der gerne sein Glas leert oder sich beim Tee darauf freut, dass dieser ab der Hälfte endlich Trinktemperatur erreicht hat, kommt dabei in Verzehrstress. Viel zu häufig und zu viel trinkt er dann oft, da das Glas ständig gut gefüllt ist.

Wer nachschenkt muss übrigens ausserdem darauf achten, wie er die Teekanne abstellt. Der Hahn darf auf keinen Gast zeigen. Das ist unhöflich, bringt Unglück und läutet das Ende der Welt ein. Komisch nur, dass sich diese Regel ausschliesslich auf die Gäste am eigenen Tisch bezieht. Niemanden stört es, zeigt der Hahn auf 120 andere Menschen im Raum.

Wer als Gastgeber nicht nachschenkt, ist knauserig und kümmert sich nicht um seine Gäste. Wahlweise fällt die Auszeichnung des Pudelkönigs auch einfach auf die jüngere Generation, die sich um die Älteren zu kümmern hat. Egal, wer da jetzt wen einlädt.

Und da sind wir auch schon beim Thema Gastgeber. Nehmen wir an, Herr und Frau Meyer haben Herrn und Frau Johnson angerufen, um sich mit ihnen zum Essen zu verabreden. Aus chinesischer Sicht ist damit die Sache klar: Herr Meyer muss das Restaurant buchen, das Essen auswählen (mindestens zwei Gerichte mehr, als man essen kann), über den Getränkenachschub wachen und letztlich die Rechnung begleichen. Die Aufgabe von Herrn Johnson wäre es, so zu tun, als würde er die Rechnung übernehmen wollen. Dann müsste sich kurz gestritten werden und Herr Meyer behielte die Oberhand, damit Herr Johnson “nächstes Mal lade ich ein” sagen kann.

Das sollte er dann auch. Und dann ginge alles wieder von vorn los. Mit oder ohne Hauptgerichte.

Olé gack gack

Samstag, Juni 19th, 2010

Ja, wer kennt das nicht? Die schönste Zeit des Jahres: Fussball, ein zoschendes Bier auf dem Tisch und…äh, kalte Hühnerfüsse.

Es gibt noch andere Plakate, die Bratfisch, Entenhälse, Schweine-Innereien und Flusskrebse anpreisen. Was ist nur als den guten alten Kartoffelchips geworden, Herr Li?

Was soll’s. Zeit, dass sich was dreht. “Herr Ober…!?”

A Walk in the Park

Samstag, Mai 8th, 2010

Frisches grünes Blattwerk über dem Kopf, zwitschernde Vögel dazwischen, das gelegendliche Vorbei-Tickern eines Fahrrades und vielleicht ein entferntes Rauschen eines Springbrunnens.

Die Füße entweder auf fester dunkler Erde oder leichtem Schotter, die Nase verwöhnt vom Duft der Bäume, Blüten und Laub.

Ein Spaziergang im Park ist etwas magisches. Es dürfte eines der wenigen Dinge sein, die so gut wie jeder liebt. Er lindert die Stresswunden, nährt die Sinne und beruhigt den Geist, um ihn auf die kommende Woche harten Alltages vorzubereiten.

Man könnte sagen, es ist ein Stück Frieden vom Kuchen des Freiraumes um einen herum. Heiei: Das ist mal bedeutungsschwer.

(mehr…)

Match Mama

Mittwoch, April 14th, 2010

Herr Li hat sich heute fein raus geputzt. Hemd und Hose sind gebügelt, die Schuhe blitzen und das Haar ist ordentlich nach maoistischem Vorbild angescheitelt. Er hat die Jacke lässig umgeworfen. Im Moment passt sie nicht – eine ganze Reihe frischer Hunderter besorgt dem Portemonnaie einen ledernen Wohlstandsbauch, und so macht es sich jetzt arg breit in der Seitentasche. Aber die dicke Füllung ist ungemein wichtig. Herr Li geht heute nämlich auf ein Date.

Und bei einem Date in China, ja da zahlt freilich der Mann. Kein politisch korrektes Auseinanderfriemeln der Rechnung – wer hatte jetzt ein Glas Wein mehr, dafür aber bei der 23 nicht so viel von der 18? Und wer hat nun beim Nachtisch den süßeren Charakter bewiesen? So richtig 50/50 kann man den Betrag meist nicht aufteilen… Nein, damit schlägt man sich östlich von Meppen nicht herum. Der Mann beweist Stärke. Er sucht das Restaurant aus, danach das Essen und am Schluss auch selbstverständlich die Scheine aus der Börse.

Die klassische Aufgabe von Madame Wunderbar ist hingegen, sich stundenlang auf Covergirl stylen zu lassen, schüchtern-kokett die Augen zu blinzeln und alles ganz furchtbar interessant zu finden, was Herr Li der Welt mitzuteilen gedenkt. Klare Verantwortlichkeitsbereiche, das hat auch was schönes.

Einzig, Herr Li weiß gar nicht so genau, mit WEM er da heute Abend eigentlich verabredet ist. Dick, dünn, groß, schlau, witzig oder vernarrt in Handtaschen-Kläffer? Er hat nicht den geringsten Schimmer auf seiner hohen Stirn. Dort, wo sich die Sorgenfalten langsam zu kräuseln beginnen, weil der Termin immer näher rückt.

Wer in Europa auf ein Blind Date geht, gilt als recht wagemutig. Und meist wird so es über Annoncen oder Web-Portale vereinbart. Die meisten Blind Dates jedoch werden hintenrum abgehalten. Zum Beispiel kann es sein, dass sich Lutz und Annemarie denken, die Kerstin und der Christoph würden ganz toll zusammenpassen. Und dann vermitteln sie einfach heimlich. “Du, wir gehen am Freitag schön essen, komm doch mit. Da ist auch noch ein Kollege von Lutz dabei. Das soll ein ganz netter sein. Aber ist ganz ‘casual’, wir wollen einfach nur einen schönen Abend haben’. Und –zack– sitzen sich Kerstin und Christoph bei Antipasti gegenüber und schwatzen munter drauflos, weil sie gar nicht wissen, dass sie Teilnehmer eines Blind Dates geworden sind.

