Archive for the ‘Wundersam’ Category

Olé gack gack

Samstag, Juni 19th, 2010

Ja, wer kennt das nicht? Die schönste Zeit des Jahres: Fussball, ein zoschendes Bier auf dem Tisch und…äh, kalte Hühnerfüsse.

Es gibt noch andere Plakate, die Bratfisch, Entenhälse, Schweine-Innereien und Flusskrebse anpreisen. Was ist nur als den guten alten Kartoffelchips geworden, Herr Li?

Was soll’s. Zeit, dass sich was dreht. “Herr Ober…!?”

Match Mama

Mittwoch, April 14th, 2010

Herr Li hat sich heute fein raus geputzt. Hemd und Hose sind gebügelt, die Schuhe blitzen und das Haar ist ordentlich nach maoistischem Vorbild angescheitelt. Er hat die Jacke lässig umgeworfen. Im Moment passt sie nicht – eine ganze Reihe frischer Hunderter besorgt dem Portemonnaie einen ledernen Wohlstandsbauch, und so macht es sich jetzt arg breit in der Seitentasche. Aber die dicke Füllung ist ungemein wichtig. Herr Li geht heute nämlich auf ein Date.

Und bei einem Date in China, ja da zahlt freilich der Mann. Kein politisch korrektes Auseinanderfriemeln der Rechnung – wer hatte jetzt ein Glas Wein mehr, dafür aber bei der 23 nicht so viel von der 18? Und wer hat nun beim Nachtisch den süßeren Charakter bewiesen? So richtig 50/50 kann man den Betrag meist nicht aufteilen… Nein, damit schlägt man sich östlich von Meppen nicht herum. Der Mann beweist Stärke. Er sucht das Restaurant aus, danach das Essen und am Schluss auch selbstverständlich die Scheine aus der Börse.

Die klassische Aufgabe von Madame Wunderbar ist hingegen, sich stundenlang auf Covergirl stylen zu lassen, schüchtern-kokett die Augen zu blinzeln und alles ganz furchtbar interessant zu finden, was Herr Li der Welt mitzuteilen gedenkt. Klare Verantwortlichkeitsbereiche, das hat auch was schönes.

Einzig, Herr Li weiß gar nicht so genau, mit WEM er da heute Abend eigentlich verabredet ist. Dick, dünn, groß, schlau, witzig oder vernarrt in Handtaschen-Kläffer? Er hat nicht den geringsten Schimmer auf seiner hohen Stirn. Dort, wo sich die Sorgenfalten langsam zu kräuseln beginnen, weil der Termin immer näher rückt.

Wer in Europa auf ein Blind Date geht, gilt als recht wagemutig. Und meist wird so es über Annoncen oder Web-Portale vereinbart. Die meisten Blind Dates jedoch werden hintenrum abgehalten. Zum Beispiel kann es sein, dass sich Lutz und Annemarie denken, die Kerstin und der Christoph würden ganz toll zusammenpassen. Und dann vermitteln sie einfach heimlich. “Du, wir gehen am Freitag schön essen, komm doch mit. Da ist auch noch ein Kollege von Lutz dabei. Das soll ein ganz netter sein. Aber ist ganz ‘casual’, wir wollen einfach nur einen schönen Abend haben’. Und –zack– sitzen sich Kerstin und Christoph bei Antipasti gegenüber und schwatzen munter drauflos, weil sie gar nicht wissen, dass sie Teilnehmer eines Blind Dates geworden sind.

Wenn sich Herr Li und Frau Zhang treffen, haben sie diese Zusammenkunft auch nicht selbst vereinbart. Und doch wissen sie, dass es ein Date ist und werden zudem ganz alleine ausgehen. Sie müssen. Da haben sie keine Wahl.
Während sich die beiden völlig fremden Menschen also im Restaurant begrüssen, beleuchten wir einmal das Zustandekommen des heutigen Ereignisses und drehen die Uhr um eine Woche zurück.

Mutter Li steigt aus dem Taxi. Es ist Sonntag Vormittag, die Luft riecht nach Erfolg. Entschlossen lässt sie die Tür hinter sich zufallen. Sie wendet sich dem vor ihr liegenden Yuyuantan Park zu und verliert keine Zeit. Sie weiss genau, wo sie hin will und umschifft alle Hindernisse und Sehenswürdigkeiten geübt und elegant.

Als sie den Viehmarkt erreicht, ist es perfektes Timing. Die Auswahl ist groß, die Konkurrenz traditionell spärlich. Mutter Li öffnet ihre Handtasche und nimmt einen Stapel Papiere heraus. Dokumente und Fotos. Heute wird es funktionieren, das hat sie im Gespür. Sie atmet einmal tief durch und mit dem Scharfsinn eines Jägers visiert sie ein Rudel laut schnatternder Frauen an. “Guten Morgen, die Damen. Wie gehts?”
Das Spiel beginnt.

In den folgenden Stunden werden Frau Li und all die anderen Mütter und Väter eifrig Informationen austauschen. “Meine Tochter ist bildhübsch!” “Mein Sohn hat ein Haus!” “Meiner auch! UND ein Auto!” “Kann ihre Tochter kochen?” “Sicher, mindestens 30 Gerichte. Und nähen kann sie auch.” “Wie sind denn ihre Noten?” “Zeigen Sie mir doch mal die Kontoauszüge von ihrem Sohn” “Erzählen Sie mir etwas über ihre Familiengeschichte”…
Hier wird Zukunft geschmiedet. Und es ist ein gnadenloses Geschäft. Eines, das einen recht hohen Numerus Clausus mit sich bringt.

Wie wir wissen sind die Chinesen sehr abergläubisch und haben für praktisch alles eine Legende. In Zeiten der Tang Dynastie gab es da so einen Gott, der für die Liebe zwischen Mann und Frau verantwortlich war. Yue Lao, der “alte Mann im Mond” besaß das Buch des Schicksals. In diesem waren alle Ehen aller Menschen verzeichnet. Des weiteren hatte er ein rotes Band. Damit konnte er im wahrsten Sinne Verbundenheit erzeugen. Selbst die ärgsten Feinde wurden zu Liebenden, waren sie erst einmal damit verknüpft.

Ob das Steckenpferd der Chinesen zu dieser Zeit seinen Anfang genommen hat – man weiss es nicht. Verkuppeln jedenfalls gehört zu ihnen wie das Baguette zum Franzosen. Yue Lao wird heute jedenfalls nicht benötigt. Mutter Li hat bereits 5 Telefonnummern gesammelt.

Nach einer Stunde Verhandeln ist dies für sie auch normal. Immerhin vertritt sie einen Sohn und hat damit das leichtere Spiel. Knapp 90% der feilbietenden Gemeinde hat Töchter im Angebot. Mutter Li ist es gewohnt, wählerisch zu sein. Und doch ist es eine Kunst. Weil es als unhöflich gilt, ein Date-Angebot abzuschlagen, muss Mutter Li sehr genau taktieren. Nicht zu viel preisgeben und nicht zu schnell. Die Töchtermeute ist lüstern. Zu rasant und unüberlegt giert sie nach Kontakt. Verkuppeln ist alles was zählt, denn die Uhr tickt.
Wer weiblichen Nachwuchs jenseits der 25 hat, strahlt die Entspanntheit einer in der Wüste liegenden Forelle aus. Ab 28 gilt diese als alt. Die Tochter wohlgemerkt, nicht die Forelle. Und bis 30 muss der Enkelnachwuchs das Licht der Welt erblickt haben. Sonst sieht es schlecht aus fürs Wahren des eigenen Gesichts. Wer will schon Nachbarn und Freunden den Eindruck vermitteln, mit dem eigenen Sprössling sei etwas nicht in Ordnung?

