Herr Li hat sich heute fein raus geputzt. Hemd und Hose sind gebügelt, die Schuhe blitzen und das Haar ist ordentlich nach maoistischem Vorbild angescheitelt. Er hat die Jacke lässig umgeworfen. Im Moment passt sie nicht – eine ganze Reihe frischer Hunderter besorgt dem Portemonnaie einen ledernen Wohlstandsbauch, und so macht es sich jetzt arg breit in der Seitentasche. Aber die dicke Füllung ist ungemein wichtig. Herr Li geht heute nämlich auf ein Date.
Und bei einem Date in China, ja da zahlt freilich der Mann. Kein politisch korrektes Auseinanderfriemeln der Rechnung – wer hatte jetzt ein Glas Wein mehr, dafür aber bei der 23 nicht so viel von der 18? Und wer hat nun beim Nachtisch den süßeren Charakter bewiesen? So richtig 50/50 kann man den Betrag meist nicht aufteilen… Nein, damit schlägt man sich östlich von Meppen nicht herum. Der Mann beweist Stärke. Er sucht das Restaurant aus, danach das Essen und am Schluss auch selbstverständlich die Scheine aus der Börse.
Die klassische Aufgabe von Madame Wunderbar ist hingegen, sich stundenlang auf Covergirl stylen zu lassen, schüchtern-kokett die Augen zu blinzeln und alles ganz furchtbar interessant zu finden, was Herr Li der Welt mitzuteilen gedenkt. Klare Verantwortlichkeitsbereiche, das hat auch was schönes.
Einzig, Herr Li weiß gar nicht so genau, mit WEM er da heute Abend eigentlich verabredet ist. Dick, dünn, groß, schlau, witzig oder vernarrt in Handtaschen-Kläffer? Er hat nicht den geringsten Schimmer auf seiner hohen Stirn. Dort, wo sich die Sorgenfalten langsam zu kräuseln beginnen, weil der Termin immer näher rückt.
Wer in Europa auf ein Blind Date geht, gilt als recht wagemutig. Und meist wird so es über Annoncen oder Web-Portale vereinbart. Die meisten Blind Dates jedoch werden hintenrum abgehalten. Zum Beispiel kann es sein, dass sich Lutz und Annemarie denken, die Kerstin und der Christoph würden ganz toll zusammenpassen. Und dann vermitteln sie einfach heimlich. “Du, wir gehen am Freitag schön essen, komm doch mit. Da ist auch noch ein Kollege von Lutz dabei. Das soll ein ganz netter sein. Aber ist ganz ‘casual’, wir wollen einfach nur einen schönen Abend haben’. Und –zack– sitzen sich Kerstin und Christoph bei Antipasti gegenüber und schwatzen munter drauflos, weil sie gar nicht wissen, dass sie Teilnehmer eines Blind Dates geworden sind.
Wenn sich Herr Li und Frau Zhang treffen, haben sie diese Zusammenkunft auch nicht selbst vereinbart. Und doch wissen sie, dass es ein Date ist und werden zudem ganz alleine ausgehen. Sie müssen. Da haben sie keine Wahl.
Während sich die beiden völlig fremden Menschen also im Restaurant begrüssen, beleuchten wir einmal das Zustandekommen des heutigen Ereignisses und drehen die Uhr um eine Woche zurück.
Mutter Li steigt aus dem Taxi. Es ist Sonntag Vormittag, die Luft riecht nach Erfolg. Entschlossen lässt sie die Tür hinter sich zufallen. Sie wendet sich dem vor ihr liegenden Yuyuantan Park zu und verliert keine Zeit. Sie weiss genau, wo sie hin will und umschifft alle Hindernisse und Sehenswürdigkeiten geübt und elegant.
Als sie den Viehmarkt erreicht, ist es perfektes Timing. Die Auswahl ist groß, die Konkurrenz traditionell spärlich. Mutter Li öffnet ihre Handtasche und nimmt einen Stapel Papiere heraus. Dokumente und Fotos. Heute wird es funktionieren, das hat sie im Gespür. Sie atmet einmal tief durch und mit dem Scharfsinn eines Jägers visiert sie ein Rudel laut schnatternder Frauen an. “Guten Morgen, die Damen. Wie gehts?”
Das Spiel beginnt.
In den folgenden Stunden werden Frau Li und all die anderen Mütter und Väter eifrig Informationen austauschen. “Meine Tochter ist bildhübsch!” “Mein Sohn hat ein Haus!” “Meiner auch! UND ein Auto!” “Kann ihre Tochter kochen?” “Sicher, mindestens 30 Gerichte. Und nähen kann sie auch.” “Wie sind denn ihre Noten?” “Zeigen Sie mir doch mal die Kontoauszüge von ihrem Sohn” “Erzählen Sie mir etwas über ihre Familiengeschichte”…
Hier wird Zukunft geschmiedet. Und es ist ein gnadenloses Geschäft. Eines, das einen recht hohen Numerus Clausus mit sich bringt.
Wie wir wissen sind die Chinesen sehr abergläubisch und haben für praktisch alles eine Legende. In Zeiten der Tang Dynastie gab es da so einen Gott, der für die Liebe zwischen Mann und Frau verantwortlich war. Yue Lao, der “alte Mann im Mond” besaß das Buch des Schicksals. In diesem waren alle Ehen aller Menschen verzeichnet. Des weiteren hatte er ein rotes Band. Damit konnte er im wahrsten Sinne Verbundenheit erzeugen. Selbst die ärgsten Feinde wurden zu Liebenden, waren sie erst einmal damit verknüpft.
Ob das Steckenpferd der Chinesen zu dieser Zeit seinen Anfang genommen hat – man weiss es nicht. Verkuppeln jedenfalls gehört zu ihnen wie das Baguette zum Franzosen. Yue Lao wird heute jedenfalls nicht benötigt. Mutter Li hat bereits 5 Telefonnummern gesammelt.
