Am letzten Februartag war Jubiläum. Kein schönes zwar, aber es lässt sich nun mal beim besten Willen nicht übersehen.
Rostlaubig reckt sich das gefallene Ungetüm dem Himmel entgegen, fleckig wie das Fell eines räudigen Strassenköters. Die metallene Haut ist löchrig und vielerorts aufgeplatzt. Die aus ihnen heraus ragenden Stahlstreben formen sich zu bettelnden Händen. Dramatisch und still fragen sie “warum”?
Die Rede ist vom Mandarin Oriental. Dem Gebäude, das Teil des neuen und glorreichen CCTV Komplexes im Herzen Pekings werden sollte.
Im Verlauf des vergangenen Jahres konnte man die Verantwortung für seine verfrühte Abwrackung auf 20 Knallfrösche abschieben, die zur infrage kommenden Zeit entgegen polizeilichen Rates ihrer Böllerneigung frönten. Sie dürfen sich fortan um die Aufteilung der Rechnung im mehrstelligen Millionenbereich kümmern.
Der clevere Leser hat allerdings bereits gemerkt, dass da etwas mit dem Datum nicht stimmen kann. Das Feuerwerk der fünf Sterne Klasse fand am 10. Februar 2009 statt.
Weshalb also erst jetzt das Jubiläum?
Die Antwort ist wie so oft dem Kalendersystem geschuldet. 15 Tage nach dem chinesischen Neujahr findet das Laternenfest statt. Hier verpuffen die letzten eisernen Böller-Rationen im Zuge der neujährlichen Abschlussfeier. Kein Tag für Freunde der Ruhe und des Friedens. Und kein guter Tag für Neubauten wie es scheint.
Am 28. war also wieder Laternenfestival. Und man hat vorgesorgt. So ein Hotel-Barbequeue sollte nicht noch einmal passieren. Schilder ermahnten allerorts, dass Feuerwerk nicht im Stadtzentrum erlaubt sei, nicht in der Nähe von Gebäuden, an Plätzen öffentlichen Interesses und überhaupt irgendwie am besten gar nicht. “No Bölling” Parole könnte man das nennen.
Aber was machen wohl die Milliarden Chinesen, wenn die Verkaufszeltemafia in jeder größeren Strasse im Abstand von wenigen hundert Metern den Explosionsmuskel reizt?
Sie kaufen. Und das kartonweise.
In diesem Jahr gab es landesweit 676 Feuer, und es wurden summa summarum Schäden im Wert von 2 Millionen Yuan angerichtet. Man brüstet sich seltsamerweise damit, dass die Todesrate um 66,7 Prozent geringer war als im Jahr zuvor, nennt dabei vorsorglich aber erstmal keine Zahlen.
Vielleicht ist das auch besser so, denn allein in Guangdong wurden in der finalen Woche bei einer einzigen feuerwerksbedingten Explosion 21 Menschen von der Einwohnerliste gefegt. Das rechnen wir mal besser nicht landesweit hoch.
Dabei ist das Laternenfestival ursprünglich ersonnen, um Leid und Tod fern zu halten, statt es herbei zu holen. Das Böse mit rotem Licht wie von Feuer und dem Krach explodierender Feuerwerkskörper einschüchtern und das Gute hereinlassen, das sollte Glück und Erfolg fürs neue Jahr sichern.
In meinem Bestreben, die Leser dieses Blogs zu den bestinformiertesten dieses Planeten zu machen, habe ich versucht, so viel wir möglich über diesen Tag heraus zu finden. Alles hängt zwar mächtig voller roter Lichtlein, Herrn Lis Vorfahren waren jedoch reiselustige Gesellen und so haben sich die unzähligen historischen Riten und Gebräuche der schier endlosen Regionalkulturen heute stark vermischt.
So recht weiß offenbar niemand mehr, worauf gewisse Traditionen beruhen. Man hätte einen Drachen getötet und wollte dem erzürnten Gott vorgaukeln, die Erde sei bereits im Untergang. Machte man mächtig auf Theater, und das sollte den Gott von seiner Rache absehen lassen. Dass dieser am nächsten Tag beim Blick aus dem Fenster eben diese Erde aber wieder in bester Verfassung vorfinden würde und seine Rache dann halt einen Tag später ausüben könnte, daran hat niemand gedacht. Man bekommt ein gemurmeltes “Frag nicht so viel” zur Antwort.
Aber der Chinese selbst fragt sowieso nicht gern ‘warum’, sondern macht einfach. Bis zum 17. März nicht zum Friseur gehen, weil das dem Onkel Unglück bringen würde? Er weiss auch nicht so recht warum, hält sich aber dran. Zum neuen Jahr Dumplings essen, in denen Münzen versteckt sein könnten? Haben wir immer so gemacht, was soll die Fragerei?
Zugegeben – in Deutschland weiß auch nicht jeder, weshalb es zu Ostern Eier gibt, die angeblich ein Hase bringt. Und zu Weihnachten streiten Kartoffelsalat- und Gansgerichte um die Vorherrschaft bei den Traditionen. Warum? Egal, es schmeckt, warum also nicht?
In Peking jedenfalls isst man anlässlich des Laternenfestes so…äh….Dinger. Ich habe sie der Einfachheit halber und aufgrund ihrer Konsistenz vielsagend ‘Alien Glibber’ getauft. Wer es gerne ekelig mag, kann hier von einem weich gekochten Rinderauge sprechen, das entspräche der Konsistenz. Aber dann mag man nun gar nicht mehr zubeissen.
Freilich steckt auch hinter diesem Brauch eine lange Geschichte voller Drachen, Leid und tapferen Jungfrauen. Diese soll jedoch ein andernmal erzählt werden. Geschmacklich ist die ganze Schose nach einer sehr kurzen Gewöhnungsphase von knapp einem Jahr (man isst die Kollegen nun einmal praktisch nur zu Neujahr) gar nicht so schlecht: einem ausgenudelten Squash Ball nicht unähnlich drückt man die Oberfläche bis fast ganz nach unten durch, bevor die Physik es einem erlaubt ins Innere vorzudringen. Und dort erwartet den Unerfahrenen der farbliche Komplementärkontrast: eine tiefschwarze Masse quillt hervor und vereinnahmt die unschuldig weißen Ränder des Bällchens ohne Zögern.
“Indiana Jones Teil 2″ geistert durch den Kopf. Erinnerungen an eine Kindheit, gebannt vor dem Fernseher sitzend, die VHS Leihkassette im quietschenden Player. Harrison Ford mit Hut und Peitsche an der Tafel des Grauens, auf der sich Affenhirn, Käfer und Schlagen als Delikatesse feilbieten. Der erste Eindruck ist verwandt. Beinahe enttäuschend langweilig jedoch dann die Realität: kein platzender Chitinpanzer, keine grausamen Bitterstoffe attackieren den Gaumen. Stattdessen Entspannung auf der Geschmacksfront: es handelt sich um süße Klebereis-Bällchen mit Sesamfüllung. Und so ungefährlich munden sie dann auch. Eine nette Nachspeise. Ungewohnt, aber nicht unlecker.
Im fröhlich schmatzenden, schnatternden und häufig “Ganbei” rufenden Familienkreise sitzend, kann man dann zum Schluss vor allem eines feststellen: Auch der Westler braucht für Gemütlichkeit kein Warum. Höchstens ein “warum nicht öfter”?
Anmerkung am Rande:
wir haben unsere private Artillerie gänzlich ohne Zwischenfälle und ungeplante Brände von Kulturgut hinter uns bringen können.
Aber wir hatten auch nur zwei ganz kleine Knallerchen aufgefahren…