Archive for the ‘Das Leben in China’ Category

Das grüne Blatt im roten Meer

Dienstag, November 17th, 2009

“Ich weiss gar nicht, wie die das machen – das Essen hier ist total ölig und fett. Trotzdem sind alle so unglaublich schlank”.

Abwarten und Tee trinken hilftDiesen Satz habe ich schon öfters gehört und selbst auch nie so wirklich eine Antwort gefunden. Ein Teil der Antwort mag sicher sein, dass sie sich mehr bewegen. Ein anderer, dass sie mehr selber kochen und das aus frischen Zutaten und wenig Fleisch. Süssigkeiten spielen fast keine Rolle, vor allem Schokolade nicht. Aber bei den täglich vollen Restaurants kann all das noch nicht ausreichend erklären, weshalb ein großer Teil der Bevölkerung derart viel schlanker ist, als der durchschnittliche Europäer.

Dank der intensiven Recherche von Ninik und Ferdi sind wir des Rätsels Lösung nun aber auf der Spur. Es scheint, als läge die Antwort im Abwarten und Tee trinken. Zumindest wenn letzteres ein grüner ist.

Grüner Tee ist offensichtlich nicht nur gut gegen Krebs, baut Cholesterin ab und schützt vor Herzerkrankungen. Er kurbelt den allgemeinen Kalorienverbrauch an und verhindert, dass der Körper die unerwünschten Fettmoleküle aus dem Essen aufnimmt und einlagert. Diese machen also sozusagen einen auf Umsatzsteuer und bilden im Körper einen durchlaufenden Posten. Im wörtlichen Sinne.

Grüner Tee und Sojabohnen

Wem das schon bekannt war, dem ist aber vielleicht folgendes neu: Wenn man neben dem grünen Tee auch noch Sojaprodukte in seine Ernährung einbaut, ist einem zusätzlich eine Portion Collagen für Haut, Haare und Nägel gewiss und zwar ganz ohne Einspritzen. Das macht jünger und schöner und ist für ziemlich wenig Geld zu haben.

Wenn man das weiss, wird einem hier zulande so manches klar. Einen McBohne und einen Green Tea Shake bitte!

Ein Herz für Glukose

Mittwoch, Oktober 21st, 2009

Getrocknetes Fleisch in Bonbonpapier, eingeschweisste Tierextremitäten und klebrige Reisbällchen. Der Chinese weiss schon, wie man sich vom Naschen abhält.

Soll schmeckenMilka, Haribo, Toffifee und After Eight – Fehlanzeige. Wie oft schon habe ich mich mit Heisshunger in die Knabberecke stürzen und ohne die geringste Beute wieder hinausschlurfen sehen. Nüsse könnte man da noch kaufen, Vogelfutter und getrocknete Früchte, keinesfalls aber diese Plombenzieher mit Fischgeschmack, gepresstes Sonstwasmuß oder etwas anderes der unzähligen und undefinierbaren abgepackten Tütchen.

Es ist aber auch zum Haare raufen. Selbst wenn man mal einen Snickers oder eine Tüte m&m erspäht (natürlich nur im Ausländer – orientierten Teuershop), dann haben sie Kindergröße. Der Erdnussbeisser ist in etwa halb so groß wie bei uns, ebenso Mars. Twix gibts mal gar nicht und die größten Packungen m&m sind diese kleinen 25g Beutelchen. Beim Eis ist es genauso. Hat man mal ein Magnum erblickt, ist es zum einen schon ein Jahr alt und zum anderen nur halb so groß wie bei uns.

In China isst man einfach nicht gerne süß. Man kann auch niemandem so wirklich eine Freude machen. Selbst wenn man aufwändig aus Deutschland die dicke lila Tafel, das gute Marzipan aus Lübeck oder Mozartkugeln aus Salzburg importiert. Da wird einmal artig abgebissen, der Geschmack für interessant, aber erstaunlich süß definiert und dann stürzen sie sich wieder mit Vorliebe auf ihre Hummerkekse und Leberdrops.

Kein Wunder also, dass das Nachtisch-Angebot hier zulande gleich null ist. Vanille Pudding? Dafür würde ich Herrn Lis Erstgeborenen verschwinden lassen. Selbst Cola gibt es im Supermarkt zum Teil in diesen Mikrodosen, in denen sie früher einmal im Flugzeug ausgeschenkt wurde. Eine ganze 0,33 Dose wäre für manchen einfach zu viel und zu süß.

Dafür allerdings ist Brot hier gezuckert. Ja, muss man jetzt nicht verstehen. ‘Brot’ wie man es bei uns kennt, gibt es eh nicht. Aber das weisse, amerikanisch inspirierte luftige Toastgebäck wird in der Tat gerne noch mit Glasuren überzogen oder mit seltsamen Füllungen angereichert. Red Bean Bread liegt bei uns zuhause immer mal wieder rum, und es ist praktisch ein Hefezopf mit versüßtem Bohnenmuß. Mahlzeit. Gut, dass man an Wurst auch nicht so gut rankommt. Das wäre eine sehr spezielle Mischung.

Wie schön also, wenn man mal auf den Flughäfen der Welt unterwegs sein darf. Dann lacht das Kinderherz. Zumindest wenn es aus Europa kommt. Manchmal kommt es eben doch auf die Größe an.

Schoki fürs Herz

232 API vs. 9k

Sonntag, Oktober 18th, 2009

Es gibt so Dinge, die wollen sich einem einfach nicht erschliessen. An Kurvendiskussion und Sinus/Cosinus erinnere ich mich in diesem Zusammenhang aus meiner Schulzeit. Das war einfach nicht mein Ding. Kurven fand ich klasse und drüber diskutieren war immerhin interessant, aber was unser werter Mathelehrer da vorne wollte, das passte sowenig in meinen Kopf wie das Quadrat ins Dreiecklock.

