Archive for April, 2010

Match Mama

Mittwoch, April 14th, 2010

Herr Li hat sich heute fein raus geputzt. Hemd und Hose sind gebügelt, die Schuhe blitzen und das Haar ist ordentlich nach maoistischem Vorbild angescheitelt. Er hat die Jacke lässig umgeworfen. Im Moment passt sie nicht – eine ganze Reihe frischer Hunderter besorgt dem Portemonnaie einen ledernen Wohlstandsbauch, und so macht es sich jetzt arg breit in der Seitentasche. Aber die dicke Füllung ist ungemein wichtig. Herr Li geht heute nämlich auf ein Date.

Und bei einem Date in China, ja da zahlt freilich der Mann. Kein politisch korrektes Auseinanderfriemeln der Rechnung – wer hatte jetzt ein Glas Wein mehr, dafür aber bei der 23 nicht so viel von der 18? Und wer hat nun beim Nachtisch den süßeren Charakter bewiesen? So richtig 50/50 kann man den Betrag meist nicht aufteilen… Nein, damit schlägt man sich östlich von Meppen nicht herum. Der Mann beweist Stärke. Er sucht das Restaurant aus, danach das Essen und am Schluss auch selbstverständlich die Scheine aus der Börse.

Die klassische Aufgabe von Madame Wunderbar ist hingegen, sich stundenlang auf Covergirl stylen zu lassen, schüchtern-kokett die Augen zu blinzeln und alles ganz furchtbar interessant zu finden, was Herr Li der Welt mitzuteilen gedenkt. Klare Verantwortlichkeitsbereiche, das hat auch was schönes.

Einzig, Herr Li weiß gar nicht so genau, mit WEM er da heute Abend eigentlich verabredet ist. Dick, dünn, groß, schlau, witzig oder vernarrt in Handtaschen-Kläffer? Er hat nicht den geringsten Schimmer auf seiner hohen Stirn. Dort, wo sich die Sorgenfalten langsam zu kräuseln beginnen, weil der Termin immer näher rückt.

Wer in Europa auf ein Blind Date geht, gilt als recht wagemutig. Und meist wird so es über Annoncen oder Web-Portale vereinbart. Die meisten Blind Dates jedoch werden hintenrum abgehalten. Zum Beispiel kann es sein, dass sich Lutz und Annemarie denken, die Kerstin und der Christoph würden ganz toll zusammenpassen. Und dann vermitteln sie einfach heimlich. “Du, wir gehen am Freitag schön essen, komm doch mit. Da ist auch noch ein Kollege von Lutz dabei. Das soll ein ganz netter sein. Aber ist ganz ‘casual’, wir wollen einfach nur einen schönen Abend haben’. Und –zack– sitzen sich Kerstin und Christoph bei Antipasti gegenüber und schwatzen munter drauflos, weil sie gar nicht wissen, dass sie Teilnehmer eines Blind Dates geworden sind.

Wenn sich Herr Li und Frau Zhang treffen, haben sie diese Zusammenkunft auch nicht selbst vereinbart. Und doch wissen sie, dass es ein Date ist und werden zudem ganz alleine ausgehen. Sie müssen. Da haben sie keine Wahl.
Während sich die beiden völlig fremden Menschen also im Restaurant begrüssen, beleuchten wir einmal das Zustandekommen des heutigen Ereignisses und drehen die Uhr um eine Woche zurück.

Mutter Li steigt aus dem Taxi. Es ist Sonntag Vormittag, die Luft riecht nach Erfolg. Entschlossen lässt sie die Tür hinter sich zufallen. Sie wendet sich dem vor ihr liegenden Yuyuantan Park zu und verliert keine Zeit. Sie weiss genau, wo sie hin will und umschifft alle Hindernisse und Sehenswürdigkeiten geübt und elegant.

Als sie den Viehmarkt erreicht, ist es perfektes Timing. Die Auswahl ist groß, die Konkurrenz traditionell spärlich. Mutter Li öffnet ihre Handtasche und nimmt einen Stapel Papiere heraus. Dokumente und Fotos. Heute wird es funktionieren, das hat sie im Gespür. Sie atmet einmal tief durch und mit dem Scharfsinn eines Jägers visiert sie ein Rudel laut schnatternder Frauen an. “Guten Morgen, die Damen. Wie gehts?”
Das Spiel beginnt.

