Archive for the ‘Gut zu wissen’ Category

Die Ordnung der Dinge

Mittwoch, Juli 21st, 2010

A kommt vor B. Und Ü noch V. Cz spricht sich zwar wie “Tsch”, findet sich aber dennoch unter C wieder.

Das Alphabet ist schon toll. Nicht nur ermöglicht es uns die verbale und schriftliche Kommunikation, es lassen sich damit sogar völlig neue Wortkombinationen erstellen. Ein Talent des Alphabets weiss man jedoch erst auf der anderen Seite der Erde zu schätzen: es sorgt für Ordnung.

Der Durchblick im Aktenschrank, CD- oder Bücherregal wäre für viele Menschen nur schwer vorstellbar ohne Alphabet. Es erleichtert auch das Durchgehen der Anwesenheitsliste in der Klasse und sorgt für Übersicht im Handy. Sortierung anhand von Vor- oder Nachname? Ein Klick und man weiß, wen man wo zu suchen -und finden- hat.

Was aber, wenn man nicht Tamara und Aaron einsortieren möchte, sondern 静 und 建国? (wir ignorieren hier einmal die Tatsachen, dass in China freilich nicht nach den Vor-, sondern den Nachnamen sortiert wird – sofern man sie denn so bezeichnen kann)

Auf der Suche nach Antwort laufen wir in eine der üblichen chinesischen Fallen: Man stellt eine direkte Frage wie, sagen wir mal: “wie sortiert ihr eigentlich in China?” und findet sich eine knappe Stunde später am anderen Ende einer recht auslaugenden hitzigen Debatte wieder, an deren nicht abzusehendem Ende keine eindeutige Antwort steht.

Dennoch versuche ich hier einmal eine europäische Zusammenfassung:

Die alten Zeiten (knapp 50 Jahre her) sind gottlob vorbei. Damals hatte so ziemlich jeder seine eigene Art zu sortieren, und wir wollen gar nicht erst versuchen, dort eine irgendwie geartete Logik anzusetzen. Heute findet man offenbar hauptsächlich zwei etablierte Systeme: Die Sortierung nach Aussprache und nach Strichzahl.

Ersteres ist leicht verständlich: 静 wird beim alphabetischen J abgelegt, da es “Jing” ausgesprochen wird. 建国 übrigens auch, weil wir hier ausgesprochen “Jian Guo” hören. Leider konnten meine Recherchen nicht in Erfahrung bringen, ob man wie nach abendländischem Verständis den Jian Guo VOR der Jing ablegt oder ob nach dem Anfangsbuchstaben dann alles chinesisch egal ist. Übrigens sortieren wohl auch die meisten Computer-Systeme auf diese Weise die mit chinesischen Schriftzeichen betitelten Dateien und damit zumindest phonetisch nach Alphabet. Es sei denn, sie tun es nicht, was auch vorkommt. Aber warum das manchmal der Fall ist, darauf konnte nun wieder niemand eine Antwort finden.

Ablege-Variation Nummer 2 bezieht sich auf die Anzahl an Linien, die sich in dem ersten Schriftzeichen befinden. 静 findet sich dann also unter 14 und 建国 unter 8 wieder. Für europäisches Verständnis ist dies eine sehr seltsame Vorgehensweise. Aus chinesischer Sicht jedoch ist das eng daran angelehnt, wie man unbekannte Schriftzeichen im Lexikon nachschlägt.

Da auch Chinesen ein Zeichen nicht aussprechen können, das sie noch niemals gehört haben, zählen sie die Striche im Haupt-Teil des Zeichens (wie man den findet, das erschliesst sich nur Herrn Li und den seinigen). In Lexika kann man sich auf diese Weise relativ rasch an das gewünschte Zeichen heranzählen, nachschauen, wie es ausgesprochen wird und welche Bedeutung es hat. Man ist also an die Verwandtschaft von Wort und Zahl gewöhnt.

Einzig, der ordnungsliebende Herr Meyer fragt sich, wie es sein kann, dass zwei verschiedene Systeme parallel existieren. “Da müsste man ja erst schauen, welches System verwendet wird!”. Ja, genau, Herr Meyer. Und Herr Li fügt beiläufig hinzu “Na und?” und kaut weiter an seinem Hühnerfuss aus der Tüte.

Tja, wenn man “Li” mit Nachnamen heisst, dann ist Ordnung nun einmal nicht das halbe Leben. Macht irgendwie auch nichts, die Chinesen scheinen das gut zu überleben. Unser bürokratischer Herr Meyer hingegen hat seine Fassung noch nicht wieder gefunden und bestellt noch ein Bier. Das wird im Chinesischen übrigens genau wie bei uns im Magen abgelegt. Na, am Ende sind wir eben doch nicht so verschieden. Ganbei!

Hauptgericht als Beilage

Dienstag, Juli 6th, 2010

“So, wir nehmen dann einmal den gebratenen Dingensfisch, diese kleinen scharfen Hühnerteile im Flechtkorb, die grünen Bohnen mit mini-Gehacktem, die grünrosanen kalten Gurken und das Schweinefleisch mit Paprikastreifen. Spatz, was wolltest Du noch gleich dazu haben?”

Herr Meyer blickt von der Karte auf. Seine Frau ist jedoch mit Herrn Johnsons Gattin in eine wichtige Diskussion über das Für und Wider vom Kauf gefälschter Handtaschen vertieft. “Ach ja”, fällt es Herrn Meyer da wieder ein, “Wir bräuchten unbedingt noch diesen Kartoffelberg. Sie wissen schon, die Zwergpommes, quasi. Die sind einfach spitze”.

Der Ober, ein schwippverschwägerter Cousin zweiten Grades von Herrn Lis Tante mütterlicherseits schreibt ordentlich mit und blickt Herrn Meyer dann wieder aufmerksam an. Als dieser nichts weiter von sich gibt und ebenfalls nur abwartend zurück schaut, ist er merklich irritiert. Was er daraufhin von sich gibt, irritiert hingegen nicht nur Herrn Meyer, sondern auch Herrn Johnson. Es würde sogar die anwesenden Damen verwirren, wenn diese denn von ihrem Gespräch abliessen.

“Und als Hauptgericht?”

Herr Meyer ist hilflos. Wohl merkend, dass sich eine peinliche Pause aufzubauen beginnt, versucht er rasend schnell eine Lösung für ein Problem zu finden, das er überhaupt nicht versteht.

“Nun, äh, wir nehmen dann noch das Lamm mit Koriander.” Fast klang es eher fragend als bestimmt. Und als Herr Meyer nun wieder den Ober anschaut, ist seine Unsicherheit recht offensichtlich. Wieviele Gerichte soll er denn hier bestellen, damit das als vollwertige Mahlzeit durchgeht?

