Archive for Dezember, 2009

Meckern, Tischkante und das K im TV

Mittwoch, Dezember 30th, 2009

“Gott, dauert das immer so lange hier”?
“Ja, nervig, die haben einfach kein System”.
“Schlimm. Wer’s nicht kann, sollte einfach kein Restaurant aufmachen”.
“Absolut. Eine Frechheit ist das”.
“Übrigens, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt: Meyer”.
“Angenehm, Schulze”.

Wer bei dem obigen, verkürzt dargestellten Dialog ein warmes Gefühl im Bauch spürt und sich am liebsten auch gleich vorstellen möchte, der ist vor allem eines: ein Deutscher.

Göthe sagte schon so schön “Mit dem Wissen wächst der Zweifel”. Und seinen Kindeskindern gereicht das als Mantra. Der Zweifel nährt die Kritik, womit Nörgeln im Allgemeinen, im Speziellen und über alles und jedes zum Selbstverständnis wird. Dabei ist es oft gar nicht so gemeint. Es dient vor allem dazu, eine gemeinsame Basis zu finden, eine Verbindung zwischen zwei Fremden. Du genauso entrüstet wie ich? Klasse, wir Freunde.

Herr Johnson macht das ähnlich. Nur geht es bei ihm über den Pluspol: das gemeinsame Feiern des absolut greatest Day im Life und die Gewissheit, man sei noch nie sowas von fine gewesen. Helau in allen Gassen, da sind die imaginären Pom Poms immer im Anschlag.

Herr Li schlägt ganz andere Töne an. Und zwar wörtlich. Man sollte sich in seiner Gegenwart mit allzu deutschen Beschnüffelungen zurückhalten. Herrn Li irritieren diese, denn er ist es nicht unbedingt gewohnt, sich Fremde durchs Meckern zu Freunden zu machen. Insbesondere wenn man sich in seinem Land aufhält, nimmt er um sich greifende Kritik möglicherweise sogar persönlich.

Für ihn gibt es dagegen zwei sehr etablierte Verbrüderungs-Rituale. Diese bedeuten dem durchschnittlichen Westler einerseits Kopf- und andererseits Bauchschmerzen. Obwohl keines der beiden auch nur im Geringsten etwas mit Kung Fu zu tun hat.

MaotaiphotoVariante 1 ist der 白酒 bzw. Báijiǔ. Wahlweise auch Sagrotan, aber das ist subjektiv. Das Getreide-Schnaps Derivat kommt aus derselben benebelten Ecke wie Korn, Obstler und Vodka. In China ist es DAS Getränk schlechthin. Es gibt den Baijiu in vielen Varianten, sein Alkoholgehalt pendelt je Marke um 55%, sein Preis zwischen Gut und Böse. Und er hat das Wort ‘Ganbei’ geprägt, das viele Ausländer als ‘Prost’ missverstehen. Dabei steht ‘gan’ für ‘machen’ und ‘bei’ für ‘Norden’. “Nach Norden machen” beschreibt in diesem Fall den Glasboden und heisst also “auf Ex”.

Randnotiz: Bitte keinem Chinesen mit ‘Ganbei’ zuprosten und dann nur vorsichtig anschlürfen. Es sorgt für wenig Gegenliebe, wenn dieser den Kopf aus dem Nacken nimmt und feststellt, dass er als einziger sein Glas geleert hat. Trinken ist eine ernste Angelegenheit und vor allem mit traditionell eingestellten Chinesen eng mit Ehre verbunden.

Im Falle von Baijiu ist Ganbei jedoch Programm. Und zwar, bis einer der Teilnehmer die Tischkante von unten sieht. Da darf man sich wieder jung fühlen und an die Trinkspiele der Jugend erinnern. Tags darauf fühlt man sich hingegen meist deutlich gealtert.

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Der Baum, der hat drei Ecken, drei Ecken hat der Baum

Dienstag, Dezember 15th, 2009

Ach, Du mein lieber Herr Li. Es ist einmal wieder besonders Herr-Li-ch, was Du Dir so für das größte Fest westreligiöser Konsumfreude ausdenkst. Bereits Ende Oktober haben wir Verständnis mit Deinen eifrigen Aufrüst-Versuchen gezeigt. Nun aber betritt Dein Unbegreifen gar picassoistisches Terrain.