Ein Date das hier vermittelt wird, soviel ist mal klar, hat nur einen Zweck: Die beiden Kandidaten sollen sich gefälligst noch zwischen Hauptgang und Dessert für die Ehe entschliessen. Mutter Li nimmt deshalb alles sehr genau. Wenn ihr allzu aufdringliche Kandidaten-Discounter zu unangenehm werden, erfindet sie alternative Wahrheiten. Beispielsweise dass ihr Sohn geschieden sei und nun die zweite Frau suche. Das wirkt immer. Retour-Ware ist nicht gern gesehen.
Zum Glück kann sie sich das leisten. Für Männer gibt es kein Verfallsdatum, nur eine monetäre Hürde. Kann man diese durch entsprechenden Besitz überspringen, ist man in sicheren Gewässern.

Herr Li kann. Ihm gehört ein Apartment, und er hat einen ordentlichen Job. Deshalb hat er auch bereits das ein oder andere muttervermittelte Date hinter sich und steht noch immer mit beiden Füssen auf dem Boden, statt torschlusspanisch mit einem Bein zu knien.

Ausser ihm werden noch viele andere Töchter und Söhne Chinas allwöchentlich mit Verabredungen überrascht, von denen sie vorher nichts geahnt haben. Der reinste Dating-Stress. Und immer droht danach das Debriefing mit den Eltern, die wissen wollen, ob sie nun endlich das Aufgebot bestellen können. Das bedeutet Druck. Und jede Verabredung, bei der nicht umgehend Geigenmusik im Kopf ertönt und tanzende Engel Pirouetten auf Tellern und Gläsern drehen steigert die stille Angst, schwer vermittelbar zu sein.

Muss man denn überhaupt vermittelt werden? Die Frage wirkt halbherzig angesichts der unglaublichen Zahl aus dem Boden sprießender Agenturen. Denn um nichts anderes als das kümmern sich diese. Klar, gibt es die in Europa auch, jedoch sind die hiesigen weniger romantisch verklärt. Hier zählt nicht nur der Charakter und philosophische Weltanschauungen, wie im Westen. Wer hier z.B. sein Einkommen nicht angibt, wird gar nicht erst zugelassen. Es gibt sogar Plattformen, die ausschliesslich Kandidaten ab einer gewissen Zahlungskraft aufnehmen.

Sucht man nach dem Grund für all diese Verkupplungstätigkeiten, heisst es von Seiten Mutter Lis “Unsere Kinder haben nicht genug Zeit, sich einen Partner zu suchen. Sie arbeiten zu viel und zu lange. Ihr gesamter Freundeskreis besteht nur aus Kollegen. Wie sollen sie da jemanden treffen?”
Die Logik ist bestechend. Und auch der überaus individuelle und aufgeklärte Europäer muss eingestehen, dass das Problem nicht unbekannt ist. Mögen die Mittel unterschiedlich sein, die Ziele sind identisch. Und die Chinesen sind der Möglichkeit beraubt, sich in einer Bar oder einem Club kennen zu lernen. Diese gelten auch bei vielen sehr modernen Menschen noch immer als verruchte dunkle Plätze für ebenso dunkle Charaktere. Ein alter Irrglaube, der leider einen bestechend großen Teil der Kandidaten fernhält, obwohl er nicht (mehr) unbedingt der Realität entspricht. Was bleibt, sind Büro und Freunde. Oder eben Agentur, bzw. Mutter und Vater.

Zum Glück zeigt die chinesische Methode Erfolg. Viele Eltern haben genügend Zeit für die Suche und haben dabei keine Berührungsängste. Und nebenbei bemerkt: wer kennt ihre Kinder besser als sie selbst? Ideale Voraussetzungen für Kuppelgespräche also.

Herr Li hatte heute abend ausgesprochen viel Spaß bei der Sache. Das ist nicht immer so, und deshalb ist er besonders erfreut. Als er die junge Dame verabschiedet, sieht er dem Taxi noch eine Weile nach und muss lächeln. Das war wirklich nett. Und am liebsten würde er sie gleich morgen noch einmal treffen. Leider ist das unmöglich, denn morgen ist Samstag, und die Frau Mama hat dafür üblicherweise gleich zwei Termine anberaumt.
Herr Li seufzt und steigt ins Taxi nach Hause. Es ist nun mal nicht leicht, ein Single in Peking zu sein.

Bill-Li

Donnerstag, April 1st, 2010

Samstags zu IKEA. Eine traumhafte Idee: Zank, Nerverei und Volksfest-Enge sind garantiert, ein leeres Portemonnaie nach Durchqueren der Markthalle zumindest äusserst wahrscheinlich. Ob man wirklich den Dreierpack Duftkerzen brauchte, weiss man zuhause beim Anblick des übrigen Wachsfigurenkabinetts nicht mehr. Mit der Grünpflanze und der Stehlampe ist es nicht anders.
Die hatte man eh eigentlich nur gekauft, weil man an dem streitenden Pärchen mit dem Geschirrproblem nicht vorbei kam. Einmal den Blick schweifen lassen und schon ist der Wagen halb voll.

Ein Samstag bei IKEA ist nichts für schwache Nerven, das weiß jeder. Und deshalb sind wir am Sonntag hingegangen.

Während man in Deutschland höchstens ein paar vereinzelten Inline-Skatern dabei zusehen kann, wie sie ihre Runden auf dem geschlossenen Parkplatz drehen, hat IKEA in Peking geöffnet. Wie alles andere auch – Ladenschluss am siebten Tag der Woche hat der Gesetzgeber einfach nicht vorgesehen. Sieben Tage lang bis 22:00 einkaufen, da kommt wirklich niemals Torschlusspanik und Hamsterkaufmanie auf, hat also klare Vorteile.

Der Nachteil ist freilich, dass sich der Shoppingsonntag beim Schweden nicht vom Samstag unterscheidet.

Nach Betreten der heiligen Hallen fühlt sich aber vor allem zunächst einmal der Geist vermöbelt. Nicht aufgrund der Massen an Menschen, sondern aufgrund der gruselig vertrauten Umgebung. Dabei heisst IKEA in China gar nicht IKEA, sondern Yi jia jia jü. Na klar, klingt ja auch ganz genau so…
“HEJ” schallt es einem per Plakat entgegen. Darunter gleich ein Anzeiger, der den Weg zum Small Land verrät. Das mit den lustigen bunten Bällen. Der kleine Herr Li möchte gerne von seinen Eltern abgeholt werden…
An der Treppe liegt der Katalog aus, mit den bekannten Kollegen Lack, Benno, Galant, Ektorp, Pax und dem ganzen Rest der Familie.

Wohnzimmer, Küchen, Arbeitsecken, Schlafzimmer – sie alle reihen sich in der gewohnten Reihenfolge aneinander. IKEA ist immer gleich und dürfte damit die großflächigste Inkarnation von Heimatgefühl in ganz China sein. Der Verstand hat so seine Probleme damit, denn obgleich Um-, Namensgebung und Kundenfülle derer daheim entspricht – es gibt doch Unterschiede.

Dort wo Karsten und Christina in Schnelsen über die Einbauhöhe von Ofen, Mikrowelle und Kühlschrank diskutieren, stehen Herr und Frau Li, Herrn Lis Cousin, Frau Lis Schwippschwägerin, deren Mutter und ihre drei Nachbar-Ehepaare vor eben jenem Ofen und gucken nur neugierig in dessen Röhre. Wofür man dieses kastige Stück Heizware einsetzen soll, ist ihnen schleierhaft. Fritieren kann er nicht, dünsten und kochen ebenso wenig. Für Fischbrühe ist er ungeeignet und ein Reistopf passt schon allein von der Höhe nicht hinein. Zum Aufwärmen von Reissuppe heizt er zu langsam auf, und man kann danach auch die Schale nicht mehr anfassen. Blödes Ding. Da hat Frau Li plötzlich einen Lösungsvorschlag: Man braucht den heissen Ofen wahrscheinlich für ausländische Gourmet-Gerichte wie Burger und Pizza. So falsch liegt sie damit zwar nicht, aber die Verständnisprobleme liegen hier tiefer, deshalb lassen wir sie besser stehen und schleichen uns weiter.

Wir kommen an einer am Gang platzierten Toilette vorbei und stutzen – die Schüssel ist mit einer Plexiglasscheibe abgedeckt. Auf dieser wird den Kunden mit dringendem Bedürfnis mitgeteilt, dass sich die tatsächlichen Toiletten neben dem Restaurant befinden. Wir rätseln, ob wohl tatsächlich schon Kunden auf die Idee gekommen sind, mitten im Gang und umringt von hunderten von Menschen große Geschäfte zu verrichten.

Eine Ecke dahinter liegt Herr Li Junior an der Schulter seiner Freundin und schläft. Im Bett. Redalen, für 1,299 RMB. Klein Lis Flamme schaut dabei gen Himmel und fragt sich wahrscheinlich, wie sie ihren Schnarch-Hahn dazu bewegen kann, den Begriff “‘Abholpreis” wörtlicher zu nehmen. Oder sie denkt an Babys, Schuhe oder Schmuck. Das weiss man nie so genau.

Schlafende Chinesen in schwedischen Betten, das sieht man hier jedenfalls alle paar Meter. Genau wie auf Sofa, Sessel und Stuhl sitzende. Sogar Küchentisch testende. Das klingt nicht ungewöhnlich, das machen die Europäer auch. Allerdings geben sich Europäer für gewöhnlich mit 2-5 Minuten Hinsetzen zufrieden und stehen dann respektvoll vom fremden Möbelstück wieder auf. Herr Li jedoch lässt seinem bislang unentdeckten Talent zum Stiftung Warentester freien Lauf. Fachmännisch beäugt er jedes Sitzmöbel, rutscht auf Armlehnen umher und nickt viel in sich hinein.

IKEA hat für viele Chinesen zwar nicht den Stand einer Luxusmarke, ist jedoch zumindest etwas für besser Betuchte. Der Europäer vergisst das schnell, ist der Inbus König für ihn doch eher als Ausstatter von Studentenbuden bekannt. Das Preisniveau am Binnenmarkt ist halt ein anderes. Und die Lebensweisen auch.

Herr Li hat deshalb auch keinen blassen Schimmer, was er da grad tut. Das sieht man an seiner Haltung, die sich in keinem der zu testenden Objekte entspannt. Und daran, dass er nur genau jene Teile inspiziert, die vor ihm ein anderer beäugt hat. Vorzugsweise ein Ausländer. Denn die müssen es ja wissen. Immerhin ist das hier deren Ausstattungswelt. Man sieht Herrn Li nur allzu deutlich an, dass er versucht, einen Lebensstil nachzuahmen, der nicht seiner ist. Und den er eigentlich auch gar nicht braucht. Er möchte aber nun einmal gerne ein Bild abgeben, das den Titel “Connaisseur” trägt.

Was einfach überhaupt nicht in dieses Bild passt, ist die hohe Anzahl Menschen falschen Alters. Herrn Lis Eltern stehen vor weissen Schrankwänden und sinnieren recht offensichtlich darüber, weshalb die Europäer wohl eine derart leicht verschmutzbare Farbe wählen. Aber sie sind ohnehin nicht hier, um Geld auszugeben. Vielmehr ist es für sie wie ein Museumsbesuch für seltsame westliche Gebräuche und Lebensweisen. Sie sehen so ratend aus wie Herr Meyer im 120qm Laden für grünen Tee in Wangfujing. Soviel Auswahl an Dingen, für die man keinen Bedarf hat und bei denen man die Unterschiede nicht versteht.

Am Ende der Markthalle, dort wo die Grenze zu den Selbstbedienungsregalen mit Schrankwänden liegt, steht ein Schild: “Wenn Sie ihre Einkäufe bis 18.00 tätigen, liefern wir Ihnen die Ware noch am selben Tag nach Hause”. Gut, das steht da natürlich nicht auf Deutsch, aber sinngemäß kommt es in etwa hin. Direkt unter dem Schild steht eine Dame mittleren Alters. Sie sieht wie eine Kundin aus, die auf ihren Mann oder auf Herrn Lis schwippverschwägerte Nichten-Tante wartet.

Im Vorbeigehen zischt sie den übrigen Kunden etwas zu. Schnell wird klar, dass es sich um einen Lieferservice handelt. Allerdings nicht den von IKEA. Hier stossen wir auf etwas, das es in den westlichen Möbelhäusern nicht gibt: Eine Fahrservice Mafia.

Und die geht so: Man klärt kurz, wie viele Einkäufe sich nach der Kassenspur auf wie vielen Wagen befinden werden und wohin die Reise gehen soll. Dann knallharte Preisverhandlung und bei Einigung wird auf der Gegenseite hektisch und konspirativ telefoniert. Wir konnten uns auf umgerechnet 8 Euro verständigen und das bei einem vollen Einkaufswagen und zwei großen Gorm Regalen. Im Taxi hätten wir damit arg Probleme gehabt. Madame Mafia war jedoch zuversichtlich-das sei kein Problem.

Ohnehin war sie sehr service-orientiert. Die Sachen mit aufs Kassenband packen, von dort wieder zurück in den Wagen und dann alles dem Fahrzeugmeister übergeben. Dieser teilt dann den Fahrer zu. Der kommt sogleich angelaufen, übernimmt das Schieben eines der Einkaufswagen und lädt dann fast alles alleine in einen kleinen Mini-Van, der fast direkt vor der Tür parkt. Er will nur noch kurz wissen, ob man Hilfe beim Aufbauen der Möbel brauche – das passende Werkzeug hätte er ebenfalls im Wagen, die Tour würde dann nur länger dauern. Brauchen wir nicht, wir sind Inbus-erfahren. Damit geht es umgehend auf den Weg nach Hause, wo er die Einkäufe auch noch tapfer und alleine vom Lieferwagen in die Eingangshalle schuftet.

Natürlich ist die Chause nicht so richtig legal. Wir hatten das zweifelhafte Vergnügen mit anzusehen, wie zwei Kolleginnen von Frau Mafia von Securitymännern abgeführt wurden. IKEA duldet keine Lieferkonkurrenz.
Dabei profitieren sie meiner Ansicht nach stark davon. Der Kunde weiss, dass er sich beim Shoppen nicht zurückhalten muss – er bekommt die Sachen umgehend und für schmales Geld inklusive Taxiservice nach Hause. Sogar aufbauen würden sie es noch. Das ist mal eine klassische Win-Win-Win Situation für Kunden, IKEA und Mafia.

Dass es sich um eine solche handelt, daran hatten wir keinen Zweifel. Zu schnell und organisiert war alles, zu un-chinesisch also, als dass es sich um einen kleinen zufälligen Nebenverdienst handeln könnte. Aber eine Mafia, die beim Sparen hilft, freundlich und zuvorkommend ist, die soll mir recht sein.

Herr Li hat den Service nicht gebraucht. Er hat nur eine Geschirr-Bürste mit kleinem Saugnapf am Fuss gekauft. Mit diesem kann man sie fest auf einer glatten Fläche fixieren. Er fand den Saugnippel einfach lustig. Dass dies ein Küchenartikel ist, hat er aber gar nicht mitbekommen und so steht die Bürste nun im Badezimmer neben dem Waschbecken. Herr Li wundert sich seit dem über die fehlende Ergonomie dieses europäischen Utensils zur Handpflege. Aber ein Connaisseur bewahrt Haltung.

Der Baum, der hat drei Ecken, drei Ecken hat der Baum

Dienstag, Dezember 15th, 2009

Ach, Du mein lieber Herr Li. Es ist einmal wieder besonders Herr-Li-ch, was Du Dir so für das größte Fest westreligiöser Konsumfreude ausdenkst. Bereits Ende Oktober haben wir Verständnis mit Deinen eifrigen Aufrüst-Versuchen gezeigt. Nun aber betritt Dein Unbegreifen gar picassoistisches Terrain.

Weihnachtsbaum AEZ HamburgAuch im amerikanisch beeinflussten Deutschland gewöhnen wir uns immer mal wieder daran, dass ein Weihnachtsbaum zum Kegel stilisiert wird. Das ist praktisch, weil industriell einfacher produzierbar. Und wenn man ihn dann voller Glitter hängt, merkt fast niemand, dass dem falschen Fuffziger die Hüfte fehlt. Geblinke lenkt halt ab.

Zum Beispiel hier ein Bild aus meinem liebsten deutschen Konsumtempel, dem AEZ in Hamburg. Ein bisschen Gold, ein wenig Rot und alles geschmackvoll verteilt – so kann man damit durch kommen. Selbst die Kegelform ist nicht allzu stark übertrieben und lässt noch so manch Perfektionslosigkeit erkennen. Frei nach Stenkelfeld ist das sicherlich beabsichtigt: Da weiss der geneigte Kunde gleich “Aha – der sieht oben so krumm aus, der muss echt sein und is bestimmt von greisen Norwegern mit viel Liebe ein Leben lang aufgezogen, im Zuge eines feierlichen Dorf-Festes als schönster Baum gekürt, umgesägt und dann direkt hierhin verbracht worden, damit wir uns den jetzt zwei Wochen lang angucken können”.

Der aufmerksame Betrachter erkennt zweifellos auch die umherfliegenden besinnlichen Sterne an der Decke und noch so manch anderes dunkelgrünes und dunkelrotes Zeugnis, dass man sich nun in der Adventszeit befindet.

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Wo ist denn das jetzt?

Mittwoch, Dezember 9th, 2009

Wenn Herr Müller eine Party gab, hat er früher immer eine eine Karte gemalt, damit Herr Meier und Herr Schultze auch wussten, wo sie hin mussten.
Das war sehr hilfreich.

Nur war die Karte nach einiger Zeit und unzähligen Durchläufen auf dem Kopierer etwas schwer lesbar. Dann mussten Herr Meier und Herr Schultze manchmal anhalten und jemanden fragen.

Müller Junior hat es da heute etwas einfacher. Wenn seine Eltern mal auf einem Kegelausflug sind, schickt er einfach fix einen Link per Google Maps und die Fräuleins Meier und Schultze wissen genau, wo er wohnt. Keine Fragen offen.

Der Segen des Internets liegt für viele in den bestechend einfach zu bedienenden Karten-Applikationen von Google, Microsoft und dergleichen. Auf der Karte suchen, im Satellitenmodus kurz die Optik checken, alles ausdrucken und ab geht’s. Mann kann sich sehr schnell dran gewöhnen.

Bis, ja bis man in China ankommt. Für den nicht der Landessprache mächtigen ergibt sich ein bunter Strauss Probleme, von deren Existenz er nicht einmal zu Albträumen gewagt hat.

nanluoguxiangEin klassischer Fall: Man bekommt noch in Deutschland die Adresse des Büros in Peking geschickt: 南锣鼓巷8号.
Der eigene Rechner vermisst dummerweise den chinesischen Zeichensatz, so dass man nur kleine Quadrate sieht. Wahlweise auch viele Fragezeichen. [wenn dort oben keine chinesisch aussehende Adresse zu lesen steht, ist genau das auf dem PC des geneigten Lesers der Fall]. Man fragt nach und bekommt die Adresse nocheinmal, diesmal in Pinyin Schreibweise, also mit für westliche Augen lesbaren Buchstaben: 8nanluoguxiang.

Chinesiche Wörter werden ohne Leerzeichen aneinander gereiht. Die Dame im Pekinger Büro klatscht also alles zusammen, wie sie es gewohnt ist. Groß- und Kleinbuchstaben gibt es bei ihr ja auch nicht.
Man wundert sich,wie lang der Strassenname ist und ob das ein einziges Wort sei, kopiert ihn aber geschwind in Google Maps. Dort findet man prompt…nichts. “No results found” heisst es und das war’s.
Also wieder Rückfrage im chinesischen Büro. Können die denn ihre eigene Adresse nicht?

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Morgens um Acht…

Freitag, November 6th, 2009

“Und was wollen Sie jetzt damit erreichen”?

Frau Müller (Name von der Redaktion geändert) blickt prüfend mit leicht forderndem Blick durch die verwinkelte Glasscheibe, die ihrem Gesicht einen grünlichen Ton verleiht. Ein wenig kalt ist es im Konsular-Zimmer 10 der deutschen Botschaft. Der kühle Lufthauch der Autorität.

Das offizielle Schriftstück des Einwohnermeldeamtes Hamburg Wandsbek hängt wie eine stinkende Makrele zwischen Frau Müllers spitzen Fingern. ABMELDEBESCHEINIGUNG steht am oberen Rand. 24 Punkt Versalien, Courier New Regular Schriftschnitt. Hübsch ist das nicht, aber immerhin so deutlich lesbar, als wäre es die Schlagzeile der BILD. Wie zum Nachdruck hält Frau Müller das A4 Blatt nach Deutscher Industrie Norm hoch, damit der Bittsteller auf der falschen Seite des Schalters auch ganz sicher weiss, um was sich die Frage dreht.

Weggestempelt und verzogen“Ich möchte nur meiner Pflicht genüge tun”. erwidert dieser und ist ein wenig verwirrt. Aber etwas in der nach verstaubten Akten klingenden Formulierung scheint zu Frau Müller durchzudringen und ihr Ablageherz zu berühren. Ihr Mund strebt die Form eines stilisierten Paragraphenschlüssels an: “Na, dem wollen wir uns natürlich nicht entgegenstellen”. Sprachs leicht schnippisch und verschwand in den tiefen Tunneln der Gesetzgebung.

Dummer Spruch, dumme Antwort. Und diesmal hat’s sogar was geholfen. Nach klassischen deutschen 7 Minuten, die ein ordentliches Bier benötigt ist sie wieder zurück. Ohne Schriftstück aus der Hansestadt, dafür mit einem neu verstempelten Pass: “Wohnort amtlich geändert in Peking / VR China” – Zack, Ummeldung erledigt.

Da hätte man sich die 5min Diskussion im Vorfeld auch sparen können. Die Kollegin in Hamburg hatte gesagt, ich müsse das hier vorzeigen, um offiziell gemeldet zu sein. Dass Frau Müller das nun nicht sonderlich gut in den Kram passt tut mir ja auch irgendwie leid, aber Ordnung muss sein. Insbesondere in Amtsangelegenheiten.

