Archive for Juni, 2009

Venedig auf Chinesisch

Montag, Juni 29th, 2009

Wenn man mal ‘raus’ will und nicht grad immer dorthin, wo alle anderen auch sind oder waren, dann fragt man am besten die Chinesen, wo es schön ist. Diese wirklich clevere Vorgehensweise hat uns Ende Mai nach Nanxun geführt, ein kleiner von Wasserläufen durchzogener Ort, knapp 1,5 Stunden westlich von Shanghai.Nanxun

Von der UNESCO schonmal wahrgenommen glaubt man hier, die Zeit sei stehen geblieben. Und zwar irgendwo Mitte des 19. Jahrhunderts. Natürlich gibt es Autos, Fernseher und auch alles andere, aber diese Dinge bestimmen nicht das Gesicht von Nanxun. Der Ort aus dem 9. Jahrhundert gibt sich friedlich, verschlafen und naturintegriert. (wobei man diese hierzulande ja gerne mal geflissentlich ignoriert)

NanxunAn den Wasserläufen entlang und über Stock und Stein wandernd wundert man sich, dass es sowas noch gibt. Die Menschen sind so offen wie ihre Türen und man scheint sich nicht daran zu stören, wenn fremde Leute ihre Objektive in die eigene Bude halten. Man bedankt sich sogar artig, wenn man fotografiert wird.

Viel zu tun gibt es hier nicht und doch geht der Tag sehr schnell seinem Ende zu. Ein idealer Ort, um runter zu kommen und die Hektik der Stadt zu vergessen. Besonders, wenn man morgens von Efeu umgeben und bei leiser chinesischer Erhu Musik im Pavillion sein Frühstück geniessen darf. Herrlich entspannt.

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1:0 für das Huhn

Montag, Juni 29th, 2009

Das Hähnchen. Kross-gewordene Gaumenfreude, Aromaspender für hungrige Nasen und spießrotierender Blickfang. Für manchen die Einleitung zum Wochenende, für andere ein willkommenes Kantinengericht. Da weiss man, was man hat. Zwei saftige Schenkel, ebenso viele abknabberfreudige Flügelchen und dazu zarte Hähnchenbrust mit knuspriger Haut.

Man darf darüber streiten, welches dieser drei Teile besser schmeckt. Nie aber käme es dem Bratkartoffelbeilagenbesteller in den Sinn, dass so ein Tier auch noch andere Teile haben könnte, die zu verspeisen lohnen. Dafür hat der Herrscher über Angebot und Nachfrage aber die Landsleute des Herrn Li erfunden.

Ein Tablett des Grauens

Als ich das erste Mal von den fast zur Nationalspeise erhobenen Hühnerfüssen hörte, hat es mich gleich durchgeschüttelt. Gehören diese qietschroten Gummitreter doch nun ganz klar zu den NICHT essbaren Teilen der gluckenden Mahlzeit. ‘Ach, aber Skorpione und Würmer sind kein Problem?’ Diese Frage musste ich mir nun monatelang gefallen lassen.

Das klingt zwar erst einmal logisch, lässt aber ausser Acht, dass solch Kriechzeug nun einmal dermassen undenkbar als Hauptspeise sind, dass der Kopf hilflos abschaltet und sich mit einem ‘was solls, wenn sie sagen, dass man es essen kann, dann kann man wohl’ zufrieden gibt. Nicht so bei Gockellatschen. Der Geschmack von Hähnchen ist wohl bekannt und auch der Geruch von Broilern VOR dem Braten. So weiss der Kopf sehr genau, was er da vor sich hat und kann dazu umfassend eine Meinung bilden, noch bevor man die Hand zum Fuss gestreckt hat.

Zustand beim EssenDennoch musste es ja mal sein und so sah ich mich nun diesen kleinen Tretern gegenüber, die sich in einer Schale auf unserem Tablett stapelten. Sie waren kalt. Die Chinesen haben einen großen Bezug zu kalten Speisen, die zu jedem kompletten Mahl gehören. Is nix für den Jung’ ausm Norden, aber man will sich nicht immer sträuben. Mit den Stäbchen liess sich die Klauenspeise ganz gut greifen und von Nahem betrachtet sah sie auch nicht schlimmer aus, als von weitem. Also Mund auf und rein.

Ja, und was dann kam, das ging so: Zuerstmal sind dort eine ganze Menge Knochen in so einem Fuss. Diese soll man im Mund frei kauen und dann wieder nach draussen befördern. Prinzip Fischgräte also. Wir haben aber vorhin ja bereits einmal den Kopf thematisiert. Dieser neigt dazu, bei fremden Dingen im Mund mit Hochleistung Vergleiche anzustellen. Und so hat es leider nur wenige Sekunden gedauert, bis mir mein Vorstellungsvermögen eine Babyhand im Mund vorgaukelte.

Die gleichen kleinen Knochen wie bei der menschlichen Hand, die gleichen Hautfalten im Gelenkknick und am oberen Rand des Hühnerfußes schaute auch noch ein großer Knochen heraus, der Elle oder Speiche sein mochte. Das war zu viel. Als mir Amanda dann noch einen ‘stinky Tofu’ unter die Nase hielt, rief mein Magen mir nur ‘Mahlzeit’ zu und drehte sich vor lauter Freude um.