Wenn sich Herr Li und Frau Zhang treffen, haben sie diese Zusammenkunft auch nicht selbst vereinbart. Und doch wissen sie, dass es ein Date ist und werden zudem ganz alleine ausgehen. Sie müssen. Da haben sie keine Wahl.
Während sich die beiden völlig fremden Menschen also im Restaurant begrüssen, beleuchten wir einmal das Zustandekommen des heutigen Ereignisses und drehen die Uhr um eine Woche zurück.

Mutter Li steigt aus dem Taxi. Es ist Sonntag Vormittag, die Luft riecht nach Erfolg. Entschlossen lässt sie die Tür hinter sich zufallen. Sie wendet sich dem vor ihr liegenden Yuyuantan Park zu und verliert keine Zeit. Sie weiss genau, wo sie hin will und umschifft alle Hindernisse und Sehenswürdigkeiten geübt und elegant.

Als sie den Viehmarkt erreicht, ist es perfektes Timing. Die Auswahl ist groß, die Konkurrenz traditionell spärlich. Mutter Li öffnet ihre Handtasche und nimmt einen Stapel Papiere heraus. Dokumente und Fotos. Heute wird es funktionieren, das hat sie im Gespür. Sie atmet einmal tief durch und mit dem Scharfsinn eines Jägers visiert sie ein Rudel laut schnatternder Frauen an. “Guten Morgen, die Damen. Wie gehts?”
Das Spiel beginnt.

In den folgenden Stunden werden Frau Li und all die anderen Mütter und Väter eifrig Informationen austauschen. “Meine Tochter ist bildhübsch!” “Mein Sohn hat ein Haus!” “Meiner auch! UND ein Auto!” “Kann ihre Tochter kochen?” “Sicher, mindestens 30 Gerichte. Und nähen kann sie auch.” “Wie sind denn ihre Noten?” “Zeigen Sie mir doch mal die Kontoauszüge von ihrem Sohn” “Erzählen Sie mir etwas über ihre Familiengeschichte”…
Hier wird Zukunft geschmiedet. Und es ist ein gnadenloses Geschäft. Eines, das einen recht hohen Numerus Clausus mit sich bringt.

Wie wir wissen sind die Chinesen sehr abergläubisch und haben für praktisch alles eine Legende. In Zeiten der Tang Dynastie gab es da so einen Gott, der für die Liebe zwischen Mann und Frau verantwortlich war. Yue Lao, der “alte Mann im Mond” besaß das Buch des Schicksals. In diesem waren alle Ehen aller Menschen verzeichnet. Des weiteren hatte er ein rotes Band. Damit konnte er im wahrsten Sinne Verbundenheit erzeugen. Selbst die ärgsten Feinde wurden zu Liebenden, waren sie erst einmal damit verknüpft.

Ob das Steckenpferd der Chinesen zu dieser Zeit seinen Anfang genommen hat – man weiss es nicht. Verkuppeln jedenfalls gehört zu ihnen wie das Baguette zum Franzosen. Yue Lao wird heute jedenfalls nicht benötigt. Mutter Li hat bereits 5 Telefonnummern gesammelt.

Nach einer Stunde Verhandeln ist dies für sie auch normal. Immerhin vertritt sie einen Sohn und hat damit das leichtere Spiel. Knapp 90% der feilbietenden Gemeinde hat Töchter im Angebot. Mutter Li ist es gewohnt, wählerisch zu sein. Und doch ist es eine Kunst. Weil es als unhöflich gilt, ein Date-Angebot abzuschlagen, muss Mutter Li sehr genau taktieren. Nicht zu viel preisgeben und nicht zu schnell. Die Töchtermeute ist lüstern. Zu rasant und unüberlegt giert sie nach Kontakt. Verkuppeln ist alles was zählt, denn die Uhr tickt.
Wer weiblichen Nachwuchs jenseits der 25 hat, strahlt die Entspanntheit einer in der Wüste liegenden Forelle aus. Ab 28 gilt diese als alt. Die Tochter wohlgemerkt, nicht die Forelle. Und bis 30 muss der Enkelnachwuchs das Licht der Welt erblickt haben. Sonst sieht es schlecht aus fürs Wahren des eigenen Gesichts. Wer will schon Nachbarn und Freunden den Eindruck vermitteln, mit dem eigenen Sprössling sei etwas nicht in Ordnung?

Ein Date das hier vermittelt wird, soviel ist mal klar, hat nur einen Zweck: Die beiden Kandidaten sollen sich gefälligst noch zwischen Hauptgang und Dessert für die Ehe entschliessen. Mutter Li nimmt deshalb alles sehr genau. Wenn ihr allzu aufdringliche Kandidaten-Discounter zu unangenehm werden, erfindet sie alternative Wahrheiten. Beispielsweise dass ihr Sohn geschieden sei und nun die zweite Frau suche. Das wirkt immer. Retour-Ware ist nicht gern gesehen.
Zum Glück kann sie sich das leisten. Für Männer gibt es kein Verfallsdatum, nur eine monetäre Hürde. Kann man diese durch entsprechenden Besitz überspringen, ist man in sicheren Gewässern.

Herr Li kann. Ihm gehört ein Apartment, und er hat einen ordentlichen Job. Deshalb hat er auch bereits das ein oder andere muttervermittelte Date hinter sich und steht noch immer mit beiden Füssen auf dem Boden, statt torschlusspanisch mit einem Bein zu knien.

Ausser ihm werden noch viele andere Töchter und Söhne Chinas allwöchentlich mit Verabredungen überrascht, von denen sie vorher nichts geahnt haben. Der reinste Dating-Stress. Und immer droht danach das Debriefing mit den Eltern, die wissen wollen, ob sie nun endlich das Aufgebot bestellen können. Das bedeutet Druck. Und jede Verabredung, bei der nicht umgehend Geigenmusik im Kopf ertönt und tanzende Engel Pirouetten auf Tellern und Gläsern drehen steigert die stille Angst, schwer vermittelbar zu sein.

Muss man denn überhaupt vermittelt werden? Die Frage wirkt halbherzig angesichts der unglaublichen Zahl aus dem Boden sprießender Agenturen. Denn um nichts anderes als das kümmern sich diese. Klar, gibt es die in Europa auch, jedoch sind die hiesigen weniger romantisch verklärt. Hier zählt nicht nur der Charakter und philosophische Weltanschauungen, wie im Westen. Wer hier z.B. sein Einkommen nicht angibt, wird gar nicht erst zugelassen. Es gibt sogar Plattformen, die ausschliesslich Kandidaten ab einer gewissen Zahlungskraft aufnehmen.