Mir war es natürlich nicht neu, dass ich in Peking wohne. Dennoch fällt einem erstmal eine der genormten Schrauben aus der Reishutkrempe, wenn man es Schwarz auf Weiss liest. Gut, eigentlich Stempelblau auf RotGrünTürkisKrisselkram, aber das ändert nichts an der Schockfrost-Erkenntnis: Ich bin zwar noch Deutscher, aber so richtig grad auch nicht mehr wirklich. Zumindest wirkt es so. Daran ändert sogar diese fröhliche Mädchenschrift nichts, mit der das Datum darüber gekringelt wurde. Sie gehören nicht mehr zu uns, einen schönen Tag auch noch.

Aufm AmtBeim Verlassen der Stube wirkt die Welt oder zumindest erstmal das lokale deutsche Amt verändert. Die erwachende Sonne sticht durch die Fenster und taucht die Szenerie in das warme Licht der Unschuld als sei nichts geschehen. Der Wohnsitz hat den schwarzen und goldenen Balken verloren, sonst war ja auch nichts. Ich müsste das eigentlich kennen, immerhin habe ich alle drei Balken schon einmal gegen rot-weisse Streifen und Sterne auf blauem Grund eingetauscht, aber das hier fühlt irgendwie anders an. Mein kleiner Herr Vorurteil ist offenbar bei bester Laune.

Mit meiner veränderten Wahrnehmung blicke ich mich um. Eigentlich ist die Botschaft hier faktisch sowas wie das deutsche Einwohnermeldeamt. Und dennoch: nicht nur vor den Schaltern, sondern auch dahinter sieht man praktisch nur Chinesen. (Ich glaube im Gegenzug jedoch nicht, dass man in der chinesischen Botschaft in Deutschland entsprechend fast nur Deutsche antrifft. Eine Schief-Lage, die Rätsel aufgibt)
Das Wort ‘Ausländerbehörde’ drängt sich auf. Wie die Hühner auf der Stange sitzt hier in zwei Reihen die Klientel. Zumeist zwecks Visums-Beantragung. “Nur nach vorheriger Terminabsprache” wie man sowohl vor Ort, als auch auf der entsprechenden, sogar sehr informativen Website lesen kann. Das heisst, der Andrang ist kontrolliert. Ohne Termin kein Einlass in die heilige Halle. Und draussen nur Kännchen. Ich sags ja: Ordnung muss sein.

DSC04654Die Stimmung verheisst durchweg eine diffuse Mischung aus Unbehagen und Verunsicherung. Im Gegenzug ist es auf den Ämtern in Deutschland eher ein scharf profiliertes Gefühl von Genervtheit. Zumindest auf den Ämtern FÜR DEUTSCHE. Wenn man im Ausland in seiner eigenen Botschaft sitzt, kann man dagegen erstmals nachvollziehen, was Achmed, Igor und Karim bei uns dort aushalten müssen, wohin wir Deutschen normalerweise niemals gehen. Wer Menschen kennt, die Begriffe wie “Bleiberecht” und “Einbürgerung” kennen und nutzen müssen, der hat die Geschichten bereits gehört, aber sicherlich niemals wirklich verstanden. Und vielleicht sogar nicht so recht geglaubt.

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Buddelkönig

Donnerstag, November 5th, 2009

“Wenn man immer gerade durch die Erde gräbt, kommt man irgendwann in China raus”.

Diesen Satz kennt wohl jeder in der ein oder anderen Formulierung.
Einmal durch die Erde nach China
Bei einer näheren Betrachtung des Globus wird allerdings ersichtlich, dass man eher den Tiefsee-Lebewesen des indischen Ozeans einen Besuch abstatten würde. China liegt nicht nur dichter als man meint, es ist zudem genauso auf der Nordhalbkugel beheimatet wie Madrid, Paris oder Meppen.

Aber vielleicht möchte das Sprichwort eher sagen, dass in China alles anders ist. Auf den Kopf gestellte Gewohnheiten sozusagen. Und da kommen wir der Sache schon näher. Die Menschen laufen zwar nicht mit den Füßen an der Decke, aber manches ist so gegensätzlich, dass man darüber nur den Kopf schütteln kann. Schauen wir uns einmal ein paar Beispiele an.

Der Kompass zeigt hier nach Süden, statt nach Norden, und wenn er zwischen zwei Richtungen liegt, stellt man die Breitengrade voran und sagt beispielsweise “Ostsüden” oder “Westnorden”.
Nach der Bestellung von zwei Fleisch- und drei Gemüsegerichten fragt der Kellner bei der Bestellaufnahme geduldig, ob man denn keine Hauptspeise möchte. Er meint damit Reis, Nudeln oder Brot, was im Westen wiederum eher als Beilage gilt.
Ein kaltes Wasser hat Zimmertemperatur und ein als “normal” bestelltes ist warm. Man spricht sogar umgedreht. “Morgen abend treffen wir uns um sieben Uhr am Eingang” klingt wortwörtlich wie “Wir morgen abend sieben Uhr am Eingang treffen”.

Man isst vom Huhn die Füsse, vom Fisch den Kopf, und der Fußgänger muss dem Autofahrer den Vorrang lassen. Man benutzt die Begriffe “hoch” und “runter” für “nächsten” und “vorherigen”, aber in umgekehrter Bedeutung wie erwartet. Man hält einander nicht die Tür auf. Der Aufhaltende würde damit anstatt gesellschaftliche Anerkennung zu ernten seinen eigenen Status auf Bediensteten-Niveau reduzieren und nebenbei auch kein Dankeschön bekommen. Weder verbal noch in Form eines Blickes.

wedding dressBeim beliebten Spiel “Ja, Nein, Schwarz, Weiss” hätte der Chinese grandios die Nase vorn, denn Ja und Nein existieren als Wörter im europäischen Sinne in seiner Sprache überhaupt nicht.
Die für uns als Warnfarbe bekannte Kulör Rot steht neben Nationalstolz und Gemütlichkeit für Glück und ist unter anderem die Farbe des Brautkleides. Dieser Umstand hatte bei der Einführung der international anerkannten Ampel-Lichtsignalanlagen für einige Verwirrung gesorgt: Ausgerechnet Rot soll stop bedeuten? Kann nicht sein. Weiss steht übrigens allgemeinhin für Tod und hält aus diesem Grund nur zaghaft Einzug in die Hochzeitsfarben.

Beim Drei-Kreuze-machen oder beim Wahlschein-ausfüllen legt Herr Li einen astreinen Haken aufs Papier, da für ihn das X gleichbedeutend mit Wegstreichen oder aus-ixen, also negativ besetzt ist. Wäre unter diesem Gesichtspunkt einmal interessant, einen hiesigen Lottoschein zu sehen.

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Weiss-Röckchen (update)

Montag, November 2nd, 2009

Snow in BeijingPeinlich, peinlich!

Da regt man sich grad noch über die vermeintlich zu früh begonnene angestrengte Weihnachtsvorbereitung der Chinesen auf, und dann bietet sich einem gestern morgen dieses Bild beim Blick aus dem Fenster.

8cm Schnee am 1. November. Damit einhergehend ein Temperaturabfall à la Niagara: von 14° auf -4°C.

Da man im letzten Jahr bereits der Öffentlichkeit bewiesen hat, das Wetter kontrollieren zu können, und es entsprechend bei den olympischen Spielen nicht geregnet hat, scheint dies folgerichtig ein Teil der festlichen Vorbereitungen zu sein. An Weihnachten liegt Schnee. Gefälligst!

An Konsequenz mangelt es Herrn Li ja nicht. Na, dann mal frohes Fest!

