Archive for Juli, 2010

Brumm zum Abschied leise schlürf

Donnerstag, Juli 29th, 2010

Nachdem mein hauseigener Aston Martin Dealer (auf dem Foto spassiger Weise mit einem Lamborghini im Anmarsch) Anfang des Jahres Reissaus nahm, um an anderer Stelle in Peking mit deutlich größerer Verkaufsfläche noch mehr Absatz zu genieren, war für einige Monate Ruhe im Erdgeschoss.

Man versuchte mir die bange Zeit nach Auszug der Vantages und DB9 etwas zu erleichtern, indem man großflächige Wanddekorationen mit Aston Martins neuestem Wurf, dem Cygnet anbrachte. Aber dieser ist eigentlich ein oller Toyota IQ und kommt sowieso nur auf dem Markt, damit der englische Rennstall die Flotten CO2-Werte halten kann. WENN er denn auf den Markt kommt, das ist noch nicht sicher. Aber sicher ist, dass er den verlorenen Anblick der großen Brüder nun einmal nicht ersetzen kann.

Nun aber ist die lange Zeit des Sinnierens nach einem Nachfolger-Shop vorbei. Es tut sich was hinter vorgehangenen Planen. Endlich hat man passenden Ersatz gefunden, es war wohl nicht leicht. Was soll schon in die gummierten Fusstapfen eines Renn-Engländers treten können?

Die Antwort findet einen direkten Weg in die Nase. Dort wird qualmendes schwarzes Rund gegen dampfendes schwarzes Rund ersetzt. Man schickt sich an, einen Nespresso Shop zu eröffnen. Komplett mit allem, was man aus einer deutschen Nespresso-Boutique kennt. Sogar inklusive goldbekapselter roter Türen, die nach Verbotener Stadt ausschauen. So hat man also meine liebste Automarke mit meiner liebsten Kaffee-zuhause Marke ersetzt. Welch aufmerksame Geste Richtung bohnentrinkendem Ausländer im Land des grünen Tees!

Da werde ich in Zukunft wohl etwas als vorher häufiger Kunde im eigenen Haus sein. Ich frage mich allerdings, wann ich wohl der Aston Martin – Lamborghini Analogie folgend das erste Mal eine Lieferung Starbucks vor den versiegelten Toren der Patronenmaschinen entdecke!

Muße am Schnürchen

Montag, Juli 26th, 2010

Es hat etwas gespenstisches an sich: in kurvigen Bögen stehen kleine flackernde Lichter am Himmel über Beijing.

UFOs? Eingefrorene Sternschnuppen? Morse-Blitze? Ist man ein, zwei Häuserblocks entfernt und kennt man das Szenario noch nicht, dann kann man für diese Erscheinung einfach keine Erklärung finden.

Irgendwann jedoch steht man an einem zumeist größeren Platz, auf den die Lichtsäulen zuzulaufen scheinen. Und dann wird einem klar: Der Herr Li sitzt hier bei einem Feierabendbierchen und gibt mächtig Leine.

Wenn man sich die Zeit nimmt und sich neben ihn setzt, geschieht etwas ganz interessantes und recht seltenes: man entspannt.

Zunächst versucht der eigene Geist noch, dem ganzen mit Logik zu begegnen: Was machen erwachsene Menschen bitteschön abends um diese Zeit (21:00) auf der Straße mit Kinderspielzeug?

Und dann sieht man, wie Herr Li in geübtem Rhythmus kleine LEDs an die Schnur klemmt und die Leine weiter ausrollen lässt. Nur selten muss er aufstehen. Und dann meist nicht, um die Flugbahn seines Drachen zu korrigieren, sondern eher um jungen Flugaspiranten über die ersten Höhenmeter zu helfen. Denn das, so lernt man schnell durch Zusehen, will gelernt sein.

Im Laufe von zwei Stunden steigt die Zahl der modernen Schuppentiere über Peking stark an. Es ist ein windiger Abend und Herr Li und seine Schnurbrüder sind gut gerüstet – mit ihren umgehängten Spulen haben sie verblüffende Ähnlichkeit mit Hochsee-Anglern.

Diese äussert leichtgängigen Leinenwickler haben nichts mehr gemein mit dem um ein Stück Pappe gewickelten Bindfäden europäischer Kindertage. Die Schnur selbst übrigens auch nicht: Ein ultradünnes, erstaunlich belastbares Kunstfaserwerk , das kaum Gewicht auf die Waage bringt. So kann der Drachen deutlich höher steigen, als es in Hamburg oder Berlin erlaubt wäre. In Peking jedoch gibt es keine Hubschrauber und damit sind Entfernungen von mehreren hundert Metern kein Problem.