Sucht man nach dem Grund für all diese Verkupplungstätigkeiten, heisst es von Seiten Mutter Lis “Unsere Kinder haben nicht genug Zeit, sich einen Partner zu suchen. Sie arbeiten zu viel und zu lange. Ihr gesamter Freundeskreis besteht nur aus Kollegen. Wie sollen sie da jemanden treffen?”
Die Logik ist bestechend. Und auch der überaus individuelle und aufgeklärte Europäer muss eingestehen, dass das Problem nicht unbekannt ist. Mögen die Mittel unterschiedlich sein, die Ziele sind identisch. Und die Chinesen sind der Möglichkeit beraubt, sich in einer Bar oder einem Club kennen zu lernen. Diese gelten auch bei vielen sehr modernen Menschen noch immer als verruchte dunkle Plätze für ebenso dunkle Charaktere. Ein alter Irrglaube, der leider einen bestechend großen Teil der Kandidaten fernhält, obwohl er nicht (mehr) unbedingt der Realität entspricht. Was bleibt, sind Büro und Freunde. Oder eben Agentur, bzw. Mutter und Vater.

Zum Glück zeigt die chinesische Methode Erfolg. Viele Eltern haben genügend Zeit für die Suche und haben dabei keine Berührungsängste. Und nebenbei bemerkt: wer kennt ihre Kinder besser als sie selbst? Ideale Voraussetzungen für Kuppelgespräche also.

Herr Li hatte heute abend ausgesprochen viel Spaß bei der Sache. Das ist nicht immer so, und deshalb ist er besonders erfreut. Als er die junge Dame verabschiedet, sieht er dem Taxi noch eine Weile nach und muss lächeln. Das war wirklich nett. Und am liebsten würde er sie gleich morgen noch einmal treffen. Leider ist das unmöglich, denn morgen ist Samstag, und die Frau Mama hat dafür üblicherweise gleich zwei Termine anberaumt.
Herr Li seufzt und steigt ins Taxi nach Hause. Es ist nun mal nicht leicht, ein Single in Peking zu sein.

Erleuchtung mit Alien Glibber!

Sonntag, Februar 28th, 2010

Am letzten Februartag war Jubiläum. Kein schönes zwar, aber es lässt sich nun mal beim besten Willen nicht übersehen.
Rostlaubig reckt sich das gefallene Ungetüm dem Himmel entgegen, fleckig wie das Fell eines räudigen Strassenköters. Die metallene Haut ist löchrig und vielerorts aufgeplatzt. Die aus ihnen heraus ragenden Stahlstreben formen sich zu bettelnden Händen. Dramatisch und still fragen sie “warum”?

Die Rede ist vom Mandarin Oriental. Dem Gebäude, das Teil des neuen und glorreichen CCTV Komplexes im Herzen Pekings werden sollte.

Im Verlauf des vergangenen Jahres konnte man die Verantwortung für seine verfrühte Abwrackung auf 20 Knallfrösche abschieben, die zur infrage kommenden Zeit entgegen polizeilichen Rates ihrer Böllerneigung frönten. Sie dürfen sich fortan um die Aufteilung der Rechnung im mehrstelligen Millionenbereich kümmern.

Der clevere Leser hat allerdings bereits gemerkt, dass da etwas mit dem Datum nicht stimmen kann. Das Feuerwerk der fünf Sterne Klasse fand am 10. Februar 2009 statt.

Weshalb also erst jetzt das Jubiläum?

Die Antwort ist wie so oft dem Kalendersystem geschuldet. 15 Tage nach dem chinesischen Neujahr findet das Laternenfest statt. Hier verpuffen die letzten eisernen Böller-Rationen im Zuge der neujährlichen Abschlussfeier. Kein Tag für Freunde der Ruhe und des Friedens. Und kein guter Tag für Neubauten wie es scheint.

Am 28. war also wieder Laternenfestival. Und man hat vorgesorgt. So ein Hotel-Barbequeue sollte nicht noch einmal passieren. Schilder ermahnten allerorts, dass Feuerwerk nicht im Stadtzentrum erlaubt sei, nicht in der Nähe von Gebäuden, an Plätzen öffentlichen Interesses und überhaupt irgendwie am besten gar nicht. “No Bölling” Parole könnte man das nennen.

Aber was machen wohl die Milliarden Chinesen, wenn die Verkaufszeltemafia in jeder größeren Strasse im Abstand von wenigen hundert Metern den Explosionsmuskel reizt?
Sie kaufen. Und das kartonweise.

In diesem Jahr gab es landesweit 676 Feuer, und es wurden summa summarum Schäden im Wert von 2 Millionen Yuan angerichtet. Man brüstet sich seltsamerweise damit, dass die Todesrate um 66,7 Prozent geringer war als im Jahr zuvor, nennt dabei vorsorglich aber erstmal keine Zahlen.
Vielleicht ist das auch besser so, denn allein in Guangdong wurden in der finalen Woche bei einer einzigen feuerwerksbedingten Explosion 21 Menschen von der Einwohnerliste gefegt. Das rechnen wir mal besser nicht landesweit hoch.

Dabei ist das Laternenfestival ursprünglich ersonnen, um Leid und Tod fern zu halten, statt es herbei zu holen. Das Böse mit rotem Licht wie von Feuer und dem Krach explodierender Feuerwerkskörper einschüchtern und das Gute hereinlassen, das sollte Glück und Erfolg fürs neue Jahr sichern.

In meinem Bestreben, die Leser dieses Blogs zu den bestinformiertesten dieses Planeten zu machen, habe ich versucht, so viel wir möglich über diesen Tag heraus zu finden. Alles hängt zwar mächtig voller roter Lichtlein, Herrn Lis Vorfahren waren jedoch reiselustige Gesellen und so haben sich die unzähligen historischen Riten und Gebräuche der schier endlosen Regionalkulturen heute stark vermischt.

So recht weiß offenbar niemand mehr, worauf gewisse Traditionen beruhen. Man hätte einen Drachen getötet und wollte dem erzürnten Gott vorgaukeln, die Erde sei bereits im Untergang. Machte man mächtig auf Theater, und das sollte den Gott von seiner Rache absehen lassen. Dass dieser am nächsten Tag beim Blick aus dem Fenster eben diese Erde aber wieder in bester Verfassung vorfinden würde und seine Rache dann halt einen Tag später ausüben könnte, daran hat niemand gedacht. Man bekommt ein gemurmeltes “Frag nicht so viel” zur Antwort.