Der Ober ist seinerseits ebenfalls etwas hilflos, macht sich dann jedoch schließlich auf den Weg zur Küche. Er muss wieder einmal so eine seltsame Ausländer-Bestellung aufgeben…

Hier haben wir einer Szene beiwohnen dürfen, die sich so oder so ähnlich praktisch täglich in den unzähligen Restaurants dieses Landes ereignet. Unser kulinarisches Quartett aus dem Westen wird später beim Verlassen des Restaurants den Kopf darüber schütteln, dass man in China ständig derart viele Hauptgerichte bestellen muss, dass man sie unmöglich aufessen kann. Der abräumende Ober seinerseits schüttelt auch den Kopf. Und zwar darüber, dass Ausländer so unnachvollziehbar viele Beilagen bestellen, dafür jedoch eine Menge anderes vergessen.

Der Ratz-fatz-schmatz erfahre Leser ahnt es schon: im Lande Li ist wieder mal alles gänzlich anders als bei uns.

Im Westen haben sich die Menschen an eine ganz klare Futterordnung gewöhnt: Steak mit Pommes, Hühnchen mit Reis, Lammkeule mit Frühlingsgemüse, Red Snapper an Salat. Sehr schön nach Schema L wie lecker wird jeweils das tierische Produkt als Hauptspeise und das pflanzliche als Beilage bezeichnet. Ein Nebenprodukt sozusagen und damit nicht so wichtig. Und irgendwie ist das sowieso völlig egal, weil sich ja alles auf einem einzigen Teller tummelt, den ausser dem Besteller sonst niemand anfassen darf.

Vor dem Hauptgericht darf es noch eine kleine Vorspeise geben, und die kann dann so ziemlich alles sein: heiss, kalt, tierischer oder pflanzlicher Natur. Als Speise vor dem Hauptgang hat sie keine nähere Bezeichnung wie Beilagenvorspeise oder Haupt-Hors D’œvre. Und bestellt man keine Vorspeise, stört das niemanden.

In China wird erwartet, dass man sich das Essen zusammenzustellen vermag. Hier wird eben nicht bereits für den Gast alles auf eine Portion hin auf dem Teller arrangiert. Man bestellt jede Speisenkategorie einzeln. Und dann nicht nur einen Komplett-Teller für sich selbst, sondern immer für die Gruppe. Alle Teller kommen in die Mitte auf die Drehplatte und jeder isst von allem. Wenn es denn lecker ist. Und sinnvoll zusammen gestellt.

Es sollte eine Suppe dabei sein, um den Magen anzuwärmen. Etwas kalte Vorspeise (warme gibt es praktisch nicht) sollte da stehen. Und dann eine Reihe von Gerichten, mindestens zwei Fleischkategorien abdeckend. Gemüseteller sind ebenfalls zu ordern. Und dann, ja dann kommen wir zum Hauptgang. Dieser wird entweder durch Reis verkörpert, durch Baozi (Teigbeutel mit Füllung) oder durch Nudeln, also etwas mit Stärke. Der Westler kommt da schon einmal hoffnungslos mit den Begrifflichkeiten durcheinander. Eine kleine Schale blanker Reis – und das ist nun eine Hauptspeise? Da kommt man im Leben nicht drauf, wenn es nicht einer klar stellt.

Tee gehört auch wie selbst verständlich zum Essen. Oder Bier. Klare Wahl. Und bei beiden gilt ein Prinzip: Der Gastgeber (wer das ist, dazu kommen wir gleich) schenkt nach. Wobei genauestens darauf zu achten ist, dass bereits ab knapp über Glas/Becher-Hälfte akuter Nachfüll-Alarm besteht. Der geruhsame Europäer, der gerne sein Glas leert oder sich beim Tee darauf freut, dass dieser ab der Hälfte endlich Trinktemperatur erreicht hat, kommt dabei in Verzehrstress. Viel zu häufig und zu viel trinkt er dann oft, da das Glas ständig gut gefüllt ist.

Wer nachschenkt muss übrigens ausserdem darauf achten, wie er die Teekanne abstellt. Der Hahn darf auf keinen Gast zeigen. Das ist unhöflich, bringt Unglück und läutet das Ende der Welt ein. Komisch nur, dass sich diese Regel ausschliesslich auf die Gäste am eigenen Tisch bezieht. Niemanden stört es, zeigt der Hahn auf 120 andere Menschen im Raum.

Wer als Gastgeber nicht nachschenkt, ist knauserig und kümmert sich nicht um seine Gäste. Wahlweise fällt die Auszeichnung des Pudelkönigs auch einfach auf die jüngere Generation, die sich um die Älteren zu kümmern hat. Egal, wer da jetzt wen einlädt.

Und da sind wir auch schon beim Thema Gastgeber. Nehmen wir an, Herr und Frau Meyer haben Herrn und Frau Johnson angerufen, um sich mit ihnen zum Essen zu verabreden. Aus chinesischer Sicht ist damit die Sache klar: Herr Meyer muss das Restaurant buchen, das Essen auswählen (mindestens zwei Gerichte mehr, als man essen kann), über den Getränkenachschub wachen und letztlich die Rechnung begleichen. Die Aufgabe von Herrn Johnson wäre es, so zu tun, als würde er die Rechnung übernehmen wollen. Dann müsste sich kurz gestritten werden und Herr Meyer behielte die Oberhand, damit Herr Johnson “nächstes Mal lade ich ein” sagen kann.

Das sollte er dann auch. Und dann ginge alles wieder von vorn los. Mit oder ohne Hauptgerichte.

Erleuchtung mit Alien Glibber!

Sonntag, Februar 28th, 2010

Am letzten Februartag war Jubiläum. Kein schönes zwar, aber es lässt sich nun mal beim besten Willen nicht übersehen.
Rostlaubig reckt sich das gefallene Ungetüm dem Himmel entgegen, fleckig wie das Fell eines räudigen Strassenköters. Die metallene Haut ist löchrig und vielerorts aufgeplatzt. Die aus ihnen heraus ragenden Stahlstreben formen sich zu bettelnden Händen. Dramatisch und still fragen sie “warum”?

Die Rede ist vom Mandarin Oriental. Dem Gebäude, das Teil des neuen und glorreichen CCTV Komplexes im Herzen Pekings werden sollte.

Im Verlauf des vergangenen Jahres konnte man die Verantwortung für seine verfrühte Abwrackung auf 20 Knallfrösche abschieben, die zur infrage kommenden Zeit entgegen polizeilichen Rates ihrer Böllerneigung frönten. Sie dürfen sich fortan um die Aufteilung der Rechnung im mehrstelligen Millionenbereich kümmern.

Der clevere Leser hat allerdings bereits gemerkt, dass da etwas mit dem Datum nicht stimmen kann. Das Feuerwerk der fünf Sterne Klasse fand am 10. Februar 2009 statt.

Weshalb also erst jetzt das Jubiläum?

Die Antwort ist wie so oft dem Kalendersystem geschuldet. 15 Tage nach dem chinesischen Neujahr findet das Laternenfest statt. Hier verpuffen die letzten eisernen Böller-Rationen im Zuge der neujährlichen Abschlussfeier. Kein Tag für Freunde der Ruhe und des Friedens. Und kein guter Tag für Neubauten wie es scheint.

Am 28. war also wieder Laternenfestival. Und man hat vorgesorgt. So ein Hotel-Barbequeue sollte nicht noch einmal passieren. Schilder ermahnten allerorts, dass Feuerwerk nicht im Stadtzentrum erlaubt sei, nicht in der Nähe von Gebäuden, an Plätzen öffentlichen Interesses und überhaupt irgendwie am besten gar nicht. “No Bölling” Parole könnte man das nennen.

Aber was machen wohl die Milliarden Chinesen, wenn die Verkaufszeltemafia in jeder größeren Strasse im Abstand von wenigen hundert Metern den Explosionsmuskel reizt?
Sie kaufen. Und das kartonweise.

In diesem Jahr gab es landesweit 676 Feuer, und es wurden summa summarum Schäden im Wert von 2 Millionen Yuan angerichtet. Man brüstet sich seltsamerweise damit, dass die Todesrate um 66,7 Prozent geringer war als im Jahr zuvor, nennt dabei vorsorglich aber erstmal keine Zahlen.
Vielleicht ist das auch besser so, denn allein in Guangdong wurden in der finalen Woche bei einer einzigen feuerwerksbedingten Explosion 21 Menschen von der Einwohnerliste gefegt. Das rechnen wir mal besser nicht landesweit hoch.

Dabei ist das Laternenfestival ursprünglich ersonnen, um Leid und Tod fern zu halten, statt es herbei zu holen. Das Böse mit rotem Licht wie von Feuer und dem Krach explodierender Feuerwerkskörper einschüchtern und das Gute hereinlassen, das sollte Glück und Erfolg fürs neue Jahr sichern.

In meinem Bestreben, die Leser dieses Blogs zu den bestinformiertesten dieses Planeten zu machen, habe ich versucht, so viel wir möglich über diesen Tag heraus zu finden. Alles hängt zwar mächtig voller roter Lichtlein, Herrn Lis Vorfahren waren jedoch reiselustige Gesellen und so haben sich die unzähligen historischen Riten und Gebräuche der schier endlosen Regionalkulturen heute stark vermischt.

So recht weiß offenbar niemand mehr, worauf gewisse Traditionen beruhen. Man hätte einen Drachen getötet und wollte dem erzürnten Gott vorgaukeln, die Erde sei bereits im Untergang. Machte man mächtig auf Theater, und das sollte den Gott von seiner Rache absehen lassen. Dass dieser am nächsten Tag beim Blick aus dem Fenster eben diese Erde aber wieder in bester Verfassung vorfinden würde und seine Rache dann halt einen Tag später ausüben könnte, daran hat niemand gedacht. Man bekommt ein gemurmeltes “Frag nicht so viel” zur Antwort.

Aber der Chinese selbst fragt sowieso nicht gern ‘warum’, sondern macht einfach. Bis zum 17. März nicht zum Friseur gehen, weil das dem Onkel Unglück bringen würde? Er weiss auch nicht so recht warum, hält sich aber dran. Zum neuen Jahr Dumplings essen, in denen Münzen versteckt sein könnten? Haben wir immer so gemacht, was soll die Fragerei?

Zugegeben – in Deutschland weiß auch nicht jeder, weshalb es zu Ostern Eier gibt, die angeblich ein Hase bringt. Und zu Weihnachten streiten Kartoffelsalat- und Gansgerichte um die Vorherrschaft bei den Traditionen. Warum? Egal, es schmeckt, warum also nicht?

In Peking jedenfalls isst man anlässlich des Laternenfestes so…äh….Dinger. Ich habe sie der Einfachheit halber und aufgrund ihrer Konsistenz vielsagend ‘Alien Glibber’ getauft. Wer es gerne ekelig mag, kann hier von einem weich gekochten Rinderauge sprechen, das entspräche der Konsistenz. Aber dann mag man nun gar nicht mehr zubeissen.

Freilich steckt auch hinter diesem Brauch eine lange Geschichte voller Drachen, Leid und tapferen Jungfrauen. Diese soll jedoch ein andernmal erzählt werden. Geschmacklich ist die ganze Schose nach einer sehr kurzen Gewöhnungsphase von knapp einem Jahr (man isst die Kollegen nun einmal praktisch nur zu Neujahr) gar nicht so schlecht: einem ausgenudelten Squash Ball nicht unähnlich drückt man die Oberfläche bis fast ganz nach unten durch, bevor die Physik es einem erlaubt ins Innere vorzudringen. Und dort erwartet den Unerfahrenen der farbliche Komplementärkontrast: eine tiefschwarze Masse quillt hervor und vereinnahmt die unschuldig weißen Ränder des Bällchens ohne Zögern.

“Indiana Jones Teil 2″ geistert durch den Kopf. Erinnerungen an eine Kindheit, gebannt vor dem Fernseher sitzend, die VHS Leihkassette im quietschenden Player. Harrison Ford mit Hut und Peitsche an der Tafel des Grauens, auf der sich Affenhirn, Käfer und Schlagen als Delikatesse feilbieten. Der erste Eindruck ist verwandt. Beinahe enttäuschend langweilig jedoch dann die Realität: kein platzender Chitinpanzer, keine grausamen Bitterstoffe attackieren den Gaumen. Stattdessen Entspannung auf der Geschmacksfront: es handelt sich um süße Klebereis-Bällchen mit Sesamfüllung. Und so ungefährlich munden sie dann auch. Eine nette Nachspeise. Ungewohnt, aber nicht unlecker.

Im fröhlich schmatzenden, schnatternden und häufig “Ganbei” rufenden Familienkreise sitzend, kann man dann zum Schluss vor allem eines feststellen: Auch der Westler braucht für Gemütlichkeit kein Warum. Höchstens ein “warum nicht öfter”?

Anmerkung am Rande:
wir haben unsere private Artillerie gänzlich ohne Zwischenfälle und ungeplante Brände von Kulturgut hinter uns bringen können.

Aber wir hatten auch nur zwei ganz kleine Knallerchen aufgefahren…

Meckern, Tischkante und das K im TV

Mittwoch, Dezember 30th, 2009

“Gott, dauert das immer so lange hier”?
“Ja, nervig, die haben einfach kein System”.
“Schlimm. Wer’s nicht kann, sollte einfach kein Restaurant aufmachen”.
“Absolut. Eine Frechheit ist das”.
“Übrigens, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt: Meyer”.
“Angenehm, Schulze”.