Genauso gestaltet es sich mit den Maßeinheiten für Luftqualität. API, AQI, PSI und dergleichen errechnen sich auf geheimnisvolle Weise zu gewissen Zahlen, die eine ungemein deutliche Aussagekraft haben. Nunja, wenn man sie denn versteht. Ein viertelstündiges Rumgoogeln hat mich nur wenig erleuchtet, deshalb weiss ich eigenlich nicht so recht, wovon ich hier spreche. Aber das hat mich ja noch nie aufgehalten, den Mund zu öffnen.

Jedenfalls geht es grad um die Feinstaub-Partikel PM2.5, also Teilchen, die kleiner als 2.5micrometer (ungefähr 1/30stel der Dicke eines menschlichen Haares) sind und als die aufgrund ihrer Winzigkeit schlecht gefiltert werden können. Damit dringen sie potenziell am tiefsten in den Organismus ein.

Ein strahlender TagDie Landesregierung in Peking verlautet seit ca. zwei Jahren stetig stolz, wie sehr sich die Luftqualität verbessert. Die Anzahl der ‘Blue Sky Days’ im Jahr nimmt demnach stetig zu, Smog und Schadstoffbelastung dagegen ab. Man gibt sich umwelt- und gesundheitsbewusst und tut was kann.

Ganz Peking ist bestückt mit Messstationen des roten Volkes. Ganz Peking? Nein! Ein von unbeugsamen Amerikanern bevölkertes Botschaftsgebiet hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten. Mit ihrer eigenen Luftmessstation funken sie stündlich Updates über die Feinstaublage ins Twitternetz und informieren auf diese Weise jeden, der alternative Quellen bevorzugt.

BeijingAirDass sich die Zahlen der beiden Quellen nur wenig ähneln, brauche ich sicherlich nicht zu sagen. Wenn sie das nicht täten, hätte es auch keinen Sinn gehabt, diese ganze Story zu erzählen. Für den heutigen Tag beispielsweise sagt die US Botschaft ein Durchschnitts-API von 232 voraus und stempelt das als ‘very unhealthy’ ab. Da noch eine Feinstaubdebatte anzustreben ist praktisch lachhaft. Eine als ‘good’ zu bezeichnende Größe API reicht bis 50. Ab 100 wirds unschön. Unser heutiges 232 ist nur knappe 70 Punkte von ‘hazardous’ entfernt. Da könnte man wahrscheinlich auch gleich direkt durch den Auspuff atmen. Zum frische Luft holen jedenfalls muss man schon nach Drinnen gehen. Empfehlung: Anstrengungen im Freien vermeiden und möglichst längeren Kontakt mit der Aussenluft meiden.

(mehr…)

Des Kaisers neue Kleider

Montag, September 28th, 2009

Ein Dröhnen über den Köpfen, Knattern auf der Straße, Spannung in der Luft. Drei Tage vor dem großen Ereignis steht die Welt kopf im Lande Confuzius. Am Donnerstag wird es soweit sein, dann zeigt China sein strahlendes neues Machtgesicht: Über den Tian’anmen Platz vor der verbotenen Stadt werden tausende Füße marschieren, riesige LKW-Reifen und harte Ketten die Beständigkeit des Asphaltes testen. China wird 60 und alle freuen sich. Gefälligst.

Blumen überall. An jeder Straßenecke, vor jedem großen Gebäude. Blumen, Blumen über Blumen. Meisterlich angeordnet malenMann hast Du 'ne Fahne Blütenblätter farbige Glückwünsche in die florale Pracht. Parolen zur Feier der Republik. Lampions und Fahnen tauchen die Stadt in ein tiefes Rot, das bei so manchem Fremdling Erinnerungen wachrufen, die hier nicht erwünscht sind.

Die große Sicherheit hat zugenommen. Polizei an jeder Ecke, SWAT Teams an den großen Kreuzungen und man blickt in entschlossene Gesichter hinter Stahlhelmen und Repetiergewehren mit aufgestecktem, ungeschützten Bajonett. Gepanzerte Einsatzfahrzeuge mit eingelassenen Schießscharten lassen erahnen, was das Motto des Festes sein dürfte: Wir lassen uns das Feiern nicht vermiesen. Von niemandem. Hossa.

Peking ist durch drei Kontrollringe von der Aussenwelt geschützt. Wer in die Hauptstadt möchte, muss entweder per ID beweisen, dass er dort wohnt oder einen anderen offiziell beglaubigten Grund vorzeigen, um passieren zu dürfen, während ein Rudel Schäferhunde das Fahrzeug nach Sprengstoffspuren abschnüffelt. Ein entfernter Gruß von der alten Transitstrecke. Fremde sind nicht willkommen und als Ausländer ist man gut beraten, zu allem fröhliche Miene zu machen und bestenfalls seinen Pass mit gültigem Visum immer bei sich zu tragen.

Formation über PekingJa, Aufregung schwebt in der Luft. Und viel Stahl. Donnernd und brüllend sind sie vergangenen Montag auf ihrem letzten Testflug an unserem Büro vorbeigekommen: Die formationsfliegenden Düsenjets und Kampfhubschrauber. Endlose Weiten stolzer Aerodynamik mit eingebautem inneren Rolling Stones Soundtrack. Oder dem chinesischen Pendant.

Parallel dazu walzten sich die Kolonnen der Panzer und Raketenträger über die Chang’an Street. In perfekter Koordination. Es geht voran.

Ich hatte das zweifelhafte Glück, Teile der Paradenwagen zu sehen, die sich für einen Testlauf über die abgesperrten nächtlichen Straßen bewegten. Heroische, kommunistisch inspirierte Farben und Formen waren dort zu sehen. Meterhohe Götzenbilder großer Führer der Vergangenheit und Leitbilder für die Zukunft. Atomraketen aus Pappe zeigen, was man kann. Und wer das nicht verstanden hat, wird spätestens am Donnerstag beim Anblick der realen Artillerie zu Gefühlsausbrüchen hingerissen werden. Welcher Art diese sind, dürfte aber sicherlich kulturbedingt sein.

