Ich liebe Shoppen. Habe ich schon immer. Die Möglichkeit, Geld auszugeben, sich selbst etwas Gutes zu tun und der kurze Schockmoment an der Kasse gefolgt vom Kundenkönigsgefühl bei der Plastikübergabe ist ein Kurzurlaub für die Egoistenseele.
Und in Deutschland ist das auch ein Traum. Man darf stundenlang in Ruhe Berge an Klamotten auf den Arm stapeln und solange zwischen Umkleidekabine und der Höhle der Versuchung hin- und her springen wie es einem beliebt. Die auf Ignoranz trainierten Verkäuferinnen lassen den Kunden ordnungsgemäß in Ruhe und bewegen sich nur auf direkte Aufforderung zögernd und ängstlich in seine Nähe. Perfekte Freiheit.
Deshalb gefiel mir das Einkaufen in den USA schon weniger. Im Land der erschlagenden Massen, in dem man oft vergeblich versucht, nur EIN Teil zu kaufen, scheitert man nicht nur an der buy-one-get-one-free Angebotslage. Zu Verkaufsmonstern erzogene Verkäufer scheuchen den irritierten Europäer von einem Service-Planquadrat zum nächsten. Beim Betreten eines jeden dieser Reviere darf man erneut ‘Nein danke, ich möchte nur schauen’ und ‘Oh, das ist wirklich nett, aber ich wollte hier nur so für mich ein wenig gucken’ und ähnliches herunter rezitieren. Es wäre auch wirklich zu viel verlangt, wenn Verkäufer Nr. 4 aus den von dannen trollenden Kollegen auf die Beratungsunwilligkeit des Altkontinentbewohners schließen würde.
In Peking wird die Schraube der Verkaufsdramatik nun aber noch mal deutlich über den Punkt des schwächelnden Gewindes gedreht. Hier existiert das einzige Sales-Bootcamp der Welt wie es scheint: Beim Betreten eines Geschäftes wird von dem anwesenden Warenverbringungspersonal messerscharf folgendes erkannt: 1. “Aha, der arbeitet hier gar nicht” und dadurch unweigerlich 2. “Dann kauft der hier jetzt was, wenn ich im nur unermüdlich klar mache, was er braucht.”
Es beginnt sogleich von drei Seiten der hinterhältige Raptorenbeutezug, und wenn man sich das erste mal umdreht, stehen fröhlich wippend drei wie aus der Pistole chinesisch schnatternde junge Damen vor einem. Die 1,5m hohe Schallmauer wird elegant durch ein bewusst schnell und schlurig ausgesprochenes “OhyouknowIwasjustlookingaround” abgestillt. Panisch realisieren Ming, Ting und Ping, dass sich ihr Englisch auf ‘Hello Sir’ beschränkt und gucken sogleich, als hätten sie die globale Erwärmung zu verantworten. Der doofe Touri denkt noch, er wäre damit am Ende der Diskussion angelangt, als aus der Ecke Jing, angaloppiert kommt. Aha, die Generalübesetzerin. Mit überlegener Miene greift sie sich das gerade vom langnasigen Geldbeutel angeschaute Stück, zeigt drauf und sagt mit selbstgefälligem Lächeln “nice”. –Tjahaaa, Frollein Schlaubischlumpf, genau deshalb habe ich mir das ja auch angesehen, und jetzt kommst Du! Ming, Ting und Ping geben den chinesischen Backgroundchor und schnattern, was das Zeug hält. Man weiss nicht genau was und über wen. Klingt aber nett und das weiterhin fröhliche Gewippe deutet auf kollegiale Freude ob des tollen Fundes in diesem ihrem Geschäft hin.
Von hier aus hat der langsam unruhig werdende Europäer die Wahl zwischen Regen und Traufe. Regen: Urplötzliches mimisches Ablehnen der Ware und fortgesetzter Jagd in schnellem Schritt zwischen Regalen und Tischen zieht den Tross in genau 85,2 cm Entfernung zur eigenen Ferse durch den Laden. Jederzeit bereit, ein von leichtem Interesse gestreiftes Teil hochzuhalten, um Gott für die Kunst des Strickens und Webens zu huldigen. Da kann man nur das Weite suchen.
Traufe (ehrlich passiert): Von einem Anflug des Wahnsinns getrieben nickt man und läutet das Umzugskabinenritual ein. Irritation macht sich auf Kundenseite breit, als sich Ming, des Englischen nicht mächtig, wie wir bereits wissen, mit der Hose voran IN die Umkleidekabine begibt, am Vorhang zu ziehen beginnt und freundlich zum Eintreten auffordert. Die wird doch nicht…? Oh, nein, sie wollte nur zeigen, was die Funktion des Kleiderhakens ist und dass auf dem Boden lederne Adiletten stehen. Puh. Ein höfliches aber unsicheres Lächeln begleitet die Sabbelfee nach draussen. Der Spalt unter dem Vorhang lässt vermuten, dass sie diesen persönlich geschlossen hält, denn man kann ihre Schuhspitzen sehen. Na herrlich, Privatsphäre ist was tolles. Nach dem angsvollen rekordverdächtigen Schnellumzug von einer Hose in die andere weiss Ming sofort, wann sie die Bühne freigeben muss und scheint vor Bewunderung beinahe selbst ein neues Beinkleid zu benötigen. Zumindest rennt sie vondannen.
Sekunden später ist sie wieder da, kniet sich nieder und will zum Glück nicht den guten Sitz der Ware anbeten, sondern nur die Lederletten bestimmend an die Füße schuppsen. Gut, Sockfuß ist also nicht ihr Ding. Verstehe. Vom Anblick der bedienten Füße beglückt springt sie auf und hält mir freudig einen kleinen in Silberpapier eingewickelten Bonschen zur Belohnung hin. Ich lächle über diese Sinnfreiheit, nehme das Gastgeschenk des Hauses entgegen und bekomme eine ganz neue Bedeutung des Begriffs Lebensglück dargeboten.
So super ist die Hose jetzt eigentlich gar nicht, aber wie sag ich’s meinem tanzenden Serviceengel? Die stirbt doch tausend Tode, wird enterbt, des Landes verwiesen und endet als Küchenkraft im Chinarestaurant auf dem Kiez. Ach, egal, für 25€ kann man ja mal einen Kauf machen, der nur halb super ist. Also Kabine, Wechselspiel, ab zur Kasse, gemeinsamer Freudentanz im Kreis während der Lösegeldübergabe und dann bloß raus. Wenn das keine Kur gegen zu viel Shoppen ist, dann weiss ich nicht was. Dass ich während der ganzen Zeit etwa achtzehn mal dazu passende Pullover und Jacken ablehnen musste, hat es nicht besser gemacht. Oh, aber nebenan gibt’s so schicke Hemden….