Auf die Frage, weshalb er hier sitze, sagt Herr Li, an einem solchen Abend müsse man selbstverständlich hier sein. Dies sei ein Drachen Abend quasi. Sprachs und nickt vielsagend. So aus dem Zusammenhang gerissen klingt das erst einmal etwas rätselhaft.

Was Herr Li hier meint, ist, dass man Xiang Qi (eine chinesische Form des Schach) an jedem anderen beliebigen Abend spielen kann.

Wenn es Wind gibt, es warm ist und zudem noch wenig Smog, dann ist Drachenzeit! Wäre ja auch dumm, derartige Verhältnisse nicht zu nutzen.

Als ich mich auf den Weg nach Hause mache, sitzt Herr Li noch immer unverdrossen auf seinem Klappstuhl und regelt munter den Drachenverkehr mit seinen Kollegen als gäbe es kein Morgen.

In der Zeit, in der ich neben ihm saß, hätte ich auch einen Film schauen können. Nur ist man nach einer DVD seltsamerweise niemals so entspannt und geerdet wie nach einer Drachenpartie mit Herrn Li. Am chinesischen Bier liegt das nicht. Vielmehr an der bodenständigen und ruhigen Stimmung. Weniger ist manchmal mehr. Selbst hier im Lande Li.

Kritzeleien

Freitag, Juli 23rd, 2010

Wir erinnern uns – als ich damals hier ankam, stellte ich fest, dass es kein Graffiti an den Wänden gab. Es dauerte eine Weile, dies zu bemerken – Irgendwie erschien alles so sauber. Klar, ich lief nur im Central Business District herum, aber dennoch – irgendetwas war ganz klar anders.
Es ist schon interessant, wie sehr man sich an das sprühende Sozialmauern zuhause gewöhnt. Es ist einfach überall und deshalb schon fast wieder unsichtbar.
“Jemand hat an den Eiffelturm gesprayed!” Und die weiteren Nachrichten: Die Erde dreht sich noch.

Lästig ist es aber schon. Und kein hippes Neuzeitwort wie “Street Art” kann die Tatsache verschleiern, dass die meisten Färbereien nicht nur hässlich sind – darüber liesse sich immerhin noch streiten, sondern dass sie oft illegal angebracht werden und fremdes Eigentum beschädigen oder zumindest die Lebensqualität mancher Menschen.

Und doch haben wir uns so sehr daran gewöhnt, die täglichen Farbmurmeleien zu ertragen, dass es ein beinahe verstörender Anblick ist, vor langen Mauern ohne tropfend Botschaften zu stehen. Und in Peking sind die Mauern so sauber wie am ersten Tag. Na, zumindest dachte ich das.

Es dauerte wieder einmal eine Weile, um festzustellen, dass der Mauern Weste nicht so weiss war wie es schien. Nur muss man hier nach etwas anderem suchen.

Sie sind klein, zumeist schwarz oder rot und sie tragen lange Zahlenreihen. Man findet sie auf Mauern, auf dem Boden und auf Kantsteinen. Das, was man hier erblickt sind jedoch keine hilflosen Schreie à la Hallo-Welt-ich-bin-hier-bitte-nehmt-mich-wahr-bitte-bitte, sondern entspringt viel mehr einem ausgeprägten Geschäftssinn. Immerhin sind wir in China.

Einen neuen Ausweis gefällig? Ein Hukou (offizielle Registrierung) oder eine sonstige Form der Identifizierung nötig? Da kann man aushelfen. Den Führerschein ‘verloren’? Die Trauer kann ein schnelles Ende haben! Wenn irgendetwas auf dem offiziellen Weg schwierig zu besorgen ist – die sprühende Leidenschaft schafft es im Nu heran. Sicher, man findet nicht gerade einen Kundendienst am anderen Ende der Telefonnummer und eine Quittung oder Rechnung für die Leistungen darf man auch nicht erwarten, aber dachte sich der geneigte Leser wahrscheinlich bereits.

Interessanterweise sind die meisten der Telefonnummern übermalt. Es scheint eine beträchtliche Armee der pinselnden Gerechtigkeit zu geben, die dafür verantwortlich zeichnet, Zahlen aus der Welt zu streichen. Lustig nur, dass sie tatsächlich nur die Ziffern überdecken. Man sollte denken, dass sie das gesamte fadenscheinige Angebot mit dem Mantel der Gleichgültigkeit überdecken. Warum die Nummer entfernen und mit dem verlockenden Angebot weiterhin die Menschen auf dumme Gedanken bringen?
Manchmal wird auch in der Tat alles übermalt. Oft jedoch nicht. Und selbst wenn, dann ist die Farbe ab und an so dünn, dass leicht alles darunter liegende durch scheint. Aber hey – wir haben es weggepinselt, also sagt uns nicht, wir würden unseren Job nicht erledigen!

Und so ist die Stadt auf eine seltsam poetische Weise gefüllt mit tausenden Aufrufen, die eigene Identität zu erneuern oder gar zu verändern.

Ab und an sieht man auch jemanden mit dem Fahrrad vorbeifahren, kleine Papierschnipsel auf den Gehweg streuend. Mit dem unschuldigsten Gesicht der Welt schaut er dann in eine andere Richtung, während ein unablässiger Fluss kleiner Kärtchen aus seiner Tasche einen papierenen Pfad hinterlässt. Eine weitere Schicht halbseidener Angebote. Vergänglicher zwar, aber nicht weniger illegal.

Da meine Papiere derzeit glücklicherweise alle in Ordnung sind, habe ich für derartige Leistungen keinen Bedarf. Ich warte noch dringend auf das Angebot nach mehr Freizeit und Ausgeglichenheit. Das allerdings wäre in der Tat eine kostbare Leistung.

Die Ordnung der Dinge

Mittwoch, Juli 21st, 2010

A kommt vor B. Und Ü noch V. Cz spricht sich zwar wie “Tsch”, findet sich aber dennoch unter C wieder.

Das Alphabet ist schon toll. Nicht nur ermöglicht es uns die verbale und schriftliche Kommunikation, es lassen sich damit sogar völlig neue Wortkombinationen erstellen. Ein Talent des Alphabets weiss man jedoch erst auf der anderen Seite der Erde zu schätzen: es sorgt für Ordnung.

Der Durchblick im Aktenschrank, CD- oder Bücherregal wäre für viele Menschen nur schwer vorstellbar ohne Alphabet. Es erleichtert auch das Durchgehen der Anwesenheitsliste in der Klasse und sorgt für Übersicht im Handy. Sortierung anhand von Vor- oder Nachname? Ein Klick und man weiß, wen man wo zu suchen -und finden- hat.

Was aber, wenn man nicht Tamara und Aaron einsortieren möchte, sondern 静 und 建国? (wir ignorieren hier einmal die Tatsachen, dass in China freilich nicht nach den Vor-, sondern den Nachnamen sortiert wird – sofern man sie denn so bezeichnen kann)

Auf der Suche nach Antwort laufen wir in eine der üblichen chinesischen Fallen: Man stellt eine direkte Frage wie, sagen wir mal: “wie sortiert ihr eigentlich in China?” und findet sich eine knappe Stunde später am anderen Ende einer recht auslaugenden hitzigen Debatte wieder, an deren nicht abzusehendem Ende keine eindeutige Antwort steht.

Dennoch versuche ich hier einmal eine europäische Zusammenfassung:

Die alten Zeiten (knapp 50 Jahre her) sind gottlob vorbei. Damals hatte so ziemlich jeder seine eigene Art zu sortieren, und wir wollen gar nicht erst versuchen, dort eine irgendwie geartete Logik anzusetzen. Heute findet man offenbar hauptsächlich zwei etablierte Systeme: Die Sortierung nach Aussprache und nach Strichzahl.

Ersteres ist leicht verständlich: 静 wird beim alphabetischen J abgelegt, da es “Jing” ausgesprochen wird. 建国 übrigens auch, weil wir hier ausgesprochen “Jian Guo” hören. Leider konnten meine Recherchen nicht in Erfahrung bringen, ob man wie nach abendländischem Verständis den Jian Guo VOR der Jing ablegt oder ob nach dem Anfangsbuchstaben dann alles chinesisch egal ist. Übrigens sortieren wohl auch die meisten Computer-Systeme auf diese Weise die mit chinesischen Schriftzeichen betitelten Dateien und damit zumindest phonetisch nach Alphabet. Es sei denn, sie tun es nicht, was auch vorkommt. Aber warum das manchmal der Fall ist, darauf konnte nun wieder niemand eine Antwort finden.

Ablege-Variation Nummer 2 bezieht sich auf die Anzahl an Linien, die sich in dem ersten Schriftzeichen befinden. 静 findet sich dann also unter 14 und 建国 unter 8 wieder. Für europäisches Verständnis ist dies eine sehr seltsame Vorgehensweise. Aus chinesischer Sicht jedoch ist das eng daran angelehnt, wie man unbekannte Schriftzeichen im Lexikon nachschlägt.