(mehr…)

15 dingens fuffzich

Samstag, August 8th, 2009

Über Geld spricht man nicht. Alte Weisheit, wohl bekannt im Abendland. Und tatsächlich hält man sich zumindest in Deutschland so sehr daran, dass bereits die Frage “wieviel Miete zahlst Du” manchem Zeitgenossen verstopfungs-Pressfalten ins Gesicht zaubert. Nach drei halbherzigen Lachhüstlern wird dann angestrengt nach einem passenderen Thema gesucht: “Heut ist ganz schön draußen.Gestern war’s ja nicht so doll”.

Gut,aber hier liegt eine europäische Tradition zugrunde-meins ist meins und das geht niemanden etwas an.

Bereits auf der uns kulturell nicht allzu entfernten Insel der Pilgrims ist es anders. Hier ist es nicht unhöflich, offen nach dem Jahreseinkommen zu fragen, selbst wenn man die betreffende Person erst 10 min. kennt. Ein Kündigungsgrund für Freundschaften manch Good Old Deutschländer Würstchen.

Der Chinese hat hier ja ein gar cleveres System erdacht. Es trägt den inoffiziellen Arbeitstitel Rate mal im Hosental. Tief vergraben in Beinkleiders Tasch’ liegen sie,die baren Scheine scheinbarer Klarheit um die es hier geht.

Die Zahlen auf ihnen sind so bekannt wie unmissverständlich. Aber schon beim Bezahlenwollen geht es los:

Chinese money

Auf dem Schild steht ¥15.50, der Kassierer verlangt 15Kuai5 und das Hirn fragt sich, ob es um Yuan geht oder nicht. Renminbi seien es natürlich, sagt der touristische Nachbar an der Kasse und doch steht auf seiner Umrechnungstabelle das Kürzel CNY.
Verwirrt reicht man einen 20er (von welcher Währung auch immer). Zurück die Frage, ob man nicht 5Mao hätte. Der sei doch längst staubgewordenes Wertgut grübelt man noch.

Da dieser einem aber wahrscheinlich ungeniert in die Tasche gegriffen hätte, hält man hilflos das Portemonnaie auf. Freund Kassierer zieht griffsicher einen winzigen 5Jiao Schein (den es natürlich auch als Münze gäbe) raus. Das ist nicht nur gleichbedeutend mit 0,50RMB, sondern auch noch ausgerechnet einer der zwei einzigen Scheine eben OHNE das Abbild des Staubkollegen. Äh, logisch also, dass er den meinte…

Der Kassierer jedenfalls schüttelt den Kopf ob so viel ausländischer Dummheit. Er lächelt in sich hinein – Dem Weissbrotkunden könnte er wahrscheinlich eine Handvoll Fen zurückgeben. Der hätte dann schon genug damit zu tun,die verschiedenen Münzgrössen selben Wertes zu sortieren. Geschweige denn, dass er merken würde, zwar die korrekte Summe in Zahlen,aber nur ein Zehntel des Wertes an Wechselgeld bekommen zu haben.

Über Geld reden in China? Kein Problem. Das Kind beim Namen nennen schon eher.

Benimmsisch für Anfänger (3)

Dienstag, März 31st, 2009

Hallo und herzlich Willkommen zum dritten Teil unseres Kurses ‘Wie werde ich ein waschechter Chinese’. Im Verlaufe dieser mehrteiligen Informationsveranstaltung möchten wir Ihnen den Habitus des Mittelreichbewohners nahebringen, um Sie für Ihren Erstbesuch diesseits der Erdkugel zu rüsten und Ihr Auftreten an die lokalen Gepflogenheiten anzupassen.

Unser heutiges Thema: Korrektes Fahrstuhlfahren

‘Ping’ und die Tür geht auf. Aus dem Fahrstuhl mitten in der hamburger Innenstadt steigen zwei Personen aus und gehen zielstrebig ihres Weges. Die davor wartenden 3 Passanten steigen der Reihe nach in die Kabine, drücken den jeweiligen Etagenknopf und stellen sich möglichst weit voneinander auf. Einer der Wartenden geht etwas verzögert hinterher. Er beendet noch schnell einen Telefonanruf mit den Worten ‘Ich muss jetzt schnell in den Fahrstuhl und ruf Dich danach zurück’. Nachdem er an Bord ist, geht 5 Sekunden später die Tür zu und die Gondel nimmt Fahrt auf. Alltag in Deutschland.13 und 14 ?

Richten wir nun den Blick auf den uns allmählich vertrauter werdenden Erdabschnitt. Nach dem bekannten ‘Ping’ passiert zunächst einmal gar nichts. Diese Geisterpings sind normal und man sollte sich besser auf die Stockwerkanzeigen neben der Tür verlassen. Selbst wenn diese nicht immer die korrekte Richtung anzeigen, stimmt zumindest die Stockwerknummer. Wobei, auch das nur bedingt. Zum einen gilt hier das amerikanische Modell, indem das Erdgeschoss als 1 verstanden wird. Und zum anderen existieren für gewöhnlich die Stockwerke 3 und 4 nicht. 13,14 und 23,24 oftmals ebenfalls nicht. Das wird zur Freude der Übersichtlichkeit jedoch überall anders gehandhabt. Ein 40 Stock hohes Haus ist jedenfalls auch schnell mal in Wirklichkeit knapp 10 Stockwerke kürzer. Aber sonst wärs ja auch langweilig.