In den folgenden Stunden werden Frau Li und all die anderen Mütter und Väter eifrig Informationen austauschen. “Meine Tochter ist bildhübsch!” “Mein Sohn hat ein Haus!” “Meiner auch! UND ein Auto!” “Kann ihre Tochter kochen?” “Sicher, mindestens 30 Gerichte. Und nähen kann sie auch.” “Wie sind denn ihre Noten?” “Zeigen Sie mir doch mal die Kontoauszüge von ihrem Sohn” “Erzählen Sie mir etwas über ihre Familiengeschichte”…
Hier wird Zukunft geschmiedet. Und es ist ein gnadenloses Geschäft. Eines, das einen recht hohen Numerus Clausus mit sich bringt.

Wie wir wissen sind die Chinesen sehr abergläubisch und haben für praktisch alles eine Legende. In Zeiten der Tang Dynastie gab es da so einen Gott, der für die Liebe zwischen Mann und Frau verantwortlich war. Yue Lao, der “alte Mann im Mond” besaß das Buch des Schicksals. In diesem waren alle Ehen aller Menschen verzeichnet. Des weiteren hatte er ein rotes Band. Damit konnte er im wahrsten Sinne Verbundenheit erzeugen. Selbst die ärgsten Feinde wurden zu Liebenden, waren sie erst einmal damit verknüpft.

Ob das Steckenpferd der Chinesen zu dieser Zeit seinen Anfang genommen hat – man weiss es nicht. Verkuppeln jedenfalls gehört zu ihnen wie das Baguette zum Franzosen. Yue Lao wird heute jedenfalls nicht benötigt. Mutter Li hat bereits 5 Telefonnummern gesammelt.

Nach einer Stunde Verhandeln ist dies für sie auch normal. Immerhin vertritt sie einen Sohn und hat damit das leichtere Spiel. Knapp 90% der feilbietenden Gemeinde hat Töchter im Angebot. Mutter Li ist es gewohnt, wählerisch zu sein. Und doch ist es eine Kunst. Weil es als unhöflich gilt, ein Date-Angebot abzuschlagen, muss Mutter Li sehr genau taktieren. Nicht zu viel preisgeben und nicht zu schnell. Die Töchtermeute ist lüstern. Zu rasant und unüberlegt giert sie nach Kontakt. Verkuppeln ist alles was zählt, denn die Uhr tickt.
Wer weiblichen Nachwuchs jenseits der 25 hat, strahlt die Entspanntheit einer in der Wüste liegenden Forelle aus. Ab 28 gilt diese als alt. Die Tochter wohlgemerkt, nicht die Forelle. Und bis 30 muss der Enkelnachwuchs das Licht der Welt erblickt haben. Sonst sieht es schlecht aus fürs Wahren des eigenen Gesichts. Wer will schon Nachbarn und Freunden den Eindruck vermitteln, mit dem eigenen Sprössling sei etwas nicht in Ordnung?

Ein Date das hier vermittelt wird, soviel ist mal klar, hat nur einen Zweck: Die beiden Kandidaten sollen sich gefälligst noch zwischen Hauptgang und Dessert für die Ehe entschliessen. Mutter Li nimmt deshalb alles sehr genau. Wenn ihr allzu aufdringliche Kandidaten-Discounter zu unangenehm werden, erfindet sie alternative Wahrheiten. Beispielsweise dass ihr Sohn geschieden sei und nun die zweite Frau suche. Das wirkt immer. Retour-Ware ist nicht gern gesehen.
Zum Glück kann sie sich das leisten. Für Männer gibt es kein Verfallsdatum, nur eine monetäre Hürde. Kann man diese durch entsprechenden Besitz überspringen, ist man in sicheren Gewässern.

Herr Li kann. Ihm gehört ein Apartment, und er hat einen ordentlichen Job. Deshalb hat er auch bereits das ein oder andere muttervermittelte Date hinter sich und steht noch immer mit beiden Füssen auf dem Boden, statt torschlusspanisch mit einem Bein zu knien.

Ausser ihm werden noch viele andere Töchter und Söhne Chinas allwöchentlich mit Verabredungen überrascht, von denen sie vorher nichts geahnt haben. Der reinste Dating-Stress. Und immer droht danach das Debriefing mit den Eltern, die wissen wollen, ob sie nun endlich das Aufgebot bestellen können. Das bedeutet Druck. Und jede Verabredung, bei der nicht umgehend Geigenmusik im Kopf ertönt und tanzende Engel Pirouetten auf Tellern und Gläsern drehen steigert die stille Angst, schwer vermittelbar zu sein.

Muss man denn überhaupt vermittelt werden? Die Frage wirkt halbherzig angesichts der unglaublichen Zahl aus dem Boden sprießender Agenturen. Denn um nichts anderes als das kümmern sich diese. Klar, gibt es die in Europa auch, jedoch sind die hiesigen weniger romantisch verklärt. Hier zählt nicht nur der Charakter und philosophische Weltanschauungen, wie im Westen. Wer hier z.B. sein Einkommen nicht angibt, wird gar nicht erst zugelassen. Es gibt sogar Plattformen, die ausschliesslich Kandidaten ab einer gewissen Zahlungskraft aufnehmen.

Sucht man nach dem Grund für all diese Verkupplungstätigkeiten, heisst es von Seiten Mutter Lis “Unsere Kinder haben nicht genug Zeit, sich einen Partner zu suchen. Sie arbeiten zu viel und zu lange. Ihr gesamter Freundeskreis besteht nur aus Kollegen. Wie sollen sie da jemanden treffen?”
Die Logik ist bestechend. Und auch der überaus individuelle und aufgeklärte Europäer muss eingestehen, dass das Problem nicht unbekannt ist. Mögen die Mittel unterschiedlich sein, die Ziele sind identisch. Und die Chinesen sind der Möglichkeit beraubt, sich in einer Bar oder einem Club kennen zu lernen. Diese gelten auch bei vielen sehr modernen Menschen noch immer als verruchte dunkle Plätze für ebenso dunkle Charaktere. Ein alter Irrglaube, der leider einen bestechend großen Teil der Kandidaten fernhält, obwohl er nicht (mehr) unbedingt der Realität entspricht. Was bleibt, sind Büro und Freunde. Oder eben Agentur, bzw. Mutter und Vater.

Zum Glück zeigt die chinesische Methode Erfolg. Viele Eltern haben genügend Zeit für die Suche und haben dabei keine Berührungsängste. Und nebenbei bemerkt: wer kennt ihre Kinder besser als sie selbst? Ideale Voraussetzungen für Kuppelgespräche also.

Herr Li hatte heute abend ausgesprochen viel Spaß bei der Sache. Das ist nicht immer so, und deshalb ist er besonders erfreut. Als er die junge Dame verabschiedet, sieht er dem Taxi noch eine Weile nach und muss lächeln. Das war wirklich nett. Und am liebsten würde er sie gleich morgen noch einmal treffen. Leider ist das unmöglich, denn morgen ist Samstag, und die Frau Mama hat dafür üblicherweise gleich zwei Termine anberaumt.
Herr Li seufzt und steigt ins Taxi nach Hause. Es ist nun mal nicht leicht, ein Single in Peking zu sein.

Bill-Li

Donnerstag, April 1st, 2010

Samstags zu IKEA. Eine traumhafte Idee: Zank, Nerverei und Volksfest-Enge sind garantiert, ein leeres Portemonnaie nach Durchqueren der Markthalle zumindest äusserst wahrscheinlich. Ob man wirklich den Dreierpack Duftkerzen brauchte, weiss man zuhause beim Anblick des übrigen Wachsfigurenkabinetts nicht mehr. Mit der Grünpflanze und der Stehlampe ist es nicht anders.
Die hatte man eh eigentlich nur gekauft, weil man an dem streitenden Pärchen mit dem Geschirrproblem nicht vorbei kam. Einmal den Blick schweifen lassen und schon ist der Wagen halb voll.

Ein Samstag bei IKEA ist nichts für schwache Nerven, das weiß jeder. Und deshalb sind wir am Sonntag hingegangen.

Während man in Deutschland höchstens ein paar vereinzelten Inline-Skatern dabei zusehen kann, wie sie ihre Runden auf dem geschlossenen Parkplatz drehen, hat IKEA in Peking geöffnet. Wie alles andere auch – Ladenschluss am siebten Tag der Woche hat der Gesetzgeber einfach nicht vorgesehen. Sieben Tage lang bis 22:00 einkaufen, da kommt wirklich niemals Torschlusspanik und Hamsterkaufmanie auf, hat also klare Vorteile.

Der Nachteil ist freilich, dass sich der Shoppingsonntag beim Schweden nicht vom Samstag unterscheidet.

Nach Betreten der heiligen Hallen fühlt sich aber vor allem zunächst einmal der Geist vermöbelt. Nicht aufgrund der Massen an Menschen, sondern aufgrund der gruselig vertrauten Umgebung. Dabei heisst IKEA in China gar nicht IKEA, sondern Yi jia jia jü. Na klar, klingt ja auch ganz genau so…
“HEJ” schallt es einem per Plakat entgegen. Darunter gleich ein Anzeiger, der den Weg zum Small Land verrät. Das mit den lustigen bunten Bällen. Der kleine Herr Li möchte gerne von seinen Eltern abgeholt werden…
An der Treppe liegt der Katalog aus, mit den bekannten Kollegen Lack, Benno, Galant, Ektorp, Pax und dem ganzen Rest der Familie.