UPDATE:
Leser Kerem hat in den Kommentaren drauf hingewiesen — die Vermutung war berechtigt, der Schneefall erzwungen. Ob die erwähnten Massen an Chemikalien wohl verträglich für Mensch und Umwelt sind?
Tagesschau: Peking lässt es schneien

Ach Du Fröhliche…..

Donnerstag, Oktober 29th, 2009

Das hält man ja nicht aus. Völlig unschuldig ist man auf dem Weg zum Shareholder Value getriebenen Röster des verloren gegangenen Vertrauens, um dem Arbeitsnachmittag den letzten Kick zu geben und dann das:

Auf geht's ins holde WeihnachtsgeschäftDa stellen sie doch tatsächlich am 29. Oktober einen Weihnachtsbaum auf.

Gut, man muss schon sehr stark abstrahieren, um ihn zu erkennen, aber es soll einer sein. Ganz klar.

Irgendwie muss es ihnen selber peinlich gewesen sein, denn der mit der Aufstellung betreute fleissige Herr unten rechts im Bild zieht genau in dem Moment den Stecker der grellen Neonshow, als ich mein Handy zur Ablichtung des Dramas in Position gebracht habe. Mist. Und dabei wollte ich unbedingt festhalten, wie er in prächtigen Pink, Mint und Himmelblau-Tönen jeder Disko-Anlage Konkurrenz machen könnte.

Mein lieber Herr Li, jetzt mal ehrlich: Das ist einfach nicht Dein Fest. Und Du hast dieses Jahr schliesslich bereits Ende Januar (Chinese New Year) und Anfang Oktober (National Holidays) Grund und Gelegenheit genug gehabt, alles vollzustellen und zu -hängen. Ganze sieben Tage am Stück durftest Du so viel rumböllern, dass sogar Neubauten in Schall und Rauch aufgehen.

Und ja, wir wissen, dass Du das Aufstellen von blinkenden, zu Kegeln stilisierten Bäumen und thematischen Papp-Schildern mit der inneren Besinnlichkeit einer Adventszeit verwechselst. Bitte nicht an den Amerikanern ein Beispiel nehmen: Nicht die verbrauchte Strommenge und das Durchhaltevermögen beim Abdudeln der immer gleichen Weihnachtsmusik-CD zählen! Obwohl Äh, Weihnachten?man das bei Dir denken könnte. Beim letzten Fest ging es permanent von November bis Mitte Februar und vereinzelt konnte man auch in jedem anderen Monat des Jahres die Jingle Bells klingeln hören. An manchen Shops hängen noch immer die Merry Xmas Grüße 2008. Und Du bist sogar stolz darauf, ich weiss. Du glaubst, das sei weltoffen. Deine Mühe sei zur Kenntnis genommen.

Hier ein Angebot zur gütlichen Einigung: Etwas weniger halogenblaues Lauf- und Stroboskop-Licht, nicht ganz so viel auf die Ohren und dafür vielleicht ein paar Marzipankartoffeln aus Lübeck importieren und von Lindt den guten Herrn mit dem weissen Gesichtswuchs. Dann regen wir uns auch nicht mehr ganz so sehr auf, wenn wir im Mai wieder auf eine Gruppe fröhlich leuchtender Rentiere treffen! Versprochen.
Blinkomat
Nachtrag:

Es scheint Schule zu machen. Als ich nach Hause kam, bot sich mir dieses fröhlich blinkende Bild zum Willkommensgruß.

56 mal werden wir noch wach…

Hier ist das Vögelchen

Montag, Oktober 26th, 2009

Es gibt so Momente, da weiss man gar nicht, was man vor sich hat. Und später wundert man sich dann, wie das eigentlich sein konnte.

Nehmen wir einmal untenstehendes Foto. In einer Woche ist es genau ein Jahr her, dass ich es, mehr aus einer Laune heraus, geschossen habe. Es war der erste Tag, an dem Hell Dlalle in China war, und wir zwei beiden sprangen über die Wangfujing, worüber ich dann ja auch gleich kurz einmal berichtet hatte.

Einmal rauf die Strasse und auf der anderen Seite wieder herunter. Da gibt es anderswo deutlich uninteressanteres, wenngleich es sich eigentlich nur um eine Einkaufsstrasse handelt. Am Ende (oder Anfang) stiessen wir auf einen Fotoladen. Recht unspektakulär und nach Touri-falle aussehend. Im Fenster lehnten diese drei in Goldrahmen eingefassten Bilder.

China Photo Store

Ich weiss noch, dass wir uns angeregt darüber unterhalten hatten, ob diese nun drei verschiedene Männer zeigen, oder ob das auf jedem Bild der Mao war, nur halt in verschiedenen Altersstufen. Das Chinesische konnten wir ja nicht lesen und irgendwie war’s uns auch nicht so wichtig. Wir haben nur ein wenig darüber geschmunzelt, wie man derlei offensichtlich billige Posterimitate für Touristen so aufgemotzt ins Fenster stellen kann. Die Zeit für diese Art von Portraits war ja wirklich längst um.

Zwölf Monate später lese ich in der Oktoberausgabe des Time-Out Beijing nun dieses:

Das China Photo Studio ist das weltweit einzige authorisierte Geschäft, das diese drei offiziellen Porträts von Chinas vergangenen Führungskräften ausstellen darf. Warum? Weil sie die Originale sind! Und weil diese Originale in genau diesem Geschäft entstanden sind. Urheberrechtlich einwandfrei.

Das Studio wurde 1937 in Shanghai gegründet und zog 1956 nach Peking um, weil es der damalige Premier Zhou Enlai nun einmal so wollte. Und dieser begründete dann auch die Dreierreihe mit seiner Ablichtung im ersten Jahr. Selbstredend haben die Inhaber nie wieder Sorgen aufgrund ausbleibender Kundschaft gehabt, und man reist wohl auch heute noch von weit an, um sich hier vereweigen zu lassen und etwas vom Geist der Macht aufzuschnappen.

Siehste, so kann man sich täuschen. Ich werde demnächst auch mal einen Termin dort machen. Vielleicht wird dann ja noch was aus mir.

L/R

Mittwoch, Oktober 14th, 2009

Nein, falsch. Um links/rechts geht es jetzt nicht. Im Chinesischen wäre das auch Z/Y für zuǒ/yòu und so kurz nach der Bundestagswahl möchte sowieso niemand was über derartige Richtungsangaben mehr lesen.

Konfuzius“Del Chinese lollt das El” wie jeder weiss. Es scheint eine Weisheit des Konfuzius. Und doch müssen wir hier mal den landesfarbigen Korrekturstift ansetzen, denn leider ist dies ein Vorurteil. Zumindest meine beiden Schallempfänger haben noch keine ausgeprägte R-Schwäche der Bevölkerung feststellen können.

“Try red rooster, gringo” macht zwar überhaupt keinen Sinn, wäre rein phonetisch jedoch kein Grund für den Kollegen von nebenan, den Entknotungsdienst zu rufen. Man höre und staune. Gut, es ist kein gekratztes R, wie wir Deutschen es kennen und mögen, aber immerhin ein als solcher zu erkennender Buchstabe.

Und doch, es gibt da ein gewisses Problem. Allerdings nicht beim R wie wir nun wissen, sondern –jetzt kommts– ausgerechnet beim L! Der lallende Buchstabe lodernder Leichtigkeit geht dem Kollegen sehr viel schwerer über die Oberkante Unterlippe, zumindest wenn es nicht am Wortanfang steht. “Towel” klingt dann so wie “Towouh” und “Köln” wie “Köuhn”.

