Wo ist denn das jetzt?

Dezember 9th, 2009

Wenn Herr Müller eine Party gab, hat er früher immer eine eine Karte gemalt, damit Herr Meier und Herr Schultze auch wussten, wo sie hin mussten.
Das war sehr hilfreich.

Nur war die Karte nach einiger Zeit und unzähligen Durchläufen auf dem Kopierer etwas schwer lesbar. Dann mussten Herr Meier und Herr Schultze manchmal anhalten und jemanden fragen.

Müller Junior hat es da heute etwas einfacher. Wenn seine Eltern mal auf einem Kegelausflug sind, schickt er einfach fix einen Link per Google Maps und die Fräuleins Meier und Schultze wissen genau, wo er wohnt. Keine Fragen offen.

Der Segen des Internets liegt für viele in den bestechend einfach zu bedienenden Karten-Applikationen von Google, Microsoft und dergleichen. Auf der Karte suchen, im Satellitenmodus kurz die Optik checken, alles ausdrucken und ab geht’s. Mann kann sich sehr schnell dran gewöhnen.

Bis, ja bis man in China ankommt. Für den nicht der Landessprache mächtigen ergibt sich ein bunter Strauss Probleme, von deren Existenz er nicht einmal zu Albträumen gewagt hat.

nanluoguxiangEin klassischer Fall: Man bekommt noch in Deutschland die Adresse des Büros in Peking geschickt: 南锣鼓巷8号.
Der eigene Rechner vermisst dummerweise den chinesischen Zeichensatz, so dass man nur kleine Quadrate sieht. Wahlweise auch viele Fragezeichen. [wenn dort oben keine chinesisch aussehende Adresse zu lesen steht, ist genau das auf dem PC des geneigten Lesers der Fall]. Man fragt nach und bekommt die Adresse nocheinmal, diesmal in Pinyin Schreibweise, also mit für westliche Augen lesbaren Buchstaben: 8nanluoguxiang.

Chinesiche Wörter werden ohne Leerzeichen aneinander gereiht. Die Dame im Pekinger Büro klatscht also alles zusammen, wie sie es gewohnt ist. Groß- und Kleinbuchstaben gibt es bei ihr ja auch nicht.
Man wundert sich,wie lang der Strassenname ist und ob das ein einziges Wort sei, kopiert ihn aber geschwind in Google Maps. Dort findet man prompt…nichts. “No results found” heisst es und das war’s.
Also wieder Rückfrage im chinesischen Büro. Können die denn ihre eigene Adresse nicht?


Als Antwort kommt diesmal ein ersehnter Link zu Google Maps. Allerdings zur Google Maps China Seite, auf der gänzlich unüberraschend alles auf Chinesisch ist. Jetzt hat man zwar eine fröhliche rote Pinnadel im Bild, kann aber drumherum nur komische Striche sehen und fühlt sich auch nