Archive for Februar, 2010

Erleuchtung mit Alien Glibber!

Sonntag, Februar 28th, 2010

Am letzten Februartag war Jubiläum. Kein schönes zwar, aber es lässt sich nun mal beim besten Willen nicht übersehen.
Rostlaubig reckt sich das gefallene Ungetüm dem Himmel entgegen, fleckig wie das Fell eines räudigen Strassenköters. Die metallene Haut ist löchrig und vielerorts aufgeplatzt. Die aus ihnen heraus ragenden Stahlstreben formen sich zu bettelnden Händen. Dramatisch und still fragen sie “warum”?

Die Rede ist vom Mandarin Oriental. Dem Gebäude, das Teil des neuen und glorreichen CCTV Komplexes im Herzen Pekings werden sollte.

Im Verlauf des vergangenen Jahres konnte man die Verantwortung für seine verfrühte Abwrackung auf 20 Knallfrösche abschieben, die zur infrage kommenden Zeit entgegen polizeilichen Rates ihrer Böllerneigung frönten. Sie dürfen sich fortan um die Aufteilung der Rechnung im mehrstelligen Millionenbereich kümmern.

Der clevere Leser hat allerdings bereits gemerkt, dass da etwas mit dem Datum nicht stimmen kann. Das Feuerwerk der fünf Sterne Klasse fand am 10. Februar 2009 statt.

Weshalb also erst jetzt das Jubiläum?

Die Antwort ist wie so oft dem Kalendersystem geschuldet. 15 Tage nach dem chinesischen Neujahr findet das Laternenfest statt. Hier verpuffen die letzten eisernen Böller-Rationen im Zuge der neujährlichen Abschlussfeier. Kein Tag für Freunde der Ruhe und des Friedens. Und kein guter Tag für Neubauten wie es scheint.

Am 28. war also wieder Laternenfestival. Und man hat vorgesorgt. So ein Hotel-Barbequeue sollte nicht noch einmal passieren. Schilder ermahnten allerorts, dass Feuerwerk nicht im Stadtzentrum erlaubt sei, nicht in der Nähe von Gebäuden, an Plätzen öffentlichen Interesses und überhaupt irgendwie am besten gar nicht. “No Bölling” Parole könnte man das nennen.

Aber was machen wohl die Milliarden Chinesen, wenn die Verkaufszeltemafia in jeder größeren Strasse im Abstand von wenigen hundert Metern den Explosionsmuskel reizt?
Sie kaufen. Und das kartonweise.

In diesem Jahr gab es landesweit 676 Feuer, und es wurden summa summarum Schäden im Wert von 2 Millionen Yuan angerichtet. Man brüstet sich seltsamerweise damit, dass die Todesrate um 66,7 Prozent geringer war als im Jahr zuvor, nennt dabei vorsorglich aber erstmal keine Zahlen.
Vielleicht ist das auch besser so, denn allein in Guangdong wurden in der finalen Woche bei einer einzigen feuerwerksbedingten Explosion 21 Menschen von der Einwohnerliste gefegt. Das rechnen wir mal besser nicht landesweit hoch.

Dabei ist das Laternenfestival ursprünglich ersonnen, um Leid und Tod fern zu halten, statt es herbei zu holen. Das Böse mit rotem Licht wie von Feuer und dem Krach explodierender Feuerwerkskörper einschüchtern und das Gute hereinlassen, das sollte Glück und Erfolg fürs neue Jahr sichern.

In meinem Bestreben, die Leser dieses Blogs zu den bestinformiertesten dieses Planeten zu machen, habe ich versucht, so viel wir möglich über diesen Tag heraus zu finden. Alles hängt zwar mächtig voller roter Lichtlein, Herrn Lis Vorfahren waren jedoch reiselustige Gesellen und so haben sich die unzähligen historischen Riten und Gebräuche der schier endlosen Regionalkulturen heute stark vermischt.

So recht weiß offenbar niemand mehr, worauf gewisse Traditionen beruhen. Man hätte einen Drachen getötet und wollte dem erzürnten Gott vorgaukeln, die Erde sei bereits im Untergang. Machte man mächtig auf Theater, und das sollte den Gott von seiner Rache absehen lassen. Dass dieser am nächsten Tag beim Blick aus dem Fenster eben diese Erde aber wieder in bester Verfassung vorfinden würde und seine Rache dann halt einen Tag später ausüben könnte, daran hat niemand gedacht. Man bekommt ein gemurmeltes “Frag nicht so viel” zur Antwort.