Ja, Moment einmal. Da sind sich Quadrilliarden Menschen weltweit einig, dass der Herr Li sich zwar kein X für ein U vormachen lässt, aber ein L für ein R. Und dann soll er das in Wirklichkeit gar nicht aussprechen können? Wie geht denn sowas?

Nun, ich hätte da eine Lösung anzubieten. Ohne Fokusgruppe und nicht repräsentativ, dafür interessant:

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Des Kaisers neue Kleider

Montag, September 28th, 2009

Ein Dröhnen über den Köpfen, Knattern auf der Straße, Spannung in der Luft. Drei Tage vor dem großen Ereignis steht die Welt kopf im Lande Confuzius. Am Donnerstag wird es soweit sein, dann zeigt China sein strahlendes neues Machtgesicht: Über den Tian’anmen Platz vor der verbotenen Stadt werden tausende Füße marschieren, riesige LKW-Reifen und harte Ketten die Beständigkeit des Asphaltes testen. China wird 60 und alle freuen sich. Gefälligst.

Blumen überall. An jeder Straßenecke, vor jedem großen Gebäude. Blumen, Blumen über Blumen. Meisterlich angeordnet malenMann hast Du 'ne Fahne Blütenblätter farbige Glückwünsche in die florale Pracht. Parolen zur Feier der Republik. Lampions und Fahnen tauchen die Stadt in ein tiefes Rot, das bei so manchem Fremdling Erinnerungen wachrufen, die hier nicht erwünscht sind.

Die große Sicherheit hat zugenommen. Polizei an jeder Ecke, SWAT Teams an den großen Kreuzungen und man blickt in entschlossene Gesichter hinter Stahlhelmen und Repetiergewehren mit aufgestecktem, ungeschützten Bajonett. Gepanzerte Einsatzfahrzeuge mit eingelassenen Schießscharten lassen erahnen, was das Motto des Festes sein dürfte: Wir lassen uns das Feiern nicht vermiesen. Von niemandem. Hossa.

Peking ist durch drei Kontrollringe von der Aussenwelt geschützt. Wer in die Hauptstadt möchte, muss entweder per ID beweisen, dass er dort wohnt oder einen anderen offiziell beglaubigten Grund vorzeigen, um passieren zu dürfen, während ein Rudel Schäferhunde das Fahrzeug nach Sprengstoffspuren abschnüffelt. Ein entfernter Gruß von der alten Transitstrecke. Fremde sind nicht willkommen und als Ausländer ist man gut beraten, zu allem fröhliche Miene zu machen und bestenfalls seinen Pass mit gültigem Visum immer bei sich zu tragen.

Formation über PekingJa, Aufregung schwebt in der Luft. Und viel Stahl. Donnernd und brüllend sind sie vergangenen Montag auf ihrem letzten Testflug an unserem Büro vorbeigekommen: Die formationsfliegenden Düsenjets und Kampfhubschrauber. Endlose Weiten stolzer Aerodynamik mit eingebautem inneren Rolling Stones Soundtrack. Oder dem chinesischen Pendant.

Parallel dazu walzten sich die Kolonnen der Panzer und Raketenträger über die Chang’an Street. In perfekter Koordination. Es geht voran.

Ich hatte das zweifelhafte Glück, Teile der Paradenwagen zu sehen, die sich für einen Testlauf über die abgesperrten nächtlichen Straßen bewegten. Heroische, kommunistisch inspirierte Farben und Formen waren dort zu sehen. Meterhohe Götzenbilder großer Führer der Vergangenheit und Leitbilder für die Zukunft. Atomraketen aus Pappe zeigen, was man kann. Und wer das nicht verstanden hat, wird spätestens am Donnerstag beim Anblick der realen Artillerie zu Gefühlsausbrüchen hingerissen werden. Welcher Art diese sind, dürfte aber sicherlich kulturbedingt sein.

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Was man hat, das hat man. Nicht.

Montag, September 21st, 2009

Auf einem unscheinbaren Parkplatz im frühen Februar 1991:
Herr Köhler lugt über den Rand seiner Brille. “In Zukunft etwas weniger forsch” sagt er bestimmt, aber nicht unfreundlich. Um die Augen zeigt sich der Hauch eines Lächelns, das den Panzer der Authorität jedoch nicht völlig zu durchbrechen vermag. Er kritzelt seine Unterschrift auf einen rosafarbenen Bogen Papier und reicht ihn nach vorne. “Dreimal falten” weist er noch an, bevor er die Tür des weissen Golf 2 öffnet und in die kühle Winterluft hinaustritt. Wenig später ist er um die nächste delmenhorster Strassenecke entschwunden.

Da war er also, der Lappen der Freiheit, das Ziel spätjugendlicher Strebsamkeit: der Führerschein Klasse 3! Von gelben Postbombern bis zu süddeutschen Vorzeigekarossen hat er mich begleitet, die ein oder andere Beule ermöglicht und dem Staat nur Gutes getan. Zumindest was Steuern und Gebühren für Parken mit oder ohne Ticket betrifft.
Die Welt schien greifbar mit ihm. Man konnte fahren wann und wohin es einem beliebte. Erst Deutschland, dann Nord- und Südeuropa, USA und sogar England, obwohl da alles etwas verdreht ist.
Führerschein Klasse 3 Aus der EG wurde die EU. Es kam der internationale Führerschein dazu, und dann wurde alles eine Scheckkarte nach amerikanischen Prinzip. Man ließ die Nummerierung der Klassen fallen und wandte sich einem undurchdringlichen Dickicht an Buchstanbenkombinationen zu. Die Welt wuchs an manchen Stellen zusammen und teilte sich an anderen, aber der rosa Bogen blieb was er war: eine überall gern gesehene Erlaubnis zur Kfz-Fortbewegung. Kein Grund also, das Format jemals einer Internationalisierung zu unterziehen, zu verbuchstabieren und/oder von Schein auf Karte zu verlegen.
Bis sein Besitzer eines Tages etwas ganz anderes verlegte – und zwar den Wohnsitz nach China.

Der mitdenkende Leser meint an dieser Stelle wahrscheinlich ‘hätte er mal doch das Format gewechselt’.
Das ist an und für sich keine schlechte Idee – immerhin klassifiziert das Land China als Nation und damit als Teil der Inter-Nationen. Aber wer hier schon hin und wieder einen Artikel gelesen hat, weiß dass man in China mit logischen Schlussfolgerungen etwas vorsichtig sein muss. Hier gilt, wie sollte es auch anders sein, der chinesische Führerschein und nur der chinesische Führerschein und sonst nix und zwar gar nix.

Die EU hingegen erlaubt chinesischen Staatsbürgern das Steuern eines Kraftfahrzeugs direkt nach Ankunft bis zu einer Dauer von 6 Monaten Aufenthalt, bevor eine EU-Fahrelaubnis erstanden werden muss. Ich möchte behaupten, dass wer immer das beschlossen hat, niemals Fussgänger auf den roten Strassen der Eitelkeiten sein durfte. Ich bitte die folgende Verallgemeinerung zu entschuldigen, aber Herrn Li unvorbereitet auf ein Strassenverkehrssystem loszulassen, das auf Um- und Rücksicht basiert, gewinnt nicht den Preis der weltbesten Idee.