Nach einer Stunde Verhandeln ist dies für sie auch normal. Immerhin vertritt sie einen Sohn und hat damit das leichtere Spiel. Knapp 90% der feilbietenden Gemeinde hat Töchter im Angebot. Mutter Li ist es gewohnt, wählerisch zu sein. Und doch ist es eine Kunst. Weil es als unhöflich gilt, ein Date-Angebot abzuschlagen, muss Mutter Li sehr genau taktieren. Nicht zu viel preisgeben und nicht zu schnell. Die Töchtermeute ist lüstern. Zu rasant und unüberlegt giert sie nach Kontakt. Verkuppeln ist alles was zählt, denn die Uhr tickt.
Wer weiblichen Nachwuchs jenseits der 25 hat, strahlt die Entspanntheit einer in der Wüste liegenden Forelle aus. Ab 28 gilt diese als alt. Die Tochter wohlgemerkt, nicht die Forelle. Und bis 30 muss der Enkelnachwuchs das Licht der Welt erblickt haben. Sonst sieht es schlecht aus fürs Wahren des eigenen Gesichts. Wer will schon Nachbarn und Freunden den Eindruck vermitteln, mit dem eigenen Sprössling sei etwas nicht in Ordnung?
Ein Date das hier vermittelt wird, soviel ist mal klar, hat nur einen Zweck: Die beiden Kandidaten sollen sich gefälligst noch zwischen Hauptgang und Dessert für die Ehe entschliessen. Mutter Li nimmt deshalb alles sehr genau. Wenn ihr allzu aufdringliche Kandidaten-Discounter zu unangenehm werden, erfindet sie alternative Wahrheiten. Beispielsweise dass ihr Sohn geschieden sei und nun die zweite Frau suche. Das wirkt immer. Retour-Ware ist nicht gern gesehen.
Zum Glück kann sie sich das leisten. Für Männer gibt es kein Verfallsdatum, nur eine monetäre Hürde. Kann man diese durch entsprechenden Besitz überspringen, ist man in sicheren Gewässern.
Herr Li kann. Ihm gehört ein Apartment, und er hat einen ordentlichen Job. Deshalb hat er auch bereits das ein oder andere muttervermittelte Date hinter sich und steht noch immer mit beiden Füssen auf dem Boden, statt torschlusspanisch mit einem Bein zu knien.
Ausser ihm werden noch viele andere Töchter und Söhne Chinas allwöchentlich mit Verabredungen überrascht, von denen sie vorher nichts geahnt haben. Der reinste Dating-Stress. Und immer droht danach das Debriefing mit den Eltern, die wissen wollen, ob sie nun endlich das Aufgebot bestellen können. Das bedeutet Druck. Und jede Verabredung, bei der nicht umgehend Geigenmusik im Kopf ertönt und tanzende Engel Pirouetten auf Tellern und Gläsern drehen steigert die stille Angst, schwer vermittelbar zu sein.
Muss man denn überhaupt vermittelt werden? Die Frage wirkt halbherzig angesichts der unglaublichen Zahl aus dem Boden sprießender Agenturen. Denn um nichts anderes als das kümmern sich diese. Klar, gibt es die in Europa auch, jedoch sind die hiesigen weniger romantisch verklärt. Hier zählt nicht nur der Charakter und philosophische Weltanschauungen, wie im Westen. Wer hier z.B. sein Einkommen nicht angibt, wird gar nicht erst zugelassen. Es gibt sogar Plattformen, die ausschliesslich Kandidaten ab einer gewissen Zahlungskraft aufnehmen.
Sucht man nach dem Grund für all diese Verkupplungstätigkeiten, heisst es von Seiten Mutter Lis “Unsere Kinder haben nicht genug Zeit, sich einen Partner zu suchen. Sie arbeiten zu viel und zu lange. Ihr gesamter Freundeskreis besteht nur aus Kollegen. Wie sollen sie da jemanden treffen?”
Die Logik ist bestechend. Und auch der überaus individuelle und aufgeklärte Europäer muss eingestehen, dass das Problem nicht unbekannt ist. Mögen die Mittel unterschiedlich sein, die Ziele sind identisch. Und die Chinesen sind der Möglichkeit beraubt, sich in einer Bar oder einem Club kennen zu lernen. Diese gelten auch bei vielen sehr modernen Menschen noch immer als verruchte dunkle Plätze für ebenso dunkle Charaktere. Ein alter Irrglaube, der leider einen bestechend großen Teil der Kandidaten fernhält, obwohl er nicht (mehr) unbedingt der Realität entspricht. Was bleibt, sind Büro und Freunde. Oder eben Agentur, bzw. Mutter und Vater.
Zum Glück zeigt die chinesische Methode Erfolg. Viele Eltern haben genügend Zeit für die Suche und haben dabei keine Berührungsängste. Und nebenbei bemerkt: wer kennt ihre Kinder besser als sie selbst? Ideale Voraussetzungen für Kuppelgespräche also.
Herr Li hatte heute abend ausgesprochen viel Spaß bei der Sache. Das ist nicht immer so, und deshalb ist er besonders erfreut. Als er die junge Dame verabschiedet, sieht er dem Taxi noch eine Weile nach und muss lächeln. Das war wirklich nett. Und am liebsten würde er sie gleich morgen noch einmal treffen. Leider ist das unmöglich, denn morgen ist Samstag, und die Frau Mama hat dafür üblicherweise gleich zwei Termine anberaumt.
Herr Li seufzt und steigt ins Taxi nach Hause. Es ist nun mal nicht leicht, ein Single in Peking zu sein.