Szenario 1: Nach einigen weiteren Geisterpings öffnen sich die Türen des Fahrstuhls und die darin befindlichen 9 Personen versuchen verzweifelt entgegen den hereinströmenden Massen die Kabine zu verlassen, was meist mit nur wenigen Blessuren geschafft ist. Die nun hineingedrängten 12 Passanten sind nicht etwa die ersten, die vor den geschlossenen Türen gewartet haben. Die Auswahl entspricht auch keiner anderen Ordnung, sondern entsprigt einzig und allein der Fähigkeit zur schnellen Reaktion und dem Talent, sich vor andere Wartende zu quetschen. Auf dem Weg nach Oben hält der Fahrstuhl noch zweimal und obwohl die letzten bereits bis ganz vorne stehen, drängen sich insgesamt noch drei Personen hinein, zur Not mit Schwung. Wenn man jetzt hinten steht und einen Kaffeebecher in der Hand hat, hilft nur noch die alte Festzelt-Nummer: ab über den Kopf damit. Den eigenen Stockwerkknopf konnte man in der Kabinenfüllzeit von 3 Sekunden nicht drücken und muss so hoffen, dass genügend Menschen vor dem eigenen Stockwerk aussteigen, damit man noch rechtzeitig an die Taste kommt. Was auch hilft, ist ein beherzter Ruf: “Schrr-Arr”, was soviel wie ’12′ bedeutet. Leider hat man dann 14 Augenpaare auf sich gerichtet, nicht selten mit Unverständnis im Blick. Denn was aus dem Mund des Wai-goren, also des Fremden, kommt, kann nur Fremdisch sein, nicht aber Chinesisch. Guten Morgen China.

Szenario 2: Eine Stunde früher als sonst schreitet der Wai-goren auf den Fahrstuhl zu. Die Fläche davor ist einsam und verlassen. Die meisten Menschen befinden sich noch auf dem BusBahnTaxi-Weg zum Büro. Die Fahrstuhltür steht offen, nur eine Person ist darin. Ein Chinese. Er bickt den Wai-goren an, während die Türen zugleiten. ‘Kann der nicht grad mal auf den Öffner drücken?’ denkt sich der Fremdling und hechtet nach vorn, klemmt einen Fuss zwischen die Türen. Beim Einsteigen wird klar, dass der gute Herr Li sehr wohl auf den Knopf gedrückt hat. Allerdings nicht auf den Öffner, sondern auf die ‘Türen schliessen’ Variante. Diesen bearbeitet er jetzt wieder und ist dabei sichtlich frustriert, dass es dieser nervige Wai-goren doch noch geschafft hat. Von peinlicher Berührtheit ob des Tastendrucks keine Spur. Im Gegenteil.Close it!

Was lässt sich aus diesen beiden Szenarien nun ableiten? Zum einen: Sollten Sie in der Nähe des Knopfpanels stehen, drücken Sie bitte immerzu den ‘Schliessenknopf’, sobald sich die Türen geöffnet haben. Bei jedem Stockwerk. Weniger als sechmaliges Dauerfeuern des Knopfes gilt als keinmal und vergeudet die kostbare Zeit der Mitreisenden. Öffnen Sie die Tür für niemanden und warten Sie nicht, bis Sie an der Reihe sind. Sonst kommt die Kabine zum einen niemals in Fahrt und Sie zum anderen niemals in dieselbe hinein.

Wenn Sie Telefonate zu erledigen haben, warten Sie bitte, bis Sie IN dem Fahrstuhl stehen und führen Sie diese dann lautstark, da die Verbindung durch die Metallummantelung oftmals schlecht ist. Stören Sie sich nicht daran, wenn bereits zwei andere Passanten telefonieren. Sie werden lernen, dagegen an zu brüllen. Das gleiche gilt für transportable Spielekonsolen, Gameboys, iPhones und sonstiges Entertainment Zubehör. Die Lautstärke lässt sich immer noch ein wenig nach Oben drehen. So vergehen die endlos langen 15 Sekunden bis zum Ziel angenehmer.

Und niemals, wirklich niemals das Drücken des Türschliessers vergessen.

Frohes Neues! (schon wieder…)

Freitag, Januar 30th, 2009

Kinder, wie die Zeit vergeht! Kaum ist Silvester rum, da steht auch schon der nächste Jahreswechsel vor der Tür.Kawumm

Die gesamte Woche hatte China praktisch zu. Man begnügt sich nicht mit dem schnöden einzelnen Silvestertag wie die Damen und Herren aus dem Abendland. Herr und Frau Li feiern gerne ausgiebig. Ganze sieben Tage dauert das Geböller und Gefeiere. Das sind Weihnachten, Silvester, Ostern und Pfingsten auf einmal.

Bölleralarm in ChinaUnd Knallen wird hier ernst genommen. Was der landläufige Europäer unter einem Chinaböller versteht, werfen hier die Dreijährigen aus den Tuk-Tuks. Das ausgewachsene Schlitzauge hat da ganz anderes Kaliber auf Lager. Und das hat unsereins noch nie gesehen.

Man schreibt jetzt das Jahr des Ochsen. Und zwar auf ganz clevere Weise. Da Zischhhh‘Ochse’ auf Chinesisch ‘Niù’ heisst, liest man überall ‘Happy 牛 Year’. Gesprochen wir das dann natürlich ‘Happy New Year’. Na gut, Herr Li, fein ausgedacht, da darfst Du mit Recht stolz drauf sein.

So schön es auch ist, eine Woche frei zu haben, so wunderbar wird es ab kommenden Montag sein, wenn der siebentägige Angriff auf die gestressten Lauscher ein Ende hat. Also frohes Neues euch allen… Mal wieder!

Neujahrsfeuerwerk vor dem Fenster (WMV, 18MB)

(Deutsch) Benimmsisch für Anfänger (2)

Freitag, Januar 9th, 2009

Hallo und herzlich Willkommen zum zweiten Teil unseres Kurses ‘Wie werde ich ein waschechter Chinese’. Im Verlaufe dieser mehrteiligen Informationsveranstaltung möchten wir Ihnen den Habitus des Mittelreichbewohners nahebringen, um Sie für Ihren Erstbesuch diesseits der Erdkugel zu rüsten und Ihr Auftreten an die lokalen Gepflogenheiten anzupassen.

