Am Anschlag (Update)

Januar 20th, 2010

Gestern morgen kam der Herr Li ganz aufgeregt angelaufen und zeigte mir die nebenstehende Grafik. (Quelle)

Die Luftqualität dieser Stadt, so die zusammengefasste Aussage, verbessere sich deutlich. In 2008 hätte es 274 himmelblaue Tage gegeben und in 2009 immerhin 260.

Das ist ja ein dolles Ding, dachte ich noch so bei mir und schob den Vorhang zur Seite. Draussen bot sich mir indes das gräuliche Bild des Widerspruchs.

Das sah ja nun nicht so wirklich nach einem ‘Blue Sky Day’ aus. Mit Glück konnte man vielleicht 200m weit sehen. Aber man wollte es nicht unbedingt. Denn das, was man da erspähen konnte, blieb besser hinter Vorhängen verborgen.

Damit ein Tag ein ‘Blue Sky Day’ wird, muss sich sein API Wert unter 100 befinden. International wird für diesen Level jedoch nicht die Farbe Blau verwendet, sondern Gelb, was den ampelgeschulten Westeuropäer sogleich aufhorchen lässt.

Blau kommt in der internationalen Tafel nicht vor, so dass der Verdacht nahe liegt, die Farbwahl solle weniger den Himmelston beschreiben, als vielmehr die die Couleur der Tabelle beschönigen. Diese findet der nach Luft schnappende Leser in ihrer Gänze einmal auf der linken Seite.

Und hier sehen wir sehr schön, dass die Palette gen Süden ins Purpurne abrutscht. ‘Lila ist der letzte Versuch’ heisst es doch auch so schön. In diesem Falle ist es wohl der letzte Versuch, Luft zu bekommen. Und dem sah sich der Herr Li gestern ausgesetzt. Völlig ohne es zu merken. Denn wenn man seinen Blick vom Fenster löste, um die gemeldete Zahl der einzigen unabhängigen Luftmesstation Pekings zu betrachten, sah man dieses:

Man mag das zunächst noch für eine hübsche runde Zahl halten, muss dann beim Vergleich mit der Einstufungsliste jedoch mindestens eineinhalb mal stutzen. Dort steht als Oberkante allen Übels “301 – 500: Hazardous”. Das Lexikon sagt dazu “riskant, gefährlich, gewagt” und die kurze freundliche Beschreibung legt nahe, sich weit zu entfernen.

Aber Moment – die Skala geht ‘nur’ bis 500? Für den Exil-Atmer heisst das leider: Höher wird einfach nicht gemessen, der Wert könnte jedoch auch bei 501, 620 oder 2.384 liegen. Man weiss es halt nicht. Und das ist bestimmt auch besser so. Bei dieser Erkenntnis sollte man tunlichst jegliche Schnappatmung vermeiden, denn die geht für gewöhnlich recht tief in die Lunge.

Es drängt sich einem angesichts dieser Teilchenmasse der Verdacht auf, dass der Begriff “verbotene Stadt” schon gar nicht so schlecht gewählt wurde. Und es weckt Verständnis für die unzähligen Chinesen, deren Lungen auf der Strasse unablässig den Auswurf-Knopf bedienen.

Natürlich wollen wir uns zum Abschluss noch einmal die Statistik von oben ansehen (sofern diese noch nicht der Grauschleier befallen hat) – 260 bläuliche Tage sind immerhin zwei Drittel der Zeit. Und das ist in der Tat zu begrüßen. Zwei Gegenfragen hätte ich da nur. 1. Was ist mit den Nächten, sind die dort auch erfasst oder ist das ein cleveres Schlupfloch, um die Zahl zu verbläulichen? Und was ist wohl die durchschnittliche API Menge, wenn an den restlichen 100 Tagen 300 oder mehr API herrschen? Sähe die Statistik noch immer so goldig aus, wenn man diese Zahl wüsste?

Drücken wir einmal die Daumen, dass der Smog bald laut ‘I’m blowing with the wind’ singt. Denn der fegt die Luft üblicherweise wunderbar frei. Wenn auch nur für einen Tag.

UPDATE – Dank Raphael’s freundlichem Kommentar zu diesem Eintrag kennen wir nun auch die von der “Ministry of Environmental Protection of the People’s Republic of China” offiziell gemessene und vermeldete API Zahl: 183.

Nanu, da sind wohl 317 Partikel verloren gegangen. Vielleicht haben die es nicht durch die dicke Luft bis zur Messstation geschafft. Man sieht aber auch so schlecht, wo die ist…

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