Aber der Chinese selbst fragt sowieso nicht gern ‘warum’, sondern macht einfach. Bis zum 17. März nicht zum Friseur gehen, weil das dem Onkel Unglück bringen würde? Er weiss auch nicht so recht warum, hält sich aber dran. Zum neuen Jahr Dumplings essen, in denen Münzen versteckt sein könnten? Haben wir immer so gemacht, was soll die Fragerei?

Zugegeben – in Deutschland weiß auch nicht jeder, weshalb es zu Ostern Eier gibt, die angeblich ein Hase bringt. Und zu Weihnachten streiten Kartoffelsalat- und Gansgerichte um die Vorherrschaft bei den Traditionen. Warum? Egal, es schmeckt, warum also nicht?

In Peking jedenfalls isst man anlässlich des Laternenfestes so…äh….Dinger. Ich habe sie der Einfachheit halber und aufgrund ihrer Konsistenz vielsagend ‘Alien Glibber’ getauft. Wer es gerne ekelig mag, kann hier von einem weich gekochten Rinderauge sprechen, das entspräche der Konsistenz. Aber dann mag man nun gar nicht mehr zubeissen.

Freilich steckt auch hinter diesem Brauch eine lange Geschichte voller Drachen, Leid und tapferen Jungfrauen. Diese soll jedoch ein andernmal erzählt werden. Geschmacklich ist die ganze Schose nach einer sehr kurzen Gewöhnungsphase von knapp einem Jahr (man isst die Kollegen nun einmal praktisch nur zu Neujahr) gar nicht so schlecht: einem ausgenudelten Squash Ball nicht unähnlich drückt man die Oberfläche bis fast ganz nach unten durch, bevor die Physik es einem erlaubt ins Innere vorzudringen. Und dort erwartet den Unerfahrenen der farbliche Komplementärkontrast: eine tiefschwarze Masse quillt hervor und vereinnahmt die unschuldig weißen Ränder des Bällchens ohne Zögern.

“Indiana Jones Teil 2″ geistert durch den Kopf. Erinnerungen an eine Kindheit, gebannt vor dem Fernseher sitzend, die VHS Leihkassette im quietschenden Player. Harrison Ford mit Hut und Peitsche an der Tafel des Grauens, auf der sich Affenhirn, Käfer und Schlagen als Delikatesse feilbieten. Der erste Eindruck ist verwandt. Beinahe enttäuschend langweilig jedoch dann die Realität: kein platzender Chitinpanzer, keine grausamen Bitterstoffe attackieren den Gaumen. Stattdessen Entspannung auf der Geschmacksfront: es handelt sich um süße Klebereis-Bällchen mit Sesamfüllung. Und so ungefährlich munden sie dann auch. Eine nette Nachspeise. Ungewohnt, aber nicht unlecker.

Im fröhlich schmatzenden, schnatternden und häufig “Ganbei” rufenden Familienkreise sitzend, kann man dann zum Schluss vor allem eines feststellen: Auch der Westler braucht für Gemütlichkeit kein Warum. Höchstens ein “warum nicht öfter”?

Anmerkung am Rande:
wir haben unsere private Artillerie gänzlich ohne Zwischenfälle und ungeplante Brände von Kulturgut hinter uns bringen können.

Aber wir hatten auch nur zwei ganz kleine Knallerchen aufgefahren…

Sie

Mittwoch, Februar 24th, 2010

Mein lieber Herr Li, heute muss ich mich mal stellvertretend bei Dir entschuldigen.

Ich weiss – Du bist keine Frau, und Du bist auch nur in Einzahl. Trotzdem wirst Du so oft ungerechterweise mit “die” betitelt.

DIE können einfach nichts.
DIE haben keinen Durchblick und DIE sind sowieso nervig, machen ständig alles falsch und könnten ohne UNS überhaupt nicht überleben.

Manchmal ist es geradezu unmöglich ihm aus dem Weg zu gehen, dem liebsten Verbrüderungs-Ritual der Menschheit: Schubladen-denken. Dafür muss man natürlich nicht gleich ins entlegene Ausland fahren, das passiert in jedermanns Alltag. Und doch: fern der Heimat neigt offenbar der Großteil der Menschheit reflexartig zu umfassenderen kathegorischen Grüppchenbildungen.

DIE haben mal wieder die Strasse hier völlig zugeparkt.
Wie kann es sein, dass DIE einfach kein Auto fahren können?

Dabei wird für gewöhnlich das DIE mit dumm und das WIR mit wirklichschlau gleichgesetzt. Ein gar glücklicher Umstand sorgt hier dafür, dass man sich jederzeit auf der Sonnenseite der Intelligenz befindet: Der Sprechende ist immer ein Teil des WIR.

Wenn DIE also in jeder Grünphase jegliche Ampelkreuzung verstopfen, weil DIE sich nicht um rechts-vor-links kümmern, dann sind WIR im Umkehrschluss die Helden des Asphalts. Damit kann man natürlich gut leben.

Das eigentlich Dumme am Label DIE ist aber, dass es eine Differenzierung des Einzelnen verhindert. Und so parken halt mal global alle Chinesen schlecht, nicht nur der Jettakönig, wegen dem man nun 4,23 Meter Umweg machen muss.

Wer ins Ausland geht, befindet sich prinzipiell in der Minderheit. Vielleicht erklärt das, weshalb man so schnell den sozialen Stempel zückt und munter um sich herum Postamt spielt. Wenn einem dabei aber recht schnell die Tinte ausgeht, sollte man einmal hinterfragen, ob man als Jurymitglied so geeignet ist.

Gut, das mit dem Verkehr ist jetzt andererseits ein blödes Beispiel. Parken können die wirklich nicht. Und zwar alle. Und von Vorfahrtslogik haben sie auch noch nie was gehört. Dafür hupen die wie die Irren. Schlimm – denen sollte man gar keinen Führerschein geben!

Huch.