Unser heutiges Thema: Die Rangfolge im Verkehr. Abschnitt Eins: Der Fussgänger.

Sie kennen das sicher: Mitten im dichtesten Berufsverkehr ist ausgerechnet die Ampel an der größten Kreuzung ausgefallen. Vorsichtig robben Sie sich an den Kreuzungsbereich heran. Wer darf nun zuerst fahren? Die Autos auf der am stärksten befahrenen Straße, die bereits halb auf der Kreuzung befindlichen Radfahrer, die verstreut umher wuselnden Fußgänger oder doch der Bus des örtlichen Verkehrsverbundes?

In Deutschland gibt es da eine recht diffuse Regelung, die eine leichte Rechtslastigkeit aufweist und dann aber doch den Fußgänger irgendwie vorgehen lässt und oftmals keiner so recht weiss, was zu tun ist. Weil nun alles und jeder recht zögerlich agiert, ist eine entampelte Kreuzung der Infarkt für jeden Berufsverkehr.

Lernen wir also wieder einmal von unseren indirekten Nachbarn der Lebenskunst. Diese lösen das Problem ganzheitlich mit einer über die Jahrtausende erprobten Systematik mit dem Namen “Der Dicke darf zuerst”. Diese besagt, dass grundsätzlich derjenige die freie Auswahl hat, der alle anderen plattmachen kann. Also fährt zuerst der 12Tonner, dann der Kipplaster, danach der Bus, anschliessend der Lieferwagen, gefolgt vom Pkw und dem Pferdegespannt, direkt daran das Motorrad, hinter dem das Lastenfahrrad lauert und schlussendlich der Fussgänger. Damit sind keine Verzögerungen zu erwarten und der Verkehrsfluss bleibt ungetrübt.

Für Fussgänger besonders wichtig zu beachten ist die Tatsache, dass Zebrastreifen lediglich farbliche Auflockerungen des grauen Asphalts darstellen und Grünphasen der Ampeln nur signalisieren, dass man sich einer gewissen Umweltproblematik bewusst ist, derer man mit der Rotphase Einhalt gebieten möchte.

Sobald Sie also die asphaltierte Kampfzone betreten, um auf die signalgrüne andere Strassenseite zu gelangen, bewundern Sie bitte ausgiebig die weiterhin unablässig Ihren Fussweg kreuzenden Abbieger. Diese bemühen sich in der Regel redlich, Ihnen die Kunst des 60km/h-ohne-Platz-Fahrens zu demonstrieren und kündigen Ihre Fertigkeiten durch lautes Hupen ab 100m vor Kreuzungsbereich an. Dieses stellt eine beachtliche Leistung dar, die nur durch jahrelanges Nichttrainieren des Kraftwagenlenkens zu erreichen ist und in China als Teil gesellschaftlichen Status gesehen wird.

Honorieren Sie das beeindruckende Schauspiel mit einem Torrero-gleichen Sprung aus der Zielzone. Der Fahrer des Wagens wird Ihnen seinerseits durch das völlige Fehlen jeglicher Tempowegnahme ausreichend Gelegenheit geben, diesem Sprung die entsprechende Dramaturgie zu verleihen. Daraufhin können Sie beide glücklich und zufrieden über die jeweilige Darstellkunst und dem gelungenen Teamwork Ihren weiteren Tagesablauf bestreiten.

Auf ein neues mit Gebrüll

Donnerstag, Januar 1st, 2009

Was tun, wenn Dinner for One ausfällt, weil N3 einfach nicht reinkommt und Fondue und Raclette nicht nur Fremd-, sondern gänzlich unbekannte Wörter sind?

Der aufmerksame Leser hat an dieser Stelle bereits bemerkt, dass es sich um die schwierigste Aufgabe des Kalenderjahres dreht: Was tun, wenn es wieder einmal völlig überraschend und ohne Vorwarnung Silvester ist?

Das völlige Fehlen von Verkaufsständen der Berliner-Mafia kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Moment der kollektiv zelebrierten Schwermut unaufhörlich näher robbt. Von wem möchte man sich in diesem Jahr fahnengestützte Zuneigungsbeschwörungen in die Nase säuseln lassen? Und vor allem wo?

Man könnte versucht sein zu vermuten, dass es anhand fehlender konkurrierender Freundeskreise im Ausland etwas leichter sein dürfte, den Jahresabschied zu planen. Doch mitnichten. Zwar fällt die Entscheidung des ‘mit wem’ deutlich leichter. Nicht jedoch das ‘was & wo’. Jede Sprache hält die passende ‘müssen wir mal sehen’ Floskel bereit.

Das Ende unseres westlichen Kalenderjahres wird hierzulande zwar medium ernst genommen, ist aber kein großer Chinaböller. Denselben lassen Herr und Frau Li nämlich erst in knapp drei Wochen hochgehen. Vorher wird sich maximal einen in den Kopf geknallt. Da so ein Silvesterabend ohne was auf die Ohren aber ödeblöde ist, wagte sich dieser experimentierfreudige Touri in sehr unbekanntest Terrain: Die Peking-Oper, ein fröhliches Potpourri aus Gesang, Instrumentalspiel, Pantomime, Tanz, Akrobatik und Kampftechniken, das den Besetzer von Omas Sofa in Ansätzen an Willy Millowitsches Theater und ähnliche Bühnenstücke erinnert. Die Story ist so einfach wie klassisch: Es wird verliebt, konkurriert, gekämpft und gestorben. Um das zu verstehen, muss man der Sprache nicht mächtig sein.

Die latente Angst vor der Fremdartigkeit des melodischen Repertoires war zum Glück in Teilen unbegründet. Einzig das Sitzfleisch hätte bei knapp drei Stunden Aufführung eine Pause erwartet. Alles in allem eine sehr lohnende Erfahrung, aber eine Erfahrung der Sorte “abgehakt, danke, weiter”.

Video: Die Peking-Oper

Aber so interessant das auch gewesen sein mag, eine ordentliche Party kann es selbstverständlich nicht ersetzen. Also ab in die nächste rollende Miefzelle und in den zu befeiernden Hutong gebrettert. Von dort aus vorsichtig das neue Jahr aus der Verpackung gelöst und dann an alle da draußen folgendes gesendet: ein frohes Neues und alles erdenklich Gute für 2009!

Gut, dass wir verglichen haben!

Freitag, Dezember 26th, 2008

Vor kurzem benötigte Hell Dlalle Unterstützung im Beschallungsbereich. Da er seiner chinesischen Stereoanlage kein Tsching entlocken konnte und sich sowieso lieber von Westphonetik seines iPods berieseln lassen wollte, mussten nun also luderlose Boxen her. Was denken sich also zwei verwöhnte Langnasen? “Fahmama zu Saturn”. Hier durften die zwei wieder einmal mit dem chinesischen Nationalgericht Bekanntschaft machen, dem heiß geliebten Pustekuchen, auch verkürzt “méi yǒu” (‘hamma nich’) ausgedrückt.

Ich möchte nicht sagen, in China sind alle blöd, aber Media Markt oder Saturn sind auch méi yǒu, wie sich der geneigte Leser wohl schon gedacht hat. Was also tun? Taxibuch raus, Thema Elektronik aufgeschlagen und das Ergebnis dem Lenker des nächsten Knoblauchpanzers unter die Fahne gehalten. Doch doch, Kollge, genau da wollen wir hin. Es sei denn, Du hast was besseres im Angebot.

Hatte er nicht. Also gings an unsere Zieladresse. Von einem großen Elektronikkaufhaus war dort allerdings nichts zu sehen. Vielmehr eine Ansammlung kleiner Läden, teilweise unter einem Dach und jeder kaum mehr als 15 Quadratmeter groß. Atmosphärisch irgendwo zwischen Bazar und Messe-Abbau präsentierte sich das ganze wenig vertrauenswürdig.

Immerhin konnte ich zum ersten Mal diverse iPod Fälschungen in Augenschein nehmen (Frechheit!) und so manches in Rente vermutetes PS/2 oder serielles Kabel beäugen. Hell Dlalle fand sogar keine Klangkörper, nachdem wir den Laden kurzerhand per iPod über die Qualität westlicher House-Musik in Kenntnis gesetzt hatten. So wurde es dann auch das etwas weniger schrill aussehende Paar Lautsprecher. Klang einfach besser. Gut, dass wir verglichen haben! Das meinte auch der Verkäufer, der uns bereits im Anflug mit seinen Beratungsfähigkeiten überzeugte: “Hello Sir. Look.”

Zur Galerie

圣诞节快乐 (Merry Christmas)!

Mittwoch, Dezember 24th, 2008

Ich habe noch nie warten können, bis es Heilig Abend war. Meine Eltern können ein Lied davon singen. Das wäre dann wahrscheinlich ‘Ihr Kinderlein kommet’ und war mein Startschuss fürs Pakete aufreissen. (Erstes Paket schon beim ‘r’ von ‘Ihr’ abgehakt). Wie schön also, dass mich die Zeitverschiebung fröhliche sieben Stunden vor meiner angeborenen Zeitzone in diese Lage versetzt.

Und was macht so ein Touri im Land der Weihnachtsunwissenheit? Er trifft sich mit anderen Touris zum gemeinsamen Schmaus, auf dass bei allen bald die Glocken klingeln. Zwei, drei, vier Gänge dürfen es sein und die Gewissheit dazu, dass Weihnachten eine Einstellungssache ist, kein Umgebungsparameter.

Wir werden versuchen, ein wenig Heimat aufleben zu lassen und an euch alle da draussen denken. Feiert schön und freut euch, dass ihr es könnt. Ihr werdet vermisst.

In diesem Sinne: Ein frohes und besinnnliches Fest!

Wedel-Omas mit Trommelzug

Sonntag, Dezember 14th, 2008

Über Mangel an ausdrucksbegeisterten Aktivgruppen kann man sich in Peking wahrlich nicht beklagen. Wir durften schon Tango und Walzer tanzende Zeitgenossen erleben. Heute nun eine verwandte Gattung: Die Wedeloma.

Sie ist der Prototyp der Rave-Schnitte, und ihre Loveparade ist klein, aber wesentlich fundierter als Dr. Mottes Hüpfzug.

Die Wedeloma nimmt ihren Job ernst. Vertreibt sie böse Geister? Nervige Touris? Versucht sie mit ihrem windigen Treiben die Chaostheorie zu begründen? Übt sie für die Weltmeisterschaft der Cheerleader oder ist dies die fortgeführte Abchlussveranstaltung der olympischen Spiele? Wir wissen nicht viel über die Beweggründe der textilbewegenden Tanzerscheinung. Aber wir befinden sie für gut und können nur zum mitmachen auffordern. Denn: wer rastet, der rostet. Auch bei trockener Luft. Und eins und zwei…

Wedelomas – Das Video

Benimmsisch für Anfänger (1)

Montag, Dezember 8th, 2008

Hallo und herzlich Willkommen zum ersten Teil unseres Kurses ‘Wie werde ich ein waschechter Chinese’. Im Verlaufe dieser mehrteiligen Informationsveranstaltung möchten wir Ihnen den Habitus des Mittelreichbewohners nahebringen, um Sie für Ihren Erstbesuch diesseits der Erdkugel zu rüsten und Ihr Auftreten an die lokalen Gepflogenheiten anzupassen.