Herr Li wird an der nächsten roten Ampel mit 60/h rechts abbiegen und dabei fröhlich auf sein Handy eintippen. Selbst wenn er die kreuzenden Fußgänger aus dem Augenwinkel erspähen sollte, werden sie seinen Gasfuss nicht einmal zum leichten Luften animieren. Der EU-Fussgänger aber ist es gewohnt, spontan bei Grün den Marsch über die Strasse zu beginnen, und er wird die heranrasende Gleichgültigkeit nicht einmal erahnen, bevor ihn schlagartig und recht unsaft der Kulturschock trifft.
Dem vorausschauenden weißen Ritter der Bremsfähigkeit aber soll es verwehrt bleiben, sich im Land der Hupe hinter den Airbag zu setzen? Sollte Herrn Köhlers Urteilsvermögen in Zweifel gestellt werden müssen? Wo kommen wir denn da hin? Nun, zunächst einmal nur bis zum Taxistand.

Anmeldewisch

Dass das auf die Dauer nicht weit genug ist, überrascht sicher niemanden. Es bleibt also nur eines und zwar eine neuerliche Prüfung ablegen. Wieder einmal einen Haufen Passbilder anfertigen (die Reste vom letzten VISA-Drama haben selbstverständlich das falsche Format) und gegen ein Buch eintauschen: Driver License Study Guide and Handbook. Ein 120 A4-Seiten starkes Regelwerk mit rund 1.000 dicht gedrängten Fragen in fröhlichem 11-Punkt New Courier Schriftschnitt. Und es gibt doch tatsächlich noch etwas zu lernen.

Da wird geraten, nach einer Bergabfahrt nicht sofort in ein offenes Gewässer zu fahren, damit die Bremsscheiben nicht bersten. Das Anlegen eines Gurtes empfiehlt sich nur dann, wenn das Fahrzeug welche haben sollte, und man weist ausdrücklich darauf hin, sich rasch hinter dem Lenkrad quer zu legen, wenn eine Frontalkollision unausweichlich ist. Das wär das Sicherste. Siehste, wusste ich gar nicht.

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WinWin Partnerschaften

Mittwoch, September 2nd, 2009

Die Grundlage des Schreibens eines Auslandsblogs, ist die logische Tatsache, dass man sich fern der Heimat befindet. Diese will man natürlich ab und an einmal zu Gesicht bekommen. Und das geht von Orten, die sogar noch hinter Meppen liegen natürlich sinnvoll nur auf dem Luftwege.

Wir stellen uns also folgende Situation vor: Die Buchung des Feiertags-Heimfluges ist gerade abgeschlossen, und auf der Bestätigungsseite sticht dem Reiselustigen der fröhliche Lufthansa/Sixt Partnerbanner ins Auge. Dieser verlautet partnerschaftliche Tarife und verspricht dadurch Geldsparen. Also flugs mal draufklicken.

Nach dem Aussuchen eines passenden Gefährts ist der Tari fin der Tat ganz ok: 389 Euro für 8 Tage bei 2.400 Inklusiv-km und der Option, für 1,87 Euro pro Tag noch Navi zu bekommen.

Aus Interesse daran, wieviel man als ‘Partner’ wohl spart, schauen wir einfach mal auf der Sixt.com Seite nach den regulären Preisen.

Partnertarife Lufthansa Sixt

Der reguläre Preis für dasselbe Fahrzeug im selben Zeitraum ist nur 352 Euro, mit gänzlich unlimitierten Inklusiv-km, und Navi gäbe es für 1,76 Euro pro Tag. Moment mal – das heisst ja, dass alle unpartnerschaftlich Buchenden mindestens 36 Euro sparen. Bei Navibuchung kämen nocheinmal 12 Cent pro Tag dazu! Die Europäer sind unter dieser Betrachtung auch nicht gerade logischer als die Chinesen.

Dass Lufthansa & Sixt eine WinWin Combination ist, wie man im Werbetitel lesen kann, bezieht sich wohl darauf, dass beide Firmen gewinnen, indem sie sich den Aufpreis für diejenigen teilen, die parnerschaftlich genug sind, alles zu glauben und blind zu buchen.

Wenn Partnerschaft also teuer ist, würde ich in Zukunft gerne den Gegnertarif buchen. Dabei spart man sicherlich mal so richtig!

Nun mach aber mal nen Punkt

Montag, August 24th, 2009

Zehn – Hundert – Tausend – und nochmal – danach Million: Das metrische System. Klasse Sache eigentlich so prinzipiell. Egal ob Entfernung, Gewicht, Anzahl an Shoppingtüten oder Gesamtsumme des Candle-Light Dinners – wer bis Zehn zählen kann, hat es voll drauf. Na, zumindest im festländischen Euro-Raum.

Freund Franzose muss natürlich ein wenig aus der Reihe fallen und so lustige Zählarten wie 4*20 anführen, wenn er 80 meint. Franzosen und Chinesen haben übrigens viel gemein. Die Befremdung mit dem Englischen beispielsweise oder die Weigerung, standardisierte Bezeichnungen, wie ‘Computer’ oder ähnliches in ihres Sprache zu übernehmen. (Nun gut, hüstel, in Deutschland nutzt man auch die irrige Bezeichnung ‘Handy”, wenn man Mobiltelefon meint…aber lassen wir das. Über Engisch als Sprache hatten wir uns gerade erst ausgelassen)
Möglicherweise ist das auch der Grund, weshalb die Franzosen die wohl größte Gruppe der ausländischen Mitbewohner in Chinas Hauptstadt darstellen. Und da vermute ich konspirative Sprachbeeinflussung auf höchster Ebene. Hier kommen wir übrigens wieder zurück zu den eingangs erwähnten metrischen Eigenheiten.

Auch in China ergibt 100 * 100 * 100 eine Million, aber der Weg dorthin ist ein gänzlich anderer, als an der Waterkant.
Für größte Verwirrung sorgt alles, was sich oberhalb von 9.999 befindet. Metrisch beeinflusst sagt man bei uns Zehntausend, weil es halt zehn von diesen Tausendern braucht, um 10.000 zu bilden. Und jetzt kommts – in China gibt es für diese Zahl einen eigenen Ausdruck: wàn.
chinese counting
Damit der Umgang damit verständlich ist, übersetzen wir den Begriff einmal spasseshalber mit ‘Zausend’. 10.000 sind damit also Einzausend und werden entsprechend 1.0000 geschrieben. Punkt-Rutsche also. Aha.
Wie sagen und schreiben wir dann 30.000? Na? Genau – Dreizausend oder auch 3.0000 , bzw. in chinesischer Schrift 三万.

Kommen wir zu Stufe 2. Wie sagen wir wohl 30.010? Zunächst schreiben wir das mal richtig: 3.0010. Gut und wie hört sich das an? Dreizausend Null Zehn! Man ist hier ein wenig faul und nennt nur eine einzelne Null, anstelle derer zwei. Mhm.

Stufe 3. Jetzt legen wir den Hebel mal ordentlich um: 500.001. Knapp über eine halbe Mille also. Na, jemand eine Idee? Bueller? Hier kommt die flöhliche Lösung: geschrieben wirds 50.0001 und gesprochen wie folgt: Fünfzigzausendnulleins. Aber sicher doch! Und wenn man jetzt noch in die Schale wirft, dass Fünfzig im Chinesischen wie “Fünf, Zehn” ausgesprochen wird, dann kommt akustisch ein Fünfzehnzausendnulleins, wenn man Fünfhunderttausendeins erwartet. Jemand noch’n Bier?

Für eine Million gibt es nebenbei erwähnt auch ein eigenes Wort: yì, aber die Erklärung der Millionen-Eskalation spare ich mir mal. Gut, dass man im Alltag nicht so häufig mit diesen Zahlen umgehen muss, sonst müsste das verwirrte DIN-Gewohnheitstier nonstop den Taschenrechner bemühen.