Wer bei dem obigen, verkürzt dargestellten Dialog ein warmes Gefühl im Bauch spürt und sich am liebsten auch gleich vorstellen möchte, der ist vor allem eines: ein Deutscher.

Göthe sagte schon so schön “Mit dem Wissen wächst der Zweifel”. Und seinen Kindeskindern gereicht das als Mantra. Der Zweifel nährt die Kritik, womit Nörgeln im Allgemeinen, im Speziellen und über alles und jedes zum Selbstverständnis wird. Dabei ist es oft gar nicht so gemeint. Es dient vor allem dazu, eine gemeinsame Basis zu finden, eine Verbindung zwischen zwei Fremden. Du genauso entrüstet wie ich? Klasse, wir Freunde.

Herr Johnson macht das ähnlich. Nur geht es bei ihm über den Pluspol: das gemeinsame Feiern des absolut greatest Day im Life und die Gewissheit, man sei noch nie sowas von fine gewesen. Helau in allen Gassen, da sind die imaginären Pom Poms immer im Anschlag.

Herr Li schlägt ganz andere Töne an. Und zwar wörtlich. Man sollte sich in seiner Gegenwart mit allzu deutschen Beschnüffelungen zurückhalten. Herrn Li irritieren diese, denn er ist es nicht unbedingt gewohnt, sich Fremde durchs Meckern zu Freunden zu machen. Insbesondere wenn man sich in seinem Land aufhält, nimmt er um sich greifende Kritik möglicherweise sogar persönlich.

Für ihn gibt es dagegen zwei sehr etablierte Verbrüderungs-Rituale. Diese bedeuten dem durchschnittlichen Westler einerseits Kopf- und andererseits Bauchschmerzen. Obwohl keines der beiden auch nur im Geringsten etwas mit Kung Fu zu tun hat.

MaotaiphotoVariante 1 ist der 白酒 bzw. Báijiǔ. Wahlweise auch Sagrotan, aber das ist subjektiv. Das Getreide-Schnaps Derivat kommt aus derselben benebelten Ecke wie Korn, Obstler und Vodka. In China ist es DAS Getränk schlechthin. Es gibt den Baijiu in vielen Varianten, sein Alkoholgehalt pendelt je Marke um 55%, sein Preis zwischen Gut und Böse. Und er hat das Wort ‘Ganbei’ geprägt, das viele Ausländer als ‘Prost’ missverstehen. Dabei steht ‘gan’ für ‘machen’ und ‘bei’ für ‘Norden’. “Nach Norden machen” beschreibt in diesem Fall den Glasboden und heisst also “auf Ex”.

Randnotiz: Bitte keinem Chinesen mit ‘Ganbei’ zuprosten und dann nur vorsichtig anschlürfen. Es sorgt für wenig Gegenliebe, wenn dieser den Kopf aus dem Nacken nimmt und feststellt, dass er als einziger sein Glas geleert hat. Trinken ist eine ernste Angelegenheit und vor allem mit traditionell eingestellten Chinesen eng mit Ehre verbunden.

Im Falle von Baijiu ist Ganbei jedoch Programm. Und zwar, bis einer der Teilnehmer die Tischkante von unten sieht. Da darf man sich wieder jung fühlen und an die Trinkspiele der Jugend erinnern. Tags darauf fühlt man sich hingegen meist deutlich gealtert.

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Wo ist denn das jetzt?

Mittwoch, Dezember 9th, 2009

Wenn Herr Müller eine Party gab, hat er früher immer eine eine Karte gemalt, damit Herr Meier und Herr Schultze auch wussten, wo sie hin mussten.
Das war sehr hilfreich.

Nur war die Karte nach einiger Zeit und unzähligen Durchläufen auf dem Kopierer etwas schwer lesbar. Dann mussten Herr Meier und Herr Schultze manchmal anhalten und jemanden fragen.

Müller Junior hat es da heute etwas einfacher. Wenn seine Eltern mal auf einem Kegelausflug sind, schickt er einfach fix einen Link per Google Maps und die Fräuleins Meier und Schultze wissen genau, wo er wohnt. Keine Fragen offen.

Der Segen des Internets liegt für viele in den bestechend einfach zu bedienenden Karten-Applikationen von Google, Microsoft und dergleichen. Auf der Karte suchen, im Satellitenmodus kurz die Optik checken, alles ausdrucken und ab geht’s. Mann kann sich sehr schnell dran gewöhnen.

Bis, ja bis man in China ankommt. Für den nicht der Landessprache mächtigen ergibt sich ein bunter Strauss Probleme, von deren Existenz er nicht einmal zu Albträumen gewagt hat.

nanluoguxiangEin klassischer Fall: Man bekommt noch in Deutschland die Adresse des Büros in Peking geschickt: 南锣鼓巷8号.
Der eigene Rechner vermisst dummerweise den chinesischen Zeichensatz, so dass man nur kleine Quadrate sieht. Wahlweise auch viele Fragezeichen. [wenn dort oben keine chinesisch aussehende Adresse zu lesen steht, ist genau das auf dem PC des geneigten Lesers der Fall]. Man fragt nach und bekommt die Adresse nocheinmal, diesmal in Pinyin Schreibweise, also mit für westliche Augen lesbaren Buchstaben: 8nanluoguxiang.

Chinesiche Wörter werden ohne Leerzeichen aneinander gereiht. Die Dame im Pekinger Büro klatscht also alles zusammen, wie sie es gewohnt ist. Groß- und Kleinbuchstaben gibt es bei ihr ja auch nicht.
Man wundert sich,wie lang der Strassenname ist und ob das ein einziges Wort sei, kopiert ihn aber geschwind in Google Maps. Dort findet man prompt…nichts. “No results found” heisst es und das war’s.
Also wieder Rückfrage im chinesischen Büro. Können die denn ihre eigene Adresse nicht?

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Mal mir mal ‘ne Bedeutung

Mittwoch, November 25th, 2009

“a, e, i, o, u” – ein Vokal hat es gut bei uns. Als warm wird er empfunden, als ehrlich und angenehm. Die deutsche Sprache ist voll von Vokalen. Ließe man sie weg, wäre man schnell bei Tschechisch, ukrainisch oder Südpolnisch. Und das klingt in unseren westlichen Ohren hart und unangenehm.

aeiouGut, Konsonanten braucht es auch. Würde man diese weglassen, klänge ein jeder von uns wie ein sabberndes brabbelndes Baby. Niedlich zwar, aber wenig sinnvoll für die Verständigung.