Wohnzimmer, Küchen, Arbeitsecken, Schlafzimmer – sie alle reihen sich in der gewohnten Reihenfolge aneinander. IKEA ist immer gleich und dürfte damit die großflächigste Inkarnation von Heimatgefühl in ganz China sein. Der Verstand hat so seine Probleme damit, denn obgleich Um-, Namensgebung und Kundenfülle derer daheim entspricht – es gibt doch Unterschiede.

Dort wo Karsten und Christina in Schnelsen über die Einbauhöhe von Ofen, Mikrowelle und Kühlschrank diskutieren, stehen Herr und Frau Li, Herrn Lis Cousin, Frau Lis Schwippschwägerin, deren Mutter und ihre drei Nachbar-Ehepaare vor eben jenem Ofen und gucken nur neugierig in dessen Röhre. Wofür man dieses kastige Stück Heizware einsetzen soll, ist ihnen schleierhaft. Fritieren kann er nicht, dünsten und kochen ebenso wenig. Für Fischbrühe ist er ungeeignet und ein Reistopf passt schon allein von der Höhe nicht hinein. Zum Aufwärmen von Reissuppe heizt er zu langsam auf, und man kann danach auch die Schale nicht mehr anfassen. Blödes Ding. Da hat Frau Li plötzlich einen Lösungsvorschlag: Man braucht den heissen Ofen wahrscheinlich für ausländische Gourmet-Gerichte wie Burger und Pizza. So falsch liegt sie damit zwar nicht, aber die Verständnisprobleme liegen hier tiefer, deshalb lassen wir sie besser stehen und schleichen uns weiter.

Wir kommen an einer am Gang platzierten Toilette vorbei und stutzen – die Schüssel ist mit einer Plexiglasscheibe abgedeckt. Auf dieser wird den Kunden mit dringendem Bedürfnis mitgeteilt, dass sich die tatsächlichen Toiletten neben dem Restaurant befinden. Wir rätseln, ob wohl tatsächlich schon Kunden auf die Idee gekommen sind, mitten im Gang und umringt von hunderten von Menschen große Geschäfte zu verrichten.

Eine Ecke dahinter liegt Herr Li Junior an der Schulter seiner Freundin und schläft. Im Bett. Redalen, für 1,299 RMB. Klein Lis Flamme schaut dabei gen Himmel und fragt sich wahrscheinlich, wie sie ihren Schnarch-Hahn dazu bewegen kann, den Begriff “‘Abholpreis” wörtlicher zu nehmen. Oder sie denkt an Babys, Schuhe oder Schmuck. Das weiss man nie so genau.

Schlafende Chinesen in schwedischen Betten, das sieht man hier jedenfalls alle paar Meter. Genau wie auf Sofa, Sessel und Stuhl sitzende. Sogar Küchentisch testende. Das klingt nicht ungewöhnlich, das machen die Europäer auch. Allerdings geben sich Europäer für gewöhnlich mit 2-5 Minuten Hinsetzen zufrieden und stehen dann respektvoll vom fremden Möbelstück wieder auf. Herr Li jedoch lässt seinem bislang unentdeckten Talent zum Stiftung Warentester freien Lauf. Fachmännisch beäugt er jedes Sitzmöbel, rutscht auf Armlehnen umher und nickt viel in sich hinein.

IKEA hat für viele Chinesen zwar nicht den Stand einer Luxusmarke, ist jedoch zumindest etwas für besser Betuchte. Der Europäer vergisst das schnell, ist der Inbus König für ihn doch eher als Ausstatter von Studentenbuden bekannt. Das Preisniveau am Binnenmarkt ist halt ein anderes. Und die Lebensweisen auch.

Herr Li hat deshalb auch keinen blassen Schimmer, was er da grad tut. Das sieht man an seiner Haltung, die sich in keinem der zu testenden Objekte entspannt. Und daran, dass er nur genau jene Teile inspiziert, die vor ihm ein anderer beäugt hat. Vorzugsweise ein Ausländer. Denn die müssen es ja wissen. Immerhin ist das hier deren Ausstattungswelt. Man sieht Herrn Li nur allzu deutlich an, dass er versucht, einen Lebensstil nachzuahmen, der nicht seiner ist. Und den er eigentlich auch gar nicht braucht. Er möchte aber nun einmal gerne ein Bild abgeben, das den Titel “Connaisseur” trägt.