Den Rest des Essens saß ich recht still und betreten da und vermied, von Hühnern mit Füßen getreten, den Blick aufs Tablett. Man muss auch mal verlieren können.

Aber es wird ein Rückspiel geben.

30min Weltuntergang

Dienstag, Juni 16th, 2009

Das ist mal was neues. Da geht doch tatsächlich gegen 11 Uhr vormittags die Sonne unter. Zumindest vom reinen Lichtverhältnis her. Knapp 20 min später ist es zappenduster und man darf die Ankunft von Ba’al, Hadad, Thor oder eines anderen Mitglieds des Kreises der spirituellen Umgebungsrührer erleben.Wettermacht in Peking 1

30min dauert das fein abgestimmte Spektakel, das aus Dunkelkammer Blitzbude und aus Staub Wasserlachen zaubert. Ich nehme jeglich leichtfertig dahingeredeten Smalltalk, ‘Peking hätte keinen Regen’ zurück. Die wissen schon, wie das geht. Nur hauen sie es einem komprimiert in erwähnter halbstündiger Session um die Ohren. Dabei knallt es, das selbst das chinesische Neujahr dagegen wie Erbsenpistolengeböller wirkt.

Wetter in PekingMan blickt in besorgte Gesichter, hat doch am vergangenen Sonntag ein heftiger Hagelsturm in der Anhui Provinz 14 Menschenleben auf dem Gewisschen gehabt und über 200 Verletzte hinterlassen. Einen Tag zuvor wurden zwei Wanderer auf der großen Mauer vom Blitz erschlagen. Dessen grell leuchtenden Verwandten enladen sich ohrenbetäubend deutlich irgendwo in dieser Millionenstadt und man hofft, Büro und Heim mögen verschont bleiben. In Deutschland gibt es die berüchtigten Herbststürme, aber die erscheinen einem angesichts dieses Weltuntergangs beinahe harmlos.

Als kurze Zeit später der Himmel unschuldig pfeifend wieder normal aussieht, darf man viele lustige neue Seen und Bäche bewundern, die das Stadtbild zieren. Und eine weitere Stunde später ist die Hälfte schon wieder weggetrocknet.

Das spinnt, das Chinesenwetter.

Wetter in Peking

Li Ola !

Sonntag, Juni 7th, 2009

Es weiss ja schon jeder, die Drachen haben es von den Pagoden gegrölt: Deguo dui Zhongguo 1:1, bzw. zu Deutsch: Kartoffel gegen Reis unentschieden.

Warm wars als man sich mitten in Shanghai nach 2006 zurückversetzt fühlte. Bei weit über 20°C und untergehender Sonne versuchte das Team aus Augen und Gehirn verzweifelt Sinn in die sich darbietende Situation zu bringen. Da sah es aus wie auf dem Heiligengeistfeld. Mit weissen Trikots bewaffnet, die dreifarbige Kriegsbemalung auf den Wangen und fahnenschwenkend quoll der Moloch der hochniveautischen Nörgelei durch die Straßen des neuen New Yorks.li ola

Auf der einen Seite die offensichtlich fröhlichen Chinesen, die es kaum erwarten konnten, die hochklassige deutsche Manschaft bewundern zu dürfen und sich vielfach selbst mit ‘Deutschland’ Schriftzügen oder Trikots schmückt. Auf der anderen Seite die ‘Wir machen euch platt’ skandierende warsteiner Großmacht. Ach, ist man da stolz auf seine Kultur. Der Taxifahrer, der uns absetzte, rief noch begeistert: “Wir werden hoch verlieren, aber Schwinstigr, Poldski, great!” und hob beide Daumen hoch. Gut, dass er sich wie die meisten anderen Chinesen das Ticket nicht leisten kann. So darf er sein ‘Du bist Deutschland’ Bild behalten.

Fussi oleVor diesem Hintergrund war es fantastisch zu sehen, wie stark sich eine auf der Fussball Weltkarte praktisch nicht vorhandene Mannschaft über die komplette Spielzeit immer wieder leichtfüssig in die gegnerische Hälfte bringt, um auszuprobieren, wo wohl das Tor stehen mag. Die zunehmende Stille der deutschen Fans und das geraune unter den tausenden ausgewiesenen Sportexperten war Anerkennung genug für das chinesische Team, das zu Recht einen Gleichstand von 1:1 gehalten hat. Die kleine rote Fanarmee drehte natürlich auf und durch und hat sich halb zu tode laolat.

Jetzt müsste man sich eigentlich mal zurücklehnen und über den Begriff ‘Freundschafts-Spiel’ philosophieren. Aber das Wort spricht nun einmal auch so für sich selbst und solle die Perspektive bestimmen, unter der man sich auf die Tribüne setzt. Hier treffen Welten aufeinander, die noch vor wenigen Jahren nicht zueinander finden durften. Der Sport ist Mittel zur Verbundenheit. Die Chinesen haben das verstanden. Und so haben wir uns dann auch zufrieden vom Platz gemacht, in unseren neutralen T-Shirts. Hiess 1:1 doch, wir haben uns beide was zu geben. Und war ein Bier in der nächsten Bar. Denn im Stadion gab es nichts. Vielleicht haben wir deshalb nicht haushoch gewonnen. Drecksmist.

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