Aber der Chinese selbst fragt sowieso nicht gern ‘warum’, sondern macht einfach. Bis zum 17. März nicht zum Friseur gehen, weil das dem Onkel Unglück bringen würde? Er weiss auch nicht so recht warum, hält sich aber dran. Zum neuen Jahr Dumplings essen, in denen Münzen versteckt sein könnten? Haben wir immer so gemacht, was soll die Fragerei?

Zugegeben – in Deutschland weiß auch nicht jeder, weshalb es zu Ostern Eier gibt, die angeblich ein Hase bringt. Und zu Weihnachten streiten Kartoffelsalat- und Gansgerichte um die Vorherrschaft bei den Traditionen. Warum? Egal, es schmeckt, warum also nicht?

In Peking jedenfalls isst man anlässlich des Laternenfestes so…äh….Dinger. Ich habe sie der Einfachheit halber und aufgrund ihrer Konsistenz vielsagend ‘Alien Glibber’ getauft. Wer es gerne ekelig mag, kann hier von einem weich gekochten Rinderauge sprechen, das entspräche der Konsistenz. Aber dann mag man nun gar nicht mehr zubeissen.

Freilich steckt auch hinter diesem Brauch eine lange Geschichte voller Drachen, Leid und tapferen Jungfrauen. Diese soll jedoch ein andernmal erzählt werden. Geschmacklich ist die ganze Schose nach einer sehr kurzen Gewöhnungsphase von knapp einem Jahr (man isst die Kollegen nun einmal praktisch nur zu Neujahr) gar nicht so schlecht: einem ausgenudelten Squash Ball nicht unähnlich drückt man die Oberfläche bis fast ganz nach unten durch, bevor die Physik es einem erlaubt ins Innere vorzudringen. Und dort erwartet den Unerfahrenen der farbliche Komplementärkontrast: eine tiefschwarze Masse quillt hervor und vereinnahmt die unschuldig weißen Ränder des Bällchens ohne Zögern.

“Indiana Jones Teil 2″ geistert durch den Kopf. Erinnerungen an eine Kindheit, gebannt vor dem Fernseher sitzend, die VHS Leihkassette im quietschenden Player. Harrison Ford mit Hut und Peitsche an der Tafel des Grauens, auf der sich Affenhirn, Käfer und Schlagen als Delikatesse feilbieten. Der erste Eindruck ist verwandt. Beinahe enttäuschend langweilig jedoch dann die Realität: kein platzender Chitinpanzer, keine grausamen Bitterstoffe attackieren den Gaumen. Stattdessen Entspannung auf der Geschmacksfront: es handelt sich um süße Klebereis-Bällchen mit Sesamfüllung. Und so ungefährlich munden sie dann auch. Eine nette Nachspeise. Ungewohnt, aber nicht unlecker.

Im fröhlich schmatzenden, schnatternden und häufig “Ganbei” rufenden Familienkreise sitzend, kann man dann zum Schluss vor allem eines feststellen: Auch der Westler braucht für Gemütlichkeit kein Warum. Höchstens ein “warum nicht öfter”?

Anmerkung am Rande:
wir haben unsere private Artillerie gänzlich ohne Zwischenfälle und ungeplante Brände von Kulturgut hinter uns bringen können.

Aber wir hatten auch nur zwei ganz kleine Knallerchen aufgefahren…

Sie

Mittwoch, Februar 24th, 2010

Mein lieber Herr Li, heute muss ich mich mal stellvertretend bei Dir entschuldigen.

Ich weiss – Du bist keine Frau, und Du bist auch nur in Einzahl. Trotzdem wirst Du so oft ungerechterweise mit “die” betitelt.

DIE können einfach nichts.
DIE haben keinen Durchblick und DIE sind sowieso nervig, machen ständig alles falsch und könnten ohne UNS überhaupt nicht überleben.

Manchmal ist es geradezu unmöglich ihm aus dem Weg zu gehen, dem liebsten Verbrüderungs-Ritual der Menschheit: Schubladen-denken. Dafür muss man natürlich nicht gleich ins entlegene Ausland fahren, das passiert in jedermanns Alltag. Und doch: fern der Heimat neigt offenbar der Großteil der Menschheit reflexartig zu umfassenderen kathegorischen Grüppchenbildungen.

DIE haben mal wieder die Strasse hier völlig zugeparkt.
Wie kann es sein, dass DIE einfach kein Auto fahren können?