Weihnachtsbaum AEZ HamburgAuch im amerikanisch beeinflussten Deutschland gewöhnen wir uns immer mal wieder daran, dass ein Weihnachtsbaum zum Kegel stilisiert wird. Das ist praktisch, weil industriell einfacher produzierbar. Und wenn man ihn dann voller Glitter hängt, merkt fast niemand, dass dem falschen Fuffziger die Hüfte fehlt. Geblinke lenkt halt ab.

Zum Beispiel hier ein Bild aus meinem liebsten deutschen Konsumtempel, dem AEZ in Hamburg. Ein bisschen Gold, ein wenig Rot und alles geschmackvoll verteilt – so kann man damit durch kommen. Selbst die Kegelform ist nicht allzu stark übertrieben und lässt noch so manch Perfektionslosigkeit erkennen. Frei nach Stenkelfeld ist das sicherlich beabsichtigt: Da weiss der geneigte Kunde gleich “Aha – der sieht oben so krumm aus, der muss echt sein und is bestimmt von greisen Norwegern mit viel Liebe ein Leben lang aufgezogen, im Zuge eines feierlichen Dorf-Festes als schönster Baum gekürt, umgesägt und dann direkt hierhin verbracht worden, damit wir uns den jetzt zwei Wochen lang angucken können”.

Der aufmerksame Betrachter erkennt zweifellos auch die umherfliegenden besinnlichen Sterne an der Decke und noch so manch anderes dunkelgrünes und dunkelrotes Zeugnis, dass man sich nun in der Adventszeit befindet.

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Wo ist denn das jetzt?

Mittwoch, Dezember 9th, 2009

Wenn Herr Müller eine Party gab, hat er früher immer eine eine Karte gemalt, damit Herr Meier und Herr Schultze auch wussten, wo sie hin mussten.
Das war sehr hilfreich.

Nur war die Karte nach einiger Zeit und unzähligen Durchläufen auf dem Kopierer etwas schwer lesbar. Dann mussten Herr Meier und Herr Schultze manchmal anhalten und jemanden fragen.

Müller Junior hat es da heute etwas einfacher. Wenn seine Eltern mal auf einem Kegelausflug sind, schickt er einfach fix einen Link per Google Maps und die Fräuleins Meier und Schultze wissen genau, wo er wohnt. Keine Fragen offen.

Der Segen des Internets liegt für viele in den bestechend einfach zu bedienenden Karten-Applikationen von Google, Microsoft und dergleichen. Auf der Karte suchen, im Satellitenmodus kurz die Optik checken, alles ausdrucken und ab geht’s. Mann kann sich sehr schnell dran gewöhnen.

Bis, ja bis man in China ankommt. Für den nicht der Landessprache mächtigen ergibt sich ein bunter Strauss Probleme, von deren Existenz er nicht einmal zu Albträumen gewagt hat.

nanluoguxiangEin klassischer Fall: Man bekommt noch in Deutschland die Adresse des Büros in Peking geschickt: 南锣鼓巷8号.
Der eigene Rechner vermisst dummerweise den chinesischen Zeichensatz, so dass man nur kleine Quadrate sieht. Wahlweise auch viele Fragezeichen. [wenn dort oben keine chinesisch aussehende Adresse zu lesen steht, ist genau das auf dem PC des geneigten Lesers der Fall]. Man fragt nach und bekommt die Adresse nocheinmal, diesmal in Pinyin Schreibweise, also mit für westliche Augen lesbaren Buchstaben: 8nanluoguxiang.

Chinesiche Wörter werden ohne Leerzeichen aneinander gereiht. Die Dame im Pekinger Büro klatscht also alles zusammen, wie sie es gewohnt ist. Groß- und Kleinbuchstaben gibt es bei ihr ja auch nicht.
Man wundert sich,wie lang der Strassenname ist und ob das ein einziges Wort sei, kopiert ihn aber geschwind in Google Maps. Dort findet man prompt…nichts. “No results found” heisst es und das war’s.
Also wieder Rückfrage im chinesischen Büro. Können die denn ihre eigene Adresse nicht?

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