Da auch Chinesen ein Zeichen nicht aussprechen können, das sie noch niemals gehört haben, zählen sie die Striche im Haupt-Teil des Zeichens (wie man den findet, das erschliesst sich nur Herrn Li und den seinigen). In Lexika kann man sich auf diese Weise relativ rasch an das gewünschte Zeichen heranzählen, nachschauen, wie es ausgesprochen wird und welche Bedeutung es hat. Man ist also an die Verwandtschaft von Wort und Zahl gewöhnt.

Einzig, der ordnungsliebende Herr Meyer fragt sich, wie es sein kann, dass zwei verschiedene Systeme parallel existieren. “Da müsste man ja erst schauen, welches System verwendet wird!”. Ja, genau, Herr Meyer. Und Herr Li fügt beiläufig hinzu “Na und?” und kaut weiter an seinem Hühnerfuss aus der Tüte.

Tja, wenn man “Li” mit Nachnamen heisst, dann ist Ordnung nun einmal nicht das halbe Leben. Macht irgendwie auch nichts, die Chinesen scheinen das gut zu überleben. Unser bürokratischer Herr Meyer hingegen hat seine Fassung noch nicht wieder gefunden und bestellt noch ein Bier. Das wird im Chinesischen übrigens genau wie bei uns im Magen abgelegt. Na, am Ende sind wir eben doch nicht so verschieden. Ganbei!

Hauptgericht als Beilage

Dienstag, Juli 6th, 2010

“So, wir nehmen dann einmal den gebratenen Dingensfisch, diese kleinen scharfen Hühnerteile im Flechtkorb, die grünen Bohnen mit mini-Gehacktem, die grünrosanen kalten Gurken und das Schweinefleisch mit Paprikastreifen. Spatz, was wolltest Du noch gleich dazu haben?”

Herr Meyer blickt von der Karte auf. Seine Frau ist jedoch mit Herrn Johnsons Gattin in eine wichtige Diskussion über das Für und Wider vom Kauf gefälschter Handtaschen vertieft. “Ach ja”, fällt es Herrn Meyer da wieder ein, “Wir bräuchten unbedingt noch diesen Kartoffelberg. Sie wissen schon, die Zwergpommes, quasi. Die sind einfach spitze”.

Der Ober, ein schwippverschwägerter Cousin zweiten Grades von Herrn Lis Tante mütterlicherseits schreibt ordentlich mit und blickt Herrn Meyer dann wieder aufmerksam an. Als dieser nichts weiter von sich gibt und ebenfalls nur abwartend zurück schaut, ist er merklich irritiert. Was er daraufhin von sich gibt, irritiert hingegen nicht nur Herrn Meyer, sondern auch Herrn Johnson. Es würde sogar die anwesenden Damen verwirren, wenn diese denn von ihrem Gespräch abliessen.

“Und als Hauptgericht?”

Herr Meyer ist hilflos. Wohl merkend, dass sich eine peinliche Pause aufzubauen beginnt, versucht er rasend schnell eine Lösung für ein Problem zu finden, das er überhaupt nicht versteht.

“Nun, äh, wir nehmen dann noch das Lamm mit Koriander.” Fast klang es eher fragend als bestimmt. Und als Herr Meyer nun wieder den Ober anschaut, ist seine Unsicherheit recht offensichtlich. Wieviele Gerichte soll er denn hier bestellen, damit das als vollwertige Mahlzeit durchgeht?

Der Ober ist seinerseits ebenfalls etwas hilflos, macht sich dann jedoch schließlich auf den Weg zur Küche. Er muss wieder einmal so eine seltsame Ausländer-Bestellung aufgeben…

Hier haben wir einer Szene beiwohnen dürfen, die sich so oder so ähnlich praktisch täglich in den unzähligen Restaurants dieses Landes ereignet. Unser kulinarisches Quartett aus dem Westen wird später beim Verlassen des Restaurants den Kopf darüber schütteln, dass man in China ständig derart viele Hauptgerichte bestellen muss, dass man sie unmöglich aufessen kann. Der abräumende Ober seinerseits schüttelt auch den Kopf. Und zwar darüber, dass Ausländer so unnachvollziehbar viele Beilagen bestellen, dafür jedoch eine Menge anderes vergessen.

Der Ratz-fatz-schmatz erfahre Leser ahnt es schon: im Lande Li ist wieder mal alles gänzlich anders als bei uns.