Erinnerungen an die Zukunft

Dienstag, Februar 2nd, 2010

“One World, One Dream” – Das lokalpatriotische Motto der olympischen Spiele 2008.
Dieser Satz, der nach 60Grad erhobenem Tagträumer-Blick in die Ferne klingt, ist im Westen möglicherweise weniger bekannt. In Peking aber, wo vor ziemlich genau eineinhalb Jahren um Medaillen gekämpft wurde, kennt jedes Kind diesen Schlachtruf.

Man sieht ihn noch immer im Strassenbild. Manch im Sonnenlicht verblassender Bauzaun trägt ihn. Es gibt Gebäude, deren Wände weiterhin aufwändig mit den bunten Farben des Events bemalt sind. Störrisch halten sie an ihrem Aufruf zur Einheit fest. Und doch – mit westlichen Augen betrachtet ist es ein trauriges Bild. Es ist ihnen anzusehen, dass sie keine wirkliche Aufgabe mehr haben. Wenig kann so entflügeln wie die Träume von gestern.

Wir leben in Zeiten, in denen der größte Suchmaschinen-Anbieter der Erde und sowohl die chinesische, als auch die amerikanische Regierung um digitale Vormachtstellung kämpfen. Wer darf ungestraft die meisten Daten sammeln und wer wem die größten Denkfilter vorsetzen? Der liberale Mausklicker stellt hier nicht nur den fehlenden gemeinsamen Traum fest, sondern muss einsehen, dass bereits der Anfang des olympischen Ausrufes fern der Realität zu sein scheint. Nach “einer” Welt sieht es derzeit wenig aus.

Herr Meyer findet ja, dass die prä-olympischen Träume nicht nur nicht eingetreten sind, sondern sich der Traum obendrein vertraumatisiert hat. Wo ist die erhoffte Annäherung der Chinesen, die Öffnung in Richtung westlich anerkannter Lebensweisen? Herr Johnson fügt hinzu, dass es danach aussieht, als wäre die Situation nach den Spielen sogar noch desolater als davor und bestellt ärgerlich noch ein Bier.

Und Herr Li? Haben wir je daran gedacht, Herrn Li danach zu fragen?

Herr Li kaut genüsslich den letzten Dumpling durch und blickt Herrn Meyer und Herrn Johnson fragend an. Was die beiden jetzt eigentlich mit ‘desolat’ meinen würden, möchte er wissen. Noch bevor diese allerdings zu bedeutungsschweren Antworten voller Menschenrechte und Freiheit ansetzen können, stellt Herr Li, noch immer schmatzend, seinerseits die Gegendarstellung auf:

Man habe Olympia nach China holen wollen und das hat ja auch geklappt. Dann wollte man der Welt beweisen, welch große Sportnation auf dieser Seite des Kulturäquators schlummert. Und? Man hat doch auch in der Tat die meisten Medaillen abgeräumt! Olympia in China, das war so wie die Fussball WM in Deutschland. Ein großartiges Gefühl des Zusammenhaltes. Patriotisch bis unter die Hutkrempe lag man sich in den Armen und durfte sich endlich einmal nicht so minderwertig und als dritte Welt fühlen.

Deutschland hat 2006 gelernt, dass es in Ordnung ist, wenn man sich in der Öffentlichkeit als Deutscher zu erkennen gibt und dass die eigene Fahne doch gar nicht so schlecht aussieht. Das kam einem Befreiungsschlag gleich.

Für Herrn Li war das mit Olympia ganz ähnlich. Und wen kümmert schon, welches Mädchen welches Lied singt und wieviel Feuerwerk echt oder falsch ist? Wenn Hollywood mal wieder Washington D.C. oder New York explodieren lässt, wackelt in Wirklichkeit doch auch kein einziger Stein. Dennoch fühlen sich alle wunderbar unterhalten. Was zählt, ist die Wirkung. Man hat sich für zwei Wochen als großer Teil der Welt, der “One World” empfinden dürfen. Das und die Führungsposition auf der Medaillenliste war letztlich der “eine Traum” gewesen. Es ist alles eingetreten. Wie da jetzt ‘desolat’ ins Bild passt, das wäre Herrn Li nicht ganz klar.

Herr Meyer und Herr Johnson blicken sich fragend an. Ihnen dämmert, dass sie möglicherweise überprüfen müssen, wo die Wurzeln ihrer Interpretation von “One World, one Dream” liegen. Und doch krempeln sie ihre mentalen Ärmel hoch und begeben sich für die kommende Stunde auf intensives Streit-Terrain.

Die Sonne steht tief über der Hauptstadt. Die Kamera entfernt sich in einem langsamen Schwenk vom Tisch des kleinen Restaurants, in der unsere illustre Gruppe eifrig diskutierend sitzt. Als sie rückwärts durchs Fenster auf die kleine Huton-Gasse schwenkt, dringen die typischen Geräusche einer chinesischen Seitenstrasse an unser Ohr: Das Rauschen des Windes, das entfernte Hupen eines Autos auf der Hauptstrasse, zwei lachende Kinder und das Murmeln der Nachbarn, die sich interessiert über das Aussehen des Kamerakrans unterhalten. Als sich dieser erhebt, huscht vor unserem Auge ein Stück Papier vorbei. Ein Karton, der notdürftig in ein Loch in der Wand geschoben wurde.

Ein paar Meter weiter fällt unser Blick auf fünf farbige Ringe, die ihre besten Zeiten bereits hinter sich haben und langsam aber sicher dem Zahn der Zeit Tribut zollen.

Wir blicken über eine Stadt, deren Gesicht sich durch die olympischen Spiele stark verändert hat. Die IOC Reliquien verschwinden Stück für Stück. Vor unseren Augen aber wuseln Menschen umher, für die Olympia oftmals vor allem eines bedeutet hat: ein gestiegenes Selbstbewusstsein. Und das hat bleibenden Character.

In der Ferne entdecken wir das Birdsnest. An diesem befindet sich dieser Tage eine künstliche Outdoor Skipiste und davor die World Chocolate Wonderland Ausstellung. Man zeigt dem staunenden Publikum Ostereier, Weihnachtsmänner und allerlei anderes erstaunliche fremdländisches aus Schokolade.

Beide Attraktionen bedeuten zweierlei: zum einen der andauernde Versuch, westliche und östliche Kultur aneinander zu gewöhnen. Zum anderen die erstaunliche Tatsache, dass die Regierung dieser Stadt nach wie vor das Ziel verfolgt, die Sportstätten nicht verwaisen zu lassen. Eine schwierige Aufgabe, die manch andere Nation schnell aufgegeben hat.

Unsere Kamera zieht weiter auf, und am Horizont kann man sehr klein ein Stück der chinesischen Mauer entdecken. Ein Zeugnis der fünftausendjährigen Geschichte des Landes. Laut Herrn Li sagte Konfuzius einmal im Schatten dieser: “Wer lange glücklich sein möchte, muss sich oft verändern”. Veränderung aber kommt von innen und ihre Richtung wird auch von dort bestimmt.
Wer glaubt eigentlich ernsthaft, dass diese Richtung zwangsläufig dieselbe ist, wie von ausserhalb erwartet wird?

Mensch, Herr Li – Da haste aber irgendwie auch wieder recht! Prost, Du gelber Halunke. Und jetzt lass uns mal eine Runde singen gehen.

(Deutsch) Authentisch!

Mittwoch, Januar 27th, 2010

“Da musst Du UNBEDINGT mal hin”!

Wenn einem in China dieser Satz über den Weg läuft, kommt er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus dem Mund eines Ausländers. Dieser dürfte sich dann mit verschwörerisch verklärtem Blick in eine Schilderung verleidenschaftlichen, die der folgenden ähnelt:

“Das ist das beste, was Du je gegessen hast. Irre. Einfach irre. Der Laden liegt ganz versteckt, den findet nicht jeder. Ist so ein ziemlich herunter gekommener Schuppen, die haben auch nur vier oder fünf Tische. Also, aufs Klo willst Du da nicht unbedingt gehen, das sag ich Dir. Aber es ist halt einfach völlig authentisch. Wir konnten gar nicht genug bekommen.”

Vom Lexikon als “echt” und “original” bezeichnet, bekommt die kleine lustige Vokabel “authentisch” in China ein schizophrenes Eigenleben, das seine eigene Bedeutung verlebt.
Als Neuling weiß man das noch nicht. Und so pilgern unablässig Frischlinge zu den authentischsten Plätzen der Umgebung und verbreiten anschließend in gutem Glauben die Sawyer’sche Theaterbegeisterung.

Wer etwas länger im Land ist, dürfte einer als authentisch beschriebenen Location relativ wenig Interesse entgegenbringen. Er weiß: Authentisch bedeutet in diesem Zusammenhang hoffnungslos alt, zerfallen und besorgniserregend hygienefrei. Mehr nicht. Es ist erstaunlich, aber es stimmt: mehr nicht!

Aber wer nach China kommt, ist praktisch zwangsläufig auf der Suche nach Unterschieden, dürstet nach Kulturschock und bejubelt jeglichen Kontrast. Sonst hätte man schliesslich auch nach Mallorca fliegen können.
Nein, wenn man schon den weiten Weg auf sich nimmt, dann soll es auch was bringen. Immerhin warten Freunde und Kollegen zuhause auf haareraufende Geschichten. Die Skandalsau in uns allen grunzt nach Futter. Und zur Not wird dem Kontrastregler halt einfach ein wenig nachgeholfen.

Nach einer Weile Aufenthalt sind schließlich alle offensichtlichen Differenzen zwischen hier und daheim abgefeiert. Und was läge also näher, als zum Experten des “echten alten” Chinas zu werden? Dann würde man auch den hier ansässigen Kollegen tolles erzählen können.

Wie wunderbar also, wenn man wieder einen Laden gefunden hat, dessen Interieur von Maos Urgrossvater gestaltet worden sein könnte! Meist ist es auch von diesem das letzte Mal gereinigt worden. Aber das macht die Sache eher noch interessanter und eben erst recht so richtig authentisch.

Man bestellt quer durch die Karte und probiert was das Zeug hält vermeintlich geheimtippsige Getränke ohne Aufdruck von Haltbarkeitsdatum. Keine Sorge – wenn es authentisch ist, dann kann es nicht schädlich sein. Ach wie schön – das ist das echte China! Und das kann man nur finden, wenn man die ganz versteckten Plätze auftreibt.

Komisch eigentlich, dass dann dort abgesehen vom Personal keine Chinesen sind. Der Tipp zu dem Restaurant kam auch nicht von Herrn Li, sondern Herrn Meyer.

Inhaber und Angestellte jener Etablissements haben sich längst mit der wunderlichen Tatsache abgefunden, dass die komischen Ausländer es so haben wollen. Wenn man sie (auf Chinesisch) fragt, geben sie recht schnell und offen zu, dass sie es nicht verstehen und selbst eher woanders dinnieren würden. Aber wenn sich damit ein Geschäft machen lässt, dann bitte sehr. Und die Geschäfte laufen gut.

Die echten Chinesen sitzen dann derweil unweit der Bruchbude in moderner ausgestatteten Restaurants.
Deren Küchengeschichte reicht jedoch Generationen zurück, wie man mit wenig Aufwand erfahren kann. Im Laufe der Dekaden ist man nur in größere und komfortablere Immobilien gezogen, um dem Ansturm der Gäste gerecht zu werden. Dennoch sind jeden Abend alle der unzähligen Tische mehrfach belegt.

Erinnern wir uns an eine bekannte Weisheit: wer im Ausland gute Küche sucht, sollte dort essen, wo die Einheimischen essen.
In die Eingänge dieser Restaurants verirrt sich aber fast nie ein Laowei (spöttisch für “Ausländer”). Viel zu unscheinbar und viel zu wenig authentisch.

Ironischer Weise ist das Restaurant damit das besser versteckte. Und den Herrn Meyers und Johnsons entgeht so das beste Essen. Und das müssten sie WIRKLICH mal probieren!

Am Anschlag (Update)

Mittwoch, Januar 20th, 2010

Gestern morgen kam der Herr Li ganz aufgeregt angelaufen und zeigte mir die nebenstehende Grafik. (Quelle)

Die Luftqualität dieser Stadt, so die zusammengefasste Aussage, verbessere sich deutlich. In 2008 hätte es 274 himmelblaue Tage gegeben und in 2009 immerhin 260.

Das ist ja ein dolles Ding, dachte ich noch so bei mir und schob den Vorhang zur Seite. Draussen bot sich mir indes das gräuliche Bild des Widerspruchs.