Unser heutiges Thema: Der korrekte Gruß im öffentlichen Raum.

Höflichkeit und gegenseitige Rücksichtnahme sind unverzichtbare Attribute für ein gesellschaftlich akzeptables Miteinander. Auch im gelben Land mit der roten Fahne wird viel Wert auf eben diese Tugenden gelegt. Die Wertschätzung völlig fremder Mitmenschen erreicht hier für westliche Maßstäbe unbekannte Höhen. Vergessen Sie das Überdecken kleiner Pfützen oder schmutziger Straßenabschnitte mit ihrem Mantel. In China belächelt man derart gutgemeintes Kavaliersverhalten. Hier geht man so weit, den Boden vor Ihnen rein zu waschen. Man möchte Ihnen damit die Stadt zu Füßen legen und wird es Ihnen hoch anrechnen, wenn Sie mit gleicher Münze zurückzahlen. Und das machen Sie wie folgt:

Keine Angst, Sie müssen nicht mit einem Schrubber und einem Eimer Wasser umher wandern. Ähnlich wie in westlichen Kulturkreisen das ‘Küss die Hand’ oder das Ziehen des Hutes zur leichten Andeutung stilisiert wurde, deuten Sie Ihr wohlerzogenes ‘Ich wasche den Boden rein vor Ihnen’ lediglich als simple Höflichkeitsgeste an. Sie schmettern einfach einen möglichst großen Rotzfladen direkt vor die Füße der zu komplimentierenden Person. Hocherfreut wird er seinerseits der Tradition folgen und über den von Ihnen ausgebrachten Gruß steigen, wobei er Sie still und leise für ausgesprochen umgänglich halten wird. Insbesondere, da Sie aus einer fremden, in dieser Hinsicht als unflätig betrachteten Hemisphäre stammen.

Vor Würdenträgern, hochgestellten Persönlichkeiten oder schlicht von Ihnen hochgeschätzten Personen können Sie dieser Geste noch zusätzlich Ausdruck verleihen, indem sie die ‘Materialsammlung’ zu dieser Handlung so geräuschvoll wie möglich gestalten. Geben Sie den Anschein, als müssten Sie Ihre Freundlichkeit beinahe aus den Tiefen Ihrer Fußspitzen zu Tage fördern. Dies entspricht im maoistischen Kulturkreis in etwa unserem ‘Das letzte Hemd geben’. Beachten Sie dabei jedoch die wichtige 5 Sekunden Max-Regel (5smr). Ein durchgängiger Sammelton sollte nach Möglichkeit nicht länger dauern, darf dann jedoch bis zu dreimal wiederholt werden, sollte sich noch keine ausreichende Höflichkeit angesammelt haben. Ein Überschreiten der 5smr wird in der Regel als Heuchelei ausgelegt.

Kennen Sie die Person bereits sehr lange oder möchten Sie sich aufgrund des Umfelds einer legeren Variante bedienen, können sie die Kurzform wählen. Dabei kreuzen Sie den Weg der zu bedenkenden Person und stoßen auf ihrer Augenhöhe einen mittellauten Rülpser aus. Sind Sie jedoch unsicher und fühlen sich auf dem fremden Kniggeparkett noch nicht wohl, binden Sie sich einfach eine OP-Maske um. Dies signalisiert ‘Ich bin mir der fremden Gepflogenheiten bewusst, möchte jedoch keinen Fauxpas begehen und enthalte mich als stiller Beobachter’. Diese Entscheidung wird gemeinhin zumindest außerhalb von Gebäuden akzeptiert und schützt Sie zugleich noch vor Smog und Kälte.

Ja, sie haben ein ausgeklügeltes System, unsere fremden Freunde. Wir können viel von ihnen lernen.

Servicekraft auf Chinesisch

Mittwoch, November 19th, 2008

Ich liebe Shoppen. Habe ich schon immer. Die Möglichkeit, Geld auszugeben, sich selbst etwas Gutes zu tun und der kurze Schockmoment an der Kasse gefolgt vom Kundenkönigsgefühl bei der Plastikübergabe ist ein Kurzurlaub für die Egoistenseele.

Und in Deutschland ist das auch ein Traum. Man darf stundenlang in Ruhe Berge an Klamotten auf den Arm stapeln und solange zwischen Umkleidekabine und der Höhle der Versuchung hin- und her springen wie es einem beliebt. Die auf Ignoranz trainierten Verkäuferinnen lassen den Kunden ordnungsgemäß in Ruhe und bewegen sich nur auf direkte Aufforderung zögernd und ängstlich in seine Nähe. Perfekte Freiheit.

Deshalb gefiel mir das Einkaufen in den USA schon weniger. Im Land der erschlagenden Massen, in dem man oft vergeblich versucht, nur EIN Teil zu kaufen, scheitert man nicht nur an der buy-one-get-one-free Angebotslage. Zu Verkaufsmonstern erzogene Verkäufer scheuchen den irritierten Europäer von einem Service-Planquadrat zum nächsten. Beim Betreten eines jeden dieser Reviere darf man erneut ‘Nein danke, ich möchte nur schauen’ und ‘Oh, das ist wirklich nett, aber ich wollte hier nur so für mich ein wenig gucken’ und ähnliches herunter rezitieren. Es wäre auch wirklich zu viel verlangt, wenn Verkäufer Nr. 4 aus den von dannen trollenden Kollegen auf die Beratungsunwilligkeit des Altkontinentbewohners schließen würde.

In Peking wird die Schraube der Verkaufsdramatik nun aber noch mal deutlich über den Punkt des schwächelnden Gewindes gedreht. Hier existiert das einzige Sales-Bootcamp der Welt wie es scheint: Beim Betreten eines Geschäftes wird von dem anwesenden Warenverbringungspersonal messerscharf folgendes erkannt: 1. “Aha, der arbeitet hier gar nicht” und dadurch unweigerlich 2. “Dann kauft der hier jetzt was, wenn ich im nur unermüdlich klar mache, was er braucht.”