Der Vorteil an der Kombination der beiden ist unübersehbar. Es lässt sich damit beinahe jedes Wort so niederschreiben, dass der Nachbar es phonetisch reproduzieren kann. (wir lassen hier einmal kultur- und dialektbedingte Unterschiede in der Aussprache ausser Acht)

Ein weiterer, oft vernachlässigter Vorteil dieses Systems ist die Möglichkeit, neue Worte zu erfinden, die wiederum andere direkt lesen und aussprechen können. Und durch Ableiten von Wortähnlichkeiten können sie in diesen neuen Begriffen sogar oftmals sofort Sinn erkennen. “Fluxkompensator” beispielsweise. Dieser scheint einen irgendwie gearteten Fluss auszugleichen. Vielleicht weiss man zunächst nicht mehr als das, ist aber zumindest schon einmal darüber informiert, dass es sich mit großer Wahrscheinlichkeit nicht um ein Frühstücksei handelt.

Ein Nachteil des Buchstaben-Reigens ist die absolute Notwendigkeit, jeden Ton durch einen Alphabet-Teilnehmer repräsentieren zu lassen. Das führt dann gerne mal zu Bandwürmern wie diesem hier: “Suppenlöffelstielholz”. Das erfahrene Plappermaul sieht hier 4 Wörter in einem. Der weniger erfahrene hingegen muss sich durch 21 aneinander gereihte Buchstaben kämpfen. Und beide bekommen leichte Verspannungen im Handgelenk, wenn sie das Wort zehnmal aufschreiben sollen.

Unser Herr Li hat hier ebenso wie Herr Nakamura und andere Mitspieler des Linguistik-Clubs “Welt SüdOst” ein anderes System erdacht. Kaya Yanar würde es sicherlich als “Guckst Du, dann weisst Du” bezeichnen und träfe mitten in die schwarze Tinte. Nun, wenn man denn weiss, wie man gucken muss.

Die chinesischen Schriftzeichen sind von der Grundidee her weniger abstrakt als unser Alphabet, da sie Logogramme, also Wortbilder sind. Höhlenmalerei deluxe sozusagen. Im Laufe der Jahrtausende haben diese Logogramme jedoch eine ganze Reihe an Schriftreformen und optischen Vereinfachungen hinter sich. Die heute verwendeten Symboliken sind für das ungeübte Auge kaum mehr als Wortbilder zu erkennen. Natürlich liegt das auch daran, dass man die historische Genese der Kombinationslogik verschiedener Symbole nicht kennt oder nachvollziehen kann. Manches jedoch ist so bestechend einfach, dass man sich ein Schmunzeln nicht verwehren kann.

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Breadkrümels

Samstag, November 21st, 2009

Die Sonne bricht mit ihrer üblichen Kraft durch die Vorhänge. Selbst die zweite, dickere Lage kann sie nicht davon abhalten, die Nachricht zu überbringen, die ihr so sehr am flammenden Herzen liegt: Guten morgen, es ist Samstag!

Und der Samstag beginnt fast immer gleich – Ein vorsichtiges Blinzeln aus dem Fenster mit der leichten Smog Patina, ein erster Blick auf das dreiundzwanzig Stockwerke tiefer liegende verschlafene Hauptstädtchen.

Alles ist chinesisch still. Das Adjektiv muss sein. Nach deutschen Massstäben wäre es stadtlaut. Wie die Hamburger Innenstadt um 20:03 Uhr etwa, wenn die Läden schliessen und Menschen nach Hause strömen, um ihrem erbeuteten Gut zu huldigen oder in die Restaurants zum Abendessen pilgern. Nicht wirklich ruhig, aber auch kein lärmender Berufsverkehr mehr.

Für die teilverbotene Stadt gilt dieser Zustand als absolute Stille. Der Samstag beginnt also freundlich. Jede Woche. Immer wieder.

Von der verglasten Südseite des Apartments führt der Weg direkt zur Dusche. Das heisst, zunächst noch den Wasserspender anschalten. Kaltes auf gähnenden Magen trinken ist in China ja praktisch verboten.

In jedem Fall aber führt der Weg nicht wie in Deutschland in die Küche zum Wochenend-Schlachtfeld: der Einkaufsliste für den Samstag. Man mag über die 7-Tage Woche arbeitsrechtlich denken, was man will. Aber sie erleichtert den Büroknechten um einen der penetrantesten Stressmomente.

Im Anschluss an epidermialer Furchenzählung und vercremten Restaurationsversuchen dann der einzig herausfordernde Moment des Tages: wohin zum Frühstücken?
Die fernöstliche Umsetzung des Rama Spots von der Gemütlichkeit zuhause scheitert leider an daran, dass es nicht nur keine Rama, sondern auch keine Brötchen gibt. Zumindest keine, die man als solche bezeichnen möchte.

Es gibt zum Glück The Beijinger, That’s Beijing, City Weekend, Time Out und ähnliche monatlich erscheinende Publikationen, die den Expat über die kulinarische Lage der Wahlheimat auf dem Laufenden halten. Da findet sich immer was.

Also raus aus dem Haus und erstmal tief die frische Luft* (Zustand von der Redaktion geändert) eingeatmet. Hallo Welt.

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Das grüne Blatt im roten Meer

Dienstag, November 17th, 2009

“Ich weiss gar nicht, wie die das machen – das Essen hier ist total ölig und fett. Trotzdem sind alle so unglaublich schlank”.

Abwarten und Tee trinken hilftDiesen Satz habe ich schon öfters gehört und selbst auch nie so wirklich eine Antwort gefunden. Ein Teil der Antwort mag sicher sein, dass sie sich mehr bewegen. Ein anderer, dass sie mehr selber kochen und das aus frischen Zutaten und wenig Fleisch. Süssigkeiten spielen fast keine Rolle, vor allem Schokolade nicht. Aber bei den täglich vollen Restaurants kann all das noch nicht ausreichend erklären, weshalb ein großer Teil der Bevölkerung derart viel schlanker ist, als der durchschnittliche Europäer.

Dank der intensiven Recherche von Ninik und Ferdi sind wir des Rätsels Lösung nun aber auf der Spur. Es scheint, als läge die Antwort im Abwarten und Tee trinken. Zumindest wenn letzteres ein grüner ist.

Grüner Tee ist offensichtlich nicht nur gut gegen Krebs, baut Cholesterin ab und schützt vor Herzerkrankungen. Er kurbelt den allgemeinen Kalorienverbrauch an und verhindert, dass der Körper die unerwünschten Fettmoleküle aus dem Essen aufnimmt und einlagert. Diese machen also sozusagen einen auf Umsatzsteuer und bilden im Körper einen durchlaufenden Posten. Im wörtlichen Sinne.