Das sah ja nun nicht so wirklich nach einem ‘Blue Sky Day’ aus. Mit Glück konnte man vielleicht 200m weit sehen. Aber man wollte es nicht unbedingt. Denn das, was man da erspähen konnte, blieb besser hinter Vorhängen verborgen.

Damit ein Tag ein ‘Blue Sky Day’ wird, muss sich sein API Wert unter 100 befinden. International wird für diesen Level jedoch nicht die Farbe Blau verwendet, sondern Gelb, was den ampelgeschulten Westeuropäer sogleich aufhorchen lässt.

Blau kommt in der internationalen Tafel nicht vor, so dass der Verdacht nahe liegt, die Farbwahl solle weniger den Himmelston beschreiben, als vielmehr die die Couleur der Tabelle beschönigen. Diese findet der nach Luft schnappende Leser in ihrer Gänze einmal auf der linken Seite.

Und hier sehen wir sehr schön, dass die Palette gen Süden ins Purpurne abrutscht. ‘Lila ist der letzte Versuch’ heisst es doch auch so schön. In diesem Falle ist es wohl der letzte Versuch, Luft zu bekommen. Und dem sah sich der Herr Li gestern ausgesetzt. Völlig ohne es zu merken. Denn wenn man seinen Blick vom Fenster löste, um die gemeldete Zahl der einzigen unabhängigen Luftmesstation Pekings zu betrachten, sah man dieses:

Man mag das zunächst noch für eine hübsche runde Zahl halten, muss dann beim Vergleich mit der Einstufungsliste jedoch mindestens eineinhalb mal stutzen. Dort steht als Oberkante allen Übels “301 – 500: Hazardous”. Das Lexikon sagt dazu “riskant, gefährlich, gewagt” und die kurze freundliche Beschreibung legt nahe, sich weit zu entfernen.

Aber Moment – die Skala geht ‘nur’ bis 500? Für den Exil-Atmer heisst das leider: Höher wird einfach nicht gemessen, der Wert könnte jedoch auch bei 501, 620 oder 2.384 liegen. Man weiss es halt nicht. Und das ist bestimmt auch besser so. Bei dieser Erkenntnis sollte man tunlichst jegliche Schnappatmung vermeiden, denn die geht für gewöhnlich recht tief in die Lunge.

Es drängt sich einem angesichts dieser Teilchenmasse der Verdacht auf, dass der Begriff “verbotene Stadt” schon gar nicht so schlecht gewählt wurde. Und es weckt Verständnis für die unzähligen Chinesen, deren Lungen auf der Strasse unablässig den Auswurf-Knopf bedienen.

Natürlich wollen wir uns zum Abschluss noch einmal die Statistik von oben ansehen (sofern diese noch nicht der Grauschleier befallen hat) – 260 bläuliche Tage sind immerhin zwei Drittel der Zeit. Und das ist in der Tat zu begrüßen. Zwei Gegenfragen hätte ich da nur. 1. Was ist mit den Nächten, sind die dort auch erfasst oder ist das ein cleveres Schlupfloch, um die Zahl zu verbläulichen? Und was ist wohl die durchschnittliche API Menge, wenn an den restlichen 100 Tagen 300 oder mehr API herrschen? Sähe die Statistik noch immer so goldig aus, wenn man diese Zahl wüsste?

Drücken wir einmal die Daumen, dass der Smog bald laut ‘I’m blowing with the wind’ singt. Denn der fegt die Luft üblicherweise wunderbar frei. Wenn auch nur für einen Tag.

UPDATE – Dank Raphael’s freundlichem Kommentar zu diesem Eintrag kennen wir nun auch die von der “Ministry of Environmental Protection of the People’s Republic of China” offiziell gemessene und vermeldete API Zahl: 183.

Nanu, da sind wohl 317 Partikel verloren gegangen. Vielleicht haben die es nicht durch die dicke Luft bis zur Messstation geschafft. Man sieht aber auch so schlecht, wo die ist…

Meckern, Tischkante und das K im TV

Mittwoch, Dezember 30th, 2009

“Gott, dauert das immer so lange hier”?
“Ja, nervig, die haben einfach kein System”.
“Schlimm. Wer’s nicht kann, sollte einfach kein Restaurant aufmachen”.
“Absolut. Eine Frechheit ist das”.
“Übrigens, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt: Meyer”.
“Angenehm, Schulze”.

Wer bei dem obigen, verkürzt dargestellten Dialog ein warmes Gefühl im Bauch spürt und sich am liebsten auch gleich vorstellen möchte, der ist vor allem eines: ein Deutscher.

Göthe sagte schon so schön “Mit dem Wissen wächst der Zweifel”. Und seinen Kindeskindern gereicht das als Mantra. Der Zweifel nährt die Kritik, womit Nörgeln im Allgemeinen, im Speziellen und über alles und jedes zum Selbstverständnis wird. Dabei ist es oft gar nicht so gemeint. Es dient vor allem dazu, eine gemeinsame Basis zu finden, eine Verbindung zwischen zwei Fremden. Du genauso entrüstet wie ich? Klasse, wir Freunde.

Herr Johnson macht das ähnlich. Nur geht es bei ihm über den Pluspol: das gemeinsame Feiern des absolut greatest Day im Life und die Gewissheit, man sei noch nie sowas von fine gewesen. Helau in allen Gassen, da sind die imaginären Pom Poms immer im Anschlag.

Herr Li schlägt ganz andere Töne an. Und zwar wörtlich. Man sollte sich in seiner Gegenwart mit allzu deutschen Beschnüffelungen zurückhalten. Herrn Li irritieren diese, denn er ist es nicht unbedingt gewohnt, sich Fremde durchs Meckern zu Freunden zu machen. Insbesondere wenn man sich in seinem Land aufhält, nimmt er um sich greifende Kritik möglicherweise sogar persönlich.

Für ihn gibt es dagegen zwei sehr etablierte Verbrüderungs-Rituale. Diese bedeuten dem durchschnittlichen Westler einerseits Kopf- und andererseits Bauchschmerzen. Obwohl keines der beiden auch nur im Geringsten etwas mit Kung Fu zu tun hat.