Dabei wird für gewöhnlich das DIE mit dumm und das WIR mit wirklichschlau gleichgesetzt. Ein gar glücklicher Umstand sorgt hier dafür, dass man sich jederzeit auf der Sonnenseite der Intelligenz befindet: Der Sprechende ist immer ein Teil des WIR.

Wenn DIE also in jeder Grünphase jegliche Ampelkreuzung verstopfen, weil DIE sich nicht um rechts-vor-links kümmern, dann sind WIR im Umkehrschluss die Helden des Asphalts. Damit kann man natürlich gut leben.

Das eigentlich Dumme am Label DIE ist aber, dass es eine Differenzierung des Einzelnen verhindert. Und so parken halt mal global alle Chinesen schlecht, nicht nur der Jettakönig, wegen dem man nun 4,23 Meter Umweg machen muss.

Wer ins Ausland geht, befindet sich prinzipiell in der Minderheit. Vielleicht erklärt das, weshalb man so schnell den sozialen Stempel zückt und munter um sich herum Postamt spielt. Wenn einem dabei aber recht schnell die Tinte ausgeht, sollte man einmal hinterfragen, ob man als Jurymitglied so geeignet ist.

Gut, das mit dem Verkehr ist jetzt andererseits ein blödes Beispiel. Parken können die wirklich nicht. Und zwar alle. Und von Vorfahrtslogik haben sie auch noch nie was gehört. Dafür hupen die wie die Irren. Schlimm – denen sollte man gar keinen Führerschein geben!

Huch.

Erinnerungen an die Zukunft

Dienstag, Februar 2nd, 2010

“One World, One Dream” – Das lokalpatriotische Motto der olympischen Spiele 2008.
Dieser Satz, der nach 60Grad erhobenem Tagträumer-Blick in die Ferne klingt, ist im Westen möglicherweise weniger bekannt. In Peking aber, wo vor ziemlich genau eineinhalb Jahren um Medaillen gekämpft wurde, kennt jedes Kind diesen Schlachtruf.

Man sieht ihn noch immer im Strassenbild. Manch im Sonnenlicht verblassender Bauzaun trägt ihn. Es gibt Gebäude, deren Wände weiterhin aufwändig mit den bunten Farben des Events bemalt sind. Störrisch halten sie an ihrem Aufruf zur Einheit fest. Und doch – mit westlichen Augen betrachtet ist es ein trauriges Bild. Es ist ihnen anzusehen, dass sie keine wirkliche Aufgabe mehr haben. Wenig kann so entflügeln wie die Träume von gestern.

Wir leben in Zeiten, in denen der größte Suchmaschinen-Anbieter der Erde und sowohl die chinesische, als auch die amerikanische Regierung um digitale Vormachtstellung kämpfen. Wer darf ungestraft die meisten Daten sammeln und wer wem die größten Denkfilter vorsetzen? Der liberale Mausklicker stellt hier nicht nur den fehlenden gemeinsamen Traum fest, sondern muss einsehen, dass bereits der Anfang des olympischen Ausrufes fern der Realität zu sein scheint. Nach “einer” Welt sieht es derzeit wenig aus.

Herr Meyer findet ja, dass die prä-olympischen Träume nicht nur nicht eingetreten sind, sondern sich der Traum obendrein vertraumatisiert hat. Wo ist die erhoffte Annäherung der Chinesen, die Öffnung in Richtung westlich anerkannter Lebensweisen? Herr Johnson fügt hinzu, dass es danach aussieht, als wäre die Situation nach den Spielen sogar noch desolater als davor und bestellt ärgerlich noch ein Bier.

Und Herr Li? Haben wir je daran gedacht, Herrn Li danach zu fragen?

Herr Li kaut genüsslich den letzten Dumpling durch und blickt Herrn Meyer und Herrn Johnson fragend an. Was die beiden jetzt eigentlich mit ‘desolat’ meinen würden, möchte er wissen. Noch bevor diese allerdings zu bedeutungsschweren Antworten voller Menschenrechte und Freiheit ansetzen können, stellt Herr Li, noch immer schmatzend, seinerseits die Gegendarstellung auf:

Man habe Olympia nach China holen wollen und das hat ja auch geklappt. Dann wollte man der Welt beweisen, welch große Sportnation auf dieser Seite des Kulturäquators schlummert. Und? Man hat doch auch in der Tat die meisten Medaillen abgeräumt! Olympia in China, das war so wie die Fussball WM in Deutschland. Ein großartiges Gefühl des Zusammenhaltes. Patriotisch bis unter die Hutkrempe lag man sich in den Armen und durfte sich endlich einmal nicht so minderwertig und als dritte Welt fühlen.