Grüner Tee und Sojabohnen

Wem das schon bekannt war, dem ist aber vielleicht folgendes neu: Wenn man neben dem grünen Tee auch noch Sojaprodukte in seine Ernährung einbaut, ist einem zusätzlich eine Portion Collagen für Haut, Haare und Nägel gewiss und zwar ganz ohne Einspritzen. Das macht jünger und schöner und ist für ziemlich wenig Geld zu haben.

Wenn man das weiss, wird einem hier zulande so manches klar. Einen McBohne und einen Green Tea Shake bitte!

(English) How to: China Mobile + Internet

Samstag, November 7th, 2009

Dieser Eintrag sticht ein wenig aus den übrigen heraus. Ich möchte ein wenig meinen Wissensstand beim Thema “Handy in China” teilen und versuchen, anderen Expats oder Besuchern zu helfen, das Dickicht der verschiedenen Mobilfunk-Dienste von Anbieter China Mobile zu durchblicken und vor allem die Frage nach dem Internet auf dem Handy zu klären.

Der Eintrag ist deshalb auf Englisch. Zum Lesen bitte die Anzeigesprache wechseln.

15 dingens fuffzich

Samstag, August 8th, 2009

Über Geld spricht man nicht. Alte Weisheit, wohl bekannt im Abendland. Und tatsächlich hält man sich zumindest in Deutschland so sehr daran, dass bereits die Frage “wieviel Miete zahlst Du” manchem Zeitgenossen verstopfungs-Pressfalten ins Gesicht zaubert. Nach drei halbherzigen Lachhüstlern wird dann angestrengt nach einem passenderen Thema gesucht: “Heut ist ganz schön draußen.Gestern war’s ja nicht so doll”.

Gut,aber hier liegt eine europäische Tradition zugrunde-meins ist meins und das geht niemanden etwas an.

Bereits auf der uns kulturell nicht allzu entfernten Insel der Pilgrims ist es anders. Hier ist es nicht unhöflich, offen nach dem Jahreseinkommen zu fragen, selbst wenn man die betreffende Person erst 10 min. kennt. Ein Kündigungsgrund für Freundschaften manch Good Old Deutschländer Würstchen.

Der Chinese hat hier ja ein gar cleveres System erdacht. Es trägt den inoffiziellen Arbeitstitel Rate mal im Hosental. Tief vergraben in Beinkleiders Tasch’ liegen sie,die baren Scheine scheinbarer Klarheit um die es hier geht.

Die Zahlen auf ihnen sind so bekannt wie unmissverständlich. Aber schon beim Bezahlenwollen geht es los:

Chinese money

Auf dem Schild steht ¥15.50, der Kassierer verlangt 15Kuai5 und das Hirn fragt sich, ob es um Yuan geht oder nicht. Renminbi seien es natürlich, sagt der touristische Nachbar an der Kasse und doch steht auf seiner Umrechnungstabelle das Kürzel CNY.
Verwirrt reicht man einen 20er (von welcher Währung auch immer). Zurück die Frage, ob man nicht 5Mao hätte. Der sei doch längst staubgewordenes Wertgut grübelt man noch.

Da dieser einem aber wahrscheinlich ungeniert in die Tasche gegriffen hätte, hält man hilflos das Portemonnaie auf. Freund Kassierer zieht griffsicher einen winzigen 5Jiao Schein (den es natürlich auch als Münze gäbe) raus. Das ist nicht nur gleichbedeutend mit 0,50RMB, sondern auch noch ausgerechnet einer der zwei einzigen Scheine eben OHNE das Abbild des Staubkollegen. Äh, logisch also, dass er den meinte…

Der Kassierer jedenfalls schüttelt den Kopf ob so viel ausländischer Dummheit. Er lächelt in sich hinein – Dem Weissbrotkunden könnte er wahrscheinlich eine Handvoll Fen zurückgeben. Der hätte dann schon genug damit zu tun,die verschiedenen Münzgrössen selben Wertes zu sortieren. Geschweige denn, dass er merken würde, zwar die korrekte Summe in Zahlen,aber nur ein Zehntel des Wertes an Wechselgeld bekommen zu haben.

Über Geld reden in China? Kein Problem. Das Kind beim Namen nennen schon eher.

Benimmsisch für Anfänger (3)

Dienstag, März 31st, 2009

Hallo und herzlich Willkommen zum dritten Teil unseres Kurses ‘Wie werde ich ein waschechter Chinese’. Im Verlaufe dieser mehrteiligen Informationsveranstaltung möchten wir Ihnen den Habitus des Mittelreichbewohners nahebringen, um Sie für Ihren Erstbesuch diesseits der Erdkugel zu rüsten und Ihr Auftreten an die lokalen Gepflogenheiten anzupassen.

Unser heutiges Thema: Korrektes Fahrstuhlfahren

‘Ping’ und die Tür geht auf. Aus dem Fahrstuhl mitten in der hamburger Innenstadt steigen zwei Personen aus und gehen zielstrebig ihres Weges. Die davor wartenden 3 Passanten steigen der Reihe nach in die Kabine, drücken den jeweiligen Etagenknopf und stellen sich möglichst weit voneinander auf. Einer der Wartenden geht etwas verzögert hinterher. Er beendet noch schnell einen Telefonanruf mit den Worten ‘Ich muss jetzt schnell in den Fahrstuhl und ruf Dich danach zurück’. Nachdem er an Bord ist, geht 5 Sekunden später die Tür zu und die Gondel nimmt Fahrt auf. Alltag in Deutschland.13 und 14 ?

Richten wir nun den Blick auf den uns allmählich vertrauter werdenden Erdabschnitt. Nach dem bekannten ‘Ping’ passiert zunächst einmal gar nichts. Diese Geisterpings sind normal und man sollte sich besser auf die Stockwerkanzeigen neben der Tür verlassen. Selbst wenn diese nicht immer die korrekte Richtung anzeigen, stimmt zumindest die Stockwerknummer. Wobei, auch das nur bedingt. Zum einen gilt hier das amerikanische Modell, indem das Erdgeschoss als 1 verstanden wird. Und zum anderen existieren für gewöhnlich die Stockwerke 3 und 4 nicht. 13,14 und 23,24 oftmals ebenfalls nicht. Das wird zur Freude der Übersichtlichkeit jedoch überall anders gehandhabt. Ein 40 Stock hohes Haus ist jedenfalls auch schnell mal in Wirklichkeit knapp 10 Stockwerke kürzer. Aber sonst wärs ja auch langweilig.