MaotaiphotoVariante 1 ist der 白酒 bzw. Báijiǔ. Wahlweise auch Sagrotan, aber das ist subjektiv. Das Getreide-Schnaps Derivat kommt aus derselben benebelten Ecke wie Korn, Obstler und Vodka. In China ist es DAS Getränk schlechthin. Es gibt den Baijiu in vielen Varianten, sein Alkoholgehalt pendelt je Marke um 55%, sein Preis zwischen Gut und Böse. Und er hat das Wort ‘Ganbei’ geprägt, das viele Ausländer als ‘Prost’ missverstehen. Dabei steht ‘gan’ für ‘machen’ und ‘bei’ für ‘Norden’. “Nach Norden machen” beschreibt in diesem Fall den Glasboden und heisst also “auf Ex”.

Randnotiz: Bitte keinem Chinesen mit ‘Ganbei’ zuprosten und dann nur vorsichtig anschlürfen. Es sorgt für wenig Gegenliebe, wenn dieser den Kopf aus dem Nacken nimmt und feststellt, dass er als einziger sein Glas geleert hat. Trinken ist eine ernste Angelegenheit und vor allem mit traditionell eingestellten Chinesen eng mit Ehre verbunden.

Im Falle von Baijiu ist Ganbei jedoch Programm. Und zwar, bis einer der Teilnehmer die Tischkante von unten sieht. Da darf man sich wieder jung fühlen und an die Trinkspiele der Jugend erinnern. Tags darauf fühlt man sich hingegen meist deutlich gealtert.

(mehr…)

Wo ist denn das jetzt?

Mittwoch, Dezember 9th, 2009

Wenn Herr Müller eine Party gab, hat er früher immer eine eine Karte gemalt, damit Herr Meier und Herr Schultze auch wussten, wo sie hin mussten.
Das war sehr hilfreich.

Nur war die Karte nach einiger Zeit und unzähligen Durchläufen auf dem Kopierer etwas schwer lesbar. Dann mussten Herr Meier und Herr Schultze manchmal anhalten und jemanden fragen.

Müller Junior hat es da heute etwas einfacher. Wenn seine Eltern mal auf einem Kegelausflug sind, schickt er einfach fix einen Link per Google Maps und die Fräuleins Meier und Schultze wissen genau, wo er wohnt. Keine Fragen offen.

Der Segen des Internets liegt für viele in den bestechend einfach zu bedienenden Karten-Applikationen von Google, Microsoft und dergleichen. Auf der Karte suchen, im Satellitenmodus kurz die Optik checken, alles ausdrucken und ab geht’s. Mann kann sich sehr schnell dran gewöhnen.

Bis, ja bis man in China ankommt. Für den nicht der Landessprache mächtigen ergibt sich ein bunter Strauss Probleme, von deren Existenz er nicht einmal zu Albträumen gewagt hat.

nanluoguxiangEin klassischer Fall: Man bekommt noch in Deutschland die Adresse des Büros in Peking geschickt: 南锣鼓巷8号.
Der eigene Rechner vermisst dummerweise den chinesischen Zeichensatz, so dass man nur kleine Quadrate sieht. Wahlweise auch viele Fragezeichen. [wenn dort oben keine chinesisch aussehende Adresse zu lesen steht, ist genau das auf dem PC des geneigten Lesers der Fall]. Man fragt nach und bekommt die Adresse nocheinmal, diesmal in Pinyin Schreibweise, also mit für westliche Augen lesbaren Buchstaben: 8nanluoguxiang.

Chinesiche Wörter werden ohne Leerzeichen aneinander gereiht. Die Dame im Pekinger Büro klatscht also alles zusammen, wie sie es gewohnt ist. Groß- und Kleinbuchstaben gibt es bei ihr ja auch nicht.
Man wundert sich,wie lang der Strassenname ist und ob das ein einziges Wort sei, kopiert ihn aber geschwind in Google Maps. Dort findet man prompt…nichts. “No results found” heisst es und das war’s.
Also wieder Rückfrage im chinesischen Büro. Können die denn ihre eigene Adresse nicht?

(mehr…)

Breadkrümels

Samstag, November 21st, 2009

Die Sonne bricht mit ihrer üblichen Kraft durch die Vorhänge. Selbst die zweite, dickere Lage kann sie nicht davon abhalten, die Nachricht zu überbringen, die ihr so sehr am flammenden Herzen liegt: Guten morgen, es ist Samstag!

Und der Samstag beginnt fast immer gleich – Ein vorsichtiges Blinzeln aus dem Fenster mit der leichten Smog Patina, ein erster Blick auf das dreiundzwanzig Stockwerke tiefer liegende verschlafene Hauptstädtchen.

Alles ist chinesisch still. Das Adjektiv muss sein. Nach deutschen Massstäben wäre es stadtlaut. Wie die Hamburger Innenstadt um 20:03 Uhr etwa, wenn die Läden schliessen und Menschen nach Hause strömen, um ihrem erbeuteten Gut zu huldigen oder in die Restaurants zum Abendessen pilgern. Nicht wirklich ruhig, aber auch kein lärmender Berufsverkehr mehr.

Für die teilverbotene Stadt gilt dieser Zustand als absolute Stille. Der Samstag beginnt also freundlich. Jede Woche. Immer wieder.

Von der verglasten Südseite des Apartments führt der Weg direkt zur Dusche. Das heisst, zunächst noch den Wasserspender anschalten. Kaltes auf gähnenden Magen trinken ist in China ja praktisch verboten.

In jedem Fall aber führt der Weg nicht wie in Deutschland in die Küche zum Wochenend-Schlachtfeld: der Einkaufsliste für den Samstag. Man mag über die 7-Tage Woche arbeitsrechtlich denken, was man will. Aber sie erleichtert den Büroknechten um einen der penetrantesten Stressmomente.

Im Anschluss an epidermialer Furchenzählung und vercremten Restaurationsversuchen dann der einzig herausfordernde Moment des Tages: wohin zum Frühstücken?
Die fernöstliche Umsetzung des Rama Spots von der Gemütlichkeit zuhause scheitert leider an daran, dass es nicht nur keine Rama, sondern auch keine Brötchen gibt. Zumindest keine, die man als solche bezeichnen möchte.

Es gibt zum Glück The Beijinger, That’s Beijing, City Weekend, Time Out und ähnliche monatlich erscheinende Publikationen, die den Expat über die kulinarische Lage der Wahlheimat auf dem Laufenden halten. Da findet sich immer was.

Also raus aus dem Haus und erstmal tief die frische Luft* (Zustand von der Redaktion geändert) eingeatmet. Hallo Welt.

(mehr…)