Deutschland hat 2006 gelernt, dass es in Ordnung ist, wenn man sich in der Öffentlichkeit als Deutscher zu erkennen gibt und dass die eigene Fahne doch gar nicht so schlecht aussieht. Das kam einem Befreiungsschlag gleich.

Für Herrn Li war das mit Olympia ganz ähnlich. Und wen kümmert schon, welches Mädchen welches Lied singt und wieviel Feuerwerk echt oder falsch ist? Wenn Hollywood mal wieder Washington D.C. oder New York explodieren lässt, wackelt in Wirklichkeit doch auch kein einziger Stein. Dennoch fühlen sich alle wunderbar unterhalten. Was zählt, ist die Wirkung. Man hat sich für zwei Wochen als großer Teil der Welt, der “One World” empfinden dürfen. Das und die Führungsposition auf der Medaillenliste war letztlich der “eine Traum” gewesen. Es ist alles eingetreten. Wie da jetzt ‘desolat’ ins Bild passt, das wäre Herrn Li nicht ganz klar.

Herr Meyer und Herr Johnson blicken sich fragend an. Ihnen dämmert, dass sie möglicherweise überprüfen müssen, wo die Wurzeln ihrer Interpretation von “One World, one Dream” liegen. Und doch krempeln sie ihre mentalen Ärmel hoch und begeben sich für die kommende Stunde auf intensives Streit-Terrain.

Die Sonne steht tief über der Hauptstadt. Die Kamera entfernt sich in einem langsamen Schwenk vom Tisch des kleinen Restaurants, in der unsere illustre Gruppe eifrig diskutierend sitzt. Als sie rückwärts durchs Fenster auf die kleine Huton-Gasse schwenkt, dringen die typischen Geräusche einer chinesischen Seitenstrasse an unser Ohr: Das Rauschen des Windes, das entfernte Hupen eines Autos auf der Hauptstrasse, zwei lachende Kinder und das Murmeln der Nachbarn, die sich interessiert über das Aussehen des Kamerakrans unterhalten. Als sich dieser erhebt, huscht vor unserem Auge ein Stück Papier vorbei. Ein Karton, der notdürftig in ein Loch in der Wand geschoben wurde.

Ein paar Meter weiter fällt unser Blick auf fünf farbige Ringe, die ihre besten Zeiten bereits hinter sich haben und langsam aber sicher dem Zahn der Zeit Tribut zollen.

Wir blicken über eine Stadt, deren Gesicht sich durch die olympischen Spiele stark verändert hat. Die IOC Reliquien verschwinden Stück für Stück. Vor unseren Augen aber wuseln Menschen umher, für die Olympia oftmals vor allem eines bedeutet hat: ein gestiegenes Selbstbewusstsein. Und das hat bleibenden Character.

In der Ferne entdecken wir das Birdsnest. An diesem befindet sich dieser Tage eine künstliche Outdoor Skipiste und davor die World Chocolate Wonderland Ausstellung. Man zeigt dem staunenden Publikum Ostereier, Weihnachtsmänner und allerlei anderes erstaunliche fremdländisches aus Schokolade.

Beide Attraktionen bedeuten zweierlei: zum einen der andauernde Versuch, westliche und östliche Kultur aneinander zu gewöhnen. Zum anderen die erstaunliche Tatsache, dass die Regierung dieser Stadt nach wie vor das Ziel verfolgt, die Sportstätten nicht verwaisen zu lassen. Eine schwierige Aufgabe, die manch andere Nation schnell aufgegeben hat.

Unsere Kamera zieht weiter auf, und am Horizont kann man sehr klein ein Stück der chinesischen Mauer entdecken. Ein Zeugnis der fünftausendjährigen Geschichte des Landes. Laut Herrn Li sagte Konfuzius einmal im Schatten dieser: “Wer lange glücklich sein möchte, muss sich oft verändern”. Veränderung aber kommt von innen und ihre Richtung wird auch von dort bestimmt.
Wer glaubt eigentlich ernsthaft, dass diese Richtung zwangsläufig dieselbe ist, wie von ausserhalb erwartet wird?

Mensch, Herr Li – Da haste aber irgendwie auch wieder recht! Prost, Du gelber Halunke. Und jetzt lass uns mal eine Runde singen gehen.