Was einfach überhaupt nicht in dieses Bild passt, ist die hohe Anzahl Menschen falschen Alters. Herrn Lis Eltern stehen vor weissen Schrankwänden und sinnieren recht offensichtlich darüber, weshalb die Europäer wohl eine derart leicht verschmutzbare Farbe wählen. Aber sie sind ohnehin nicht hier, um Geld auszugeben. Vielmehr ist es für sie wie ein Museumsbesuch für seltsame westliche Gebräuche und Lebensweisen. Sie sehen so ratend aus wie Herr Meyer im 120qm Laden für grünen Tee in Wangfujing. Soviel Auswahl an Dingen, für die man keinen Bedarf hat und bei denen man die Unterschiede nicht versteht.

Am Ende der Markthalle, dort wo die Grenze zu den Selbstbedienungsregalen mit Schrankwänden liegt, steht ein Schild: “Wenn Sie ihre Einkäufe bis 18.00 tätigen, liefern wir Ihnen die Ware noch am selben Tag nach Hause”. Gut, das steht da natürlich nicht auf Deutsch, aber sinngemäß kommt es in etwa hin. Direkt unter dem Schild steht eine Dame mittleren Alters. Sie sieht wie eine Kundin aus, die auf ihren Mann oder auf Herrn Lis schwippverschwägerte Nichten-Tante wartet.

Im Vorbeigehen zischt sie den übrigen Kunden etwas zu. Schnell wird klar, dass es sich um einen Lieferservice handelt. Allerdings nicht den von IKEA. Hier stossen wir auf etwas, das es in den westlichen Möbelhäusern nicht gibt: Eine Fahrservice Mafia.

Und die geht so: Man klärt kurz, wie viele Einkäufe sich nach der Kassenspur auf wie vielen Wagen befinden werden und wohin die Reise gehen soll. Dann knallharte Preisverhandlung und bei Einigung wird auf der Gegenseite hektisch und konspirativ telefoniert. Wir konnten uns auf umgerechnet 8 Euro verständigen und das bei einem vollen Einkaufswagen und zwei großen Gorm Regalen. Im Taxi hätten wir damit arg Probleme gehabt. Madame Mafia war jedoch zuversichtlich-das sei kein Problem.

Ohnehin war sie sehr service-orientiert. Die Sachen mit aufs Kassenband packen, von dort wieder zurück in den Wagen und dann alles dem Fahrzeugmeister übergeben. Dieser teilt dann den Fahrer zu. Der kommt sogleich angelaufen, übernimmt das Schieben eines der Einkaufswagen und lädt dann fast alles alleine in einen kleinen Mini-Van, der fast direkt vor der Tür parkt. Er will nur noch kurz wissen, ob man Hilfe beim Aufbauen der Möbel brauche – das passende Werkzeug hätte er ebenfalls im Wagen, die Tour würde dann nur länger dauern. Brauchen wir nicht, wir sind Inbus-erfahren. Damit geht es umgehend auf den Weg nach Hause, wo er die Einkäufe auch noch tapfer und alleine vom Lieferwagen in die Eingangshalle schuftet.

Natürlich ist die Chause nicht so richtig legal. Wir hatten das zweifelhafte Vergnügen mit anzusehen, wie zwei Kolleginnen von Frau Mafia von Securitymännern abgeführt wurden. IKEA duldet keine Lieferkonkurrenz.
Dabei profitieren sie meiner Ansicht nach stark davon. Der Kunde weiss, dass er sich beim Shoppen nicht zurückhalten muss – er bekommt die Sachen umgehend und für schmales Geld inklusive Taxiservice nach Hause. Sogar aufbauen würden sie es noch. Das ist mal eine klassische Win-Win-Win Situation für Kunden, IKEA und Mafia.

Dass es sich um eine solche handelt, daran hatten wir keinen Zweifel. Zu schnell und organisiert war alles, zu un-chinesisch also, als dass es sich um einen kleinen zufälligen Nebenverdienst handeln könnte. Aber eine Mafia, die beim Sparen hilft, freundlich und zuvorkommend ist, die soll mir recht sein.

Herr Li hat den Service nicht gebraucht. Er hat nur eine Geschirr-Bürste mit kleinem Saugnapf am Fuss gekauft. Mit diesem kann man sie fest auf einer glatten Fläche fixieren. Er fand den Saugnippel einfach lustig. Dass dies ein Küchenartikel ist, hat er aber gar nicht mitbekommen und so steht die Bürste nun im Badezimmer neben dem Waschbecken. Herr Li wundert sich seit dem über die fehlende Ergonomie dieses europäischen Utensils zur Handpflege. Aber ein Connaisseur bewahrt Haltung.