Szenario 1: Nach einigen weiteren Geisterpings öffnen sich die Türen des Fahrstuhls und die darin befindlichen 9 Personen versuchen verzweifelt entgegen den hereinströmenden Massen die Kabine zu verlassen, was meist mit nur wenigen Blessuren geschafft ist. Die nun hineingedrängten 12 Passanten sind nicht etwa die ersten, die vor den geschlossenen Türen gewartet haben. Die Auswahl entspricht auch keiner anderen Ordnung, sondern entsprigt einzig und allein der Fähigkeit zur schnellen Reaktion und dem Talent, sich vor andere Wartende zu quetschen. Auf dem Weg nach Oben hält der Fahrstuhl noch zweimal und obwohl die letzten bereits bis ganz vorne stehen, drängen sich insgesamt noch drei Personen hinein, zur Not mit Schwung. Wenn man jetzt hinten steht und einen Kaffeebecher in der Hand hat, hilft nur noch die alte Festzelt-Nummer: ab über den Kopf damit. Den eigenen Stockwerkknopf konnte man in der Kabinenfüllzeit von 3 Sekunden nicht drücken und muss so hoffen, dass genügend Menschen vor dem eigenen Stockwerk aussteigen, damit man noch rechtzeitig an die Taste kommt. Was auch hilft, ist ein beherzter Ruf: “Schrr-Arr”, was soviel wie ’12′ bedeutet. Leider hat man dann 14 Augenpaare auf sich gerichtet, nicht selten mit Unverständnis im Blick. Denn was aus dem Mund des Wai-goren, also des Fremden, kommt, kann nur Fremdisch sein, nicht aber Chinesisch. Guten Morgen China.

Szenario 2: Eine Stunde früher als sonst schreitet der Wai-goren auf den Fahrstuhl zu. Die Fläche davor ist einsam und verlassen. Die meisten Menschen befinden sich noch auf dem BusBahnTaxi-Weg zum Büro. Die Fahrstuhltür steht offen, nur eine Person ist darin. Ein Chinese. Er bickt den Wai-goren an, während die Türen zugleiten. ‘Kann der nicht grad mal auf den Öffner drücken?’ denkt sich der Fremdling und hechtet nach vorn, klemmt einen Fuss zwischen die Türen. Beim Einsteigen wird klar, dass der gute Herr Li sehr wohl auf den Knopf gedrückt hat. Allerdings nicht auf den Öffner, sondern auf die ‘Türen schliessen’ Variante. Diesen bearbeitet er jetzt wieder und ist dabei sichtlich frustriert, dass es dieser nervige Wai-goren doch noch geschafft hat. Von peinlicher Berührtheit ob des Tastendrucks keine Spur. Im Gegenteil.Close it!

Was lässt sich aus diesen beiden Szenarien nun ableiten? Zum einen: Sollten Sie in der Nähe des Knopfpanels stehen, drücken Sie bitte immerzu den ‘Schliessenknopf’, sobald sich die Türen geöffnet haben. Bei jedem Stockwerk. Weniger als sechmaliges Dauerfeuern des Knopfes gilt als keinmal und vergeudet die kostbare Zeit der Mitreisenden. Öffnen Sie die Tür für niemanden und warten Sie nicht, bis Sie an der Reihe sind. Sonst kommt die Kabine zum einen niemals in Fahrt und Sie zum anderen niemals in dieselbe hinein.

Wenn Sie Telefonate zu erledigen haben, warten Sie bitte, bis Sie IN dem Fahrstuhl stehen und führen Sie diese dann lautstark, da die Verbindung durch die Metallummantelung oftmals schlecht ist. Stören Sie sich nicht daran, wenn bereits zwei andere Passanten telefonieren. Sie werden lernen, dagegen an zu brüllen. Das gleiche gilt für transportable Spielekonsolen, Gameboys, iPhones und sonstiges Entertainment Zubehör. Die Lautstärke lässt sich immer noch ein wenig nach Oben drehen. So vergehen die endlos langen 15 Sekunden bis zum Ziel angenehmer.

Und niemals, wirklich niemals das Drücken des Türschliessers vergessen.

(Deutsch) Benimmsisch für Anfänger (2)

Freitag, Januar 9th, 2009

Hallo und herzlich Willkommen zum zweiten Teil unseres Kurses ‘Wie werde ich ein waschechter Chinese’. Im Verlaufe dieser mehrteiligen Informationsveranstaltung möchten wir Ihnen den Habitus des Mittelreichbewohners nahebringen, um Sie für Ihren Erstbesuch diesseits der Erdkugel zu rüsten und Ihr Auftreten an die lokalen Gepflogenheiten anzupassen.

Unser heutiges Thema: Die Rangfolge im Verkehr. Abschnitt Eins: Der Fussgänger.

Sie kennen das sicher: Mitten im dichtesten Berufsverkehr ist ausgerechnet die Ampel an der größten Kreuzung ausgefallen. Vorsichtig robben Sie sich an den Kreuzungsbereich heran. Wer darf nun zuerst fahren? Die Autos auf der am stärksten befahrenen Straße, die bereits halb auf der Kreuzung befindlichen Radfahrer, die verstreut umher wuselnden Fußgänger oder doch der Bus des örtlichen Verkehrsverbundes?

In Deutschland gibt es da eine recht diffuse Regelung, die eine leichte Rechtslastigkeit aufweist und dann aber doch den Fußgänger irgendwie vorgehen lässt und oftmals keiner so recht weiss, was zu tun ist. Weil nun alles und jeder recht zögerlich agiert, ist eine entampelte Kreuzung der Infarkt für jeden Berufsverkehr.

Lernen wir also wieder einmal von unseren indirekten Nachbarn der Lebenskunst. Diese lösen das Problem ganzheitlich mit einer über die Jahrtausende erprobten Systematik mit dem Namen “Der Dicke darf zuerst”. Diese besagt, dass grundsätzlich derjenige die freie Auswahl hat, der alle anderen plattmachen kann. Also fährt zuerst der 12Tonner, dann der Kipplaster, danach der Bus, anschliessend der Lieferwagen, gefolgt vom Pkw und dem Pferdegespannt, direkt daran das Motorrad, hinter dem das Lastenfahrrad lauert und schlussendlich der Fussgänger. Damit sind keine Verzögerungen zu erwarten und der Verkehrsfluss bleibt ungetrübt.

Für Fussgänger besonders wichtig zu beachten ist die Tatsache, dass Zebrastreifen lediglich farbliche Auflockerungen des grauen Asphalts darstellen und Grünphasen der Ampeln nur signalisieren, dass man sich einer gewissen Umweltproblematik bewusst ist, derer man mit der Rotphase Einhalt gebieten möchte.