Es beginnt sogleich von drei Seiten der hinterhältige Raptorenbeutezug, und wenn man sich das erste mal umdreht, stehen fröhlich wippend drei wie aus der Pistole chinesisch schnatternde junge Damen vor einem. Die 1,5m hohe Schallmauer wird elegant durch ein bewusst schnell und schlurig ausgesprochenes “OhyouknowIwasjustlookingaround” abgestillt. Panisch realisieren Ming, Ting und Ping, dass sich ihr Englisch auf ‘Hello Sir’ beschränkt und gucken sogleich, als hätten sie die globale Erwärmung zu verantworten. Der doofe Touri denkt noch, er wäre damit am Ende der Diskussion angelangt, als aus der Ecke Jing, angaloppiert kommt. Aha, die Generalübesetzerin. Mit überlegener Miene greift sie sich das gerade vom langnasigen Geldbeutel angeschaute Stück, zeigt drauf und sagt mit selbstgefälligem Lächeln “nice”. –Tjahaaa, Frollein Schlaubischlumpf, genau deshalb habe ich mir das ja auch angesehen, und jetzt kommst Du! Ming, Ting und Ping geben den chinesischen Backgroundchor und schnattern, was das Zeug hält. Man weiss nicht genau was und über wen. Klingt aber nett und das weiterhin fröhliche Gewippe deutet auf kollegiale Freude ob des tollen Fundes in diesem ihrem Geschäft hin.

Von hier aus hat der langsam unruhig werdende Europäer die Wahl zwischen Regen und Traufe. Regen: Urplötzliches mimisches Ablehnen der Ware und fortgesetzter Jagd in schnellem Schritt zwischen Regalen und Tischen zieht den Tross in genau 85,2 cm Entfernung zur eigenen Ferse durch den Laden. Jederzeit bereit, ein von leichtem Interesse gestreiftes Teil hochzuhalten, um Gott für die Kunst des Strickens und Webens zu huldigen. Da kann man nur das Weite suchen.

Traufe (ehrlich passiert): Von einem Anflug des Wahnsinns getrieben nickt man und läutet das Umzugskabinenritual ein. Irritation macht sich auf Kundenseite breit, als sich Ming, des Englischen nicht mächtig, wie wir bereits wissen, mit der Hose voran IN die Umkleidekabine begibt, am Vorhang zu ziehen beginnt und freundlich zum Eintreten auffordert. Die wird doch nicht…? Oh, nein, sie wollte nur zeigen, was die Funktion des Kleiderhakens ist und dass auf dem Boden lederne Adiletten stehen. Puh. Ein höfliches aber unsicheres Lächeln begleitet die Sabbelfee nach draussen. Der Spalt unter dem Vorhang lässt vermuten, dass sie diesen persönlich geschlossen hält, denn man kann ihre Schuhspitzen sehen. Na herrlich, Privatsphäre ist was tolles. Nach dem angsvollen rekordverdächtigen Schnellumzug von einer Hose in die andere weiss Ming sofort, wann sie die Bühne freigeben muss und scheint vor Bewunderung beinahe selbst ein neues Beinkleid zu benötigen. Zumindest rennt sie vondannen.

Sekunden später ist sie wieder da, kniet sich nieder und will zum Glück nicht den guten Sitz der Ware anbeten, sondern nur die Lederletten bestimmend an die Füße schuppsen. Gut, Sockfuß ist also nicht ihr Ding. Verstehe. Vom Anblick der bedienten Füße beglückt springt sie auf und hält mir freudig einen kleinen in Silberpapier eingewickelten Bonschen zur Belohnung hin. Ich lächle über diese Sinnfreiheit, nehme das Gastgeschenk des Hauses entgegen und bekomme eine ganz neue Bedeutung des Begriffs Lebensglück dargeboten.

So super ist die Hose jetzt eigentlich gar nicht, aber wie sag ich’s meinem tanzenden Serviceengel? Die stirbt doch tausend Tode, wird enterbt, des Landes verwiesen und endet als Küchenkraft im Chinarestaurant auf dem Kiez. Ach, egal, für 25€ kann man ja mal einen Kauf machen, der nur halb super ist. Also Kabine, Wechselspiel, ab zur Kasse, gemeinsamer Freudentanz im Kreis während der Lösegeldübergabe und dann bloß raus. Wenn das keine Kur gegen zu viel Shoppen ist, dann weiss ich nicht was. Dass ich während der ganzen Zeit etwa achtzehn mal dazu passende Pullover und Jacken ablehnen musste, hat es nicht besser gemacht. Oh, aber nebenan gibt’s so schicke Hemden….

Ich bin Michael Corleone

Montag, November 17th, 2008

Einmal im Leben Mafiosi sein.

Nein, nicht mit dem Geigenkoffer durch die Gegend rennen oder abgetrennte Frontalteile dahingeschiedener Tiere in anderer Leute Betten parken. Aber an seinem Geburtstag aus lauter Zuneigung von Freunden der Familie einen fetten Umschlag mit Bündeln an Geldscheinen entgegen zu nehmen, das lässt man sich gern gefallen.

Mein guter Schatten, der Herr Li, hat möglich gemacht, worauf ich in Deutschland seit meiner Geburt vergeblich gewartet habe. Die Partei konnte mein Angebot offensichtlich nicht ablehnen und hat mir ihre Ehre erwiesen. Nun, die Familie wird sich im Gegenzug erkenntlich zeigen. Loyalität ist die einzige Währung, deren Wert Bestand hat und die sich jeder Inflation entzieht.

Und jetzt lasst uns ein wenig feiern, liebe Freunde.