Im Westen haben sich die Menschen an eine ganz klare Futterordnung gewöhnt: Steak mit Pommes, Hühnchen mit Reis, Lammkeule mit Frühlingsgemüse, Red Snapper an Salat. Sehr schön nach Schema L wie lecker wird jeweils das tierische Produkt als Hauptspeise und das pflanzliche als Beilage bezeichnet. Ein Nebenprodukt sozusagen und damit nicht so wichtig. Und irgendwie ist das sowieso völlig egal, weil sich ja alles auf einem einzigen Teller tummelt, den ausser dem Besteller sonst niemand anfassen darf.

Vor dem Hauptgericht darf es noch eine kleine Vorspeise geben, und die kann dann so ziemlich alles sein: heiss, kalt, tierischer oder pflanzlicher Natur. Als Speise vor dem Hauptgang hat sie keine nähere Bezeichnung wie Beilagenvorspeise oder Haupt-Hors D’œvre. Und bestellt man keine Vorspeise, stört das niemanden.

In China wird erwartet, dass man sich das Essen zusammenzustellen vermag. Hier wird eben nicht bereits für den Gast alles auf eine Portion hin auf dem Teller arrangiert. Man bestellt jede Speisenkategorie einzeln. Und dann nicht nur einen Komplett-Teller für sich selbst, sondern immer für die Gruppe. Alle Teller kommen in die Mitte auf die Drehplatte und jeder isst von allem. Wenn es denn lecker ist. Und sinnvoll zusammen gestellt.

Es sollte eine Suppe dabei sein, um den Magen anzuwärmen. Etwas kalte Vorspeise (warme gibt es praktisch nicht) sollte da stehen. Und dann eine Reihe von Gerichten, mindestens zwei Fleischkategorien abdeckend. Gemüseteller sind ebenfalls zu ordern. Und dann, ja dann kommen wir zum Hauptgang. Dieser wird entweder durch Reis verkörpert, durch Baozi (Teigbeutel mit Füllung) oder durch Nudeln, also etwas mit Stärke. Der Westler kommt da schon einmal hoffnungslos mit den Begrifflichkeiten durcheinander. Eine kleine Schale blanker Reis – und das ist nun eine Hauptspeise? Da kommt man im Leben nicht drauf, wenn es nicht einer klar stellt.

Tee gehört auch wie selbst verständlich zum Essen. Oder Bier. Klare Wahl. Und bei beiden gilt ein Prinzip: Der Gastgeber (wer das ist, dazu kommen wir gleich) schenkt nach. Wobei genauestens darauf zu achten ist, dass bereits ab knapp über Glas/Becher-Hälfte akuter Nachfüll-Alarm besteht. Der geruhsame Europäer, der gerne sein Glas leert oder sich beim Tee darauf freut, dass dieser ab der Hälfte endlich Trinktemperatur erreicht hat, kommt dabei in Verzehrstress. Viel zu häufig und zu viel trinkt er dann oft, da das Glas ständig gut gefüllt ist.

Wer nachschenkt muss übrigens ausserdem darauf achten, wie er die Teekanne abstellt. Der Hahn darf auf keinen Gast zeigen. Das ist unhöflich, bringt Unglück und läutet das Ende der Welt ein. Komisch nur, dass sich diese Regel ausschliesslich auf die Gäste am eigenen Tisch bezieht. Niemanden stört es, zeigt der Hahn auf 120 andere Menschen im Raum.

Wer als Gastgeber nicht nachschenkt, ist knauserig und kümmert sich nicht um seine Gäste. Wahlweise fällt die Auszeichnung des Pudelkönigs auch einfach auf die jüngere Generation, die sich um die Älteren zu kümmern hat. Egal, wer da jetzt wen einlädt.

Und da sind wir auch schon beim Thema Gastgeber. Nehmen wir an, Herr und Frau Meyer haben Herrn und Frau Johnson angerufen, um sich mit ihnen zum Essen zu verabreden. Aus chinesischer Sicht ist damit die Sache klar: Herr Meyer muss das Restaurant buchen, das Essen auswählen (mindestens zwei Gerichte mehr, als man essen kann), über den Getränkenachschub wachen und letztlich die Rechnung begleichen. Die Aufgabe von Herrn Johnson wäre es, so zu tun, als würde er die Rechnung übernehmen wollen. Dann müsste sich kurz gestritten werden und Herr Meyer behielte die Oberhand, damit Herr Johnson “nächstes Mal lade ich ein” sagen kann.

Das sollte er dann auch. Und dann ginge alles wieder von vorn los. Mit oder ohne Hauptgerichte.