Sobald Sie also die asphaltierte Kampfzone betreten, um auf die signalgrüne andere Strassenseite zu gelangen, bewundern Sie bitte ausgiebig die weiterhin unablässig Ihren Fussweg kreuzenden Abbieger. Diese bemühen sich in der Regel redlich, Ihnen die Kunst des 60km/h-ohne-Platz-Fahrens zu demonstrieren und kündigen Ihre Fertigkeiten durch lautes Hupen ab 100m vor Kreuzungsbereich an. Dieses stellt eine beachtliche Leistung dar, die nur durch jahrelanges Nichttrainieren des Kraftwagenlenkens zu erreichen ist und in China als Teil gesellschaftlichen Status gesehen wird.

Honorieren Sie das beeindruckende Schauspiel mit einem Torrero-gleichen Sprung aus der Zielzone. Der Fahrer des Wagens wird Ihnen seinerseits durch das völlige Fehlen jeglicher Tempowegnahme ausreichend Gelegenheit geben, diesem Sprung die entsprechende Dramaturgie zu verleihen. Daraufhin können Sie beide glücklich und zufrieden über die jeweilige Darstellkunst und dem gelungenen Teamwork Ihren weiteren Tagesablauf bestreiten.

Benimmsisch für Anfänger (1)

Montag, Dezember 8th, 2008

Hallo und herzlich Willkommen zum ersten Teil unseres Kurses ‘Wie werde ich ein waschechter Chinese’. Im Verlaufe dieser mehrteiligen Informationsveranstaltung möchten wir Ihnen den Habitus des Mittelreichbewohners nahebringen, um Sie für Ihren Erstbesuch diesseits der Erdkugel zu rüsten und Ihr Auftreten an die lokalen Gepflogenheiten anzupassen.

Unser heutiges Thema: Der korrekte Gruß im öffentlichen Raum.

Höflichkeit und gegenseitige Rücksichtnahme sind unverzichtbare Attribute für ein gesellschaftlich akzeptables Miteinander. Auch im gelben Land mit der roten Fahne wird viel Wert auf eben diese Tugenden gelegt. Die Wertschätzung völlig fremder Mitmenschen erreicht hier für westliche Maßstäbe unbekannte Höhen. Vergessen Sie das Überdecken kleiner Pfützen oder schmutziger Straßenabschnitte mit ihrem Mantel. In China belächelt man derart gutgemeintes Kavaliersverhalten. Hier geht man so weit, den Boden vor Ihnen rein zu waschen. Man möchte Ihnen damit die Stadt zu Füßen legen und wird es Ihnen hoch anrechnen, wenn Sie mit gleicher Münze zurückzahlen. Und das machen Sie wie folgt:

Keine Angst, Sie müssen nicht mit einem Schrubber und einem Eimer Wasser umher wandern. Ähnlich wie in westlichen Kulturkreisen das ‘Küss die Hand’ oder das Ziehen des Hutes zur leichten Andeutung stilisiert wurde, deuten Sie Ihr wohlerzogenes ‘Ich wasche den Boden rein vor Ihnen’ lediglich als simple Höflichkeitsgeste an. Sie schmettern einfach einen möglichst großen Rotzfladen direkt vor die Füße der zu komplimentierenden Person. Hocherfreut wird er seinerseits der Tradition folgen und über den von Ihnen ausgebrachten Gruß steigen, wobei er Sie still und leise für ausgesprochen umgänglich halten wird. Insbesondere, da Sie aus einer fremden, in dieser Hinsicht als unflätig betrachteten Hemisphäre stammen.

Vor Würdenträgern, hochgestellten Persönlichkeiten oder schlicht von Ihnen hochgeschätzten Personen können Sie dieser Geste noch zusätzlich Ausdruck verleihen, indem sie die ‘Materialsammlung’ zu dieser Handlung so geräuschvoll wie möglich gestalten. Geben Sie den Anschein, als müssten Sie Ihre Freundlichkeit beinahe aus den Tiefen Ihrer Fußspitzen zu Tage fördern. Dies entspricht im maoistischen Kulturkreis in etwa unserem ‘Das letzte Hemd geben’. Beachten Sie dabei jedoch die wichtige 5 Sekunden Max-Regel (5smr). Ein durchgängiger Sammelton sollte nach Möglichkeit nicht länger dauern, darf dann jedoch bis zu dreimal wiederholt werden, sollte sich noch keine ausreichende Höflichkeit angesammelt haben. Ein Überschreiten der 5smr wird in der Regel als Heuchelei ausgelegt.

Kennen Sie die Person bereits sehr lange oder möchten Sie sich aufgrund des Umfelds einer legeren Variante bedienen, können sie die Kurzform wählen. Dabei kreuzen Sie den Weg der zu bedenkenden Person und stoßen auf ihrer Augenhöhe einen mittellauten Rülpser aus. Sind Sie jedoch unsicher und fühlen sich auf dem fremden Kniggeparkett noch nicht wohl, binden Sie sich einfach eine OP-Maske um. Dies signalisiert ‘Ich bin mir der fremden Gepflogenheiten bewusst, möchte jedoch keinen Fauxpas begehen und enthalte mich als stiller Beobachter’. Diese Entscheidung wird gemeinhin zumindest außerhalb von Gebäuden akzeptiert und schützt Sie zugleich noch vor Smog und Kälte.

Ja, sie haben ein ausgeklügeltes System, unsere fremden Freunde. Wir können viel von ihnen lernen.

Aus 6 mach 7

Dienstag, Oktober 28th, 2008

Nachdem in Deutschland am Wochenende die Zeit umgestellt wurde, gilt ab sofort, dass Deutschland erst sieben Stunden nach China morgens aus dem Bett fällt, denn eine Sommer/Winter Zeitumstellung gibt es hierzulande nicht.

Vielleicht liegt das ja daran, dass man wahrlich winterliche Temperaturen hierzulande noch immer vergebens sucht, wenngleich es abends dann doch schon mal eine Jacke sein darf. Aber sicher dünner als in Hamburg.

Was nicht passt…

Donnerstag, Oktober 16th, 2008

Dass die Chinesen alles und jeden kopieren und nachmachen, ist ja kein Geheimnis. Dass einem das allerdings auch mal sehr zum Vorteil gereicht, indes schon.
Im Falle von Stromsteckern dürfte das ganze wohl so gewesen sein, dass man sich auf keinen Standard einigen konnte, und so hat man kurzerhand einfach die Gängisten genommen und sie allesamt verbaut. Bei 220V kommt das besonders den Deutschen und Australiern zugute. Amerikaner finden zumindest die richtige Buchse für all ihre Kabel und müssen sich nur mit der Voltzahl anfreunden.

Wen jetzt wundert, dass ich das erwähne, dem sei gesagt, dass es vorher praktisch unmöglich war, verlässliche Informationen über die Stecker-Standards hierzulande zu bekommen. Es kursieren auch noch die britischen, allerdings habe ich davon noch keinen gesehen.

Man kann den 24€ Adapter also getrost bei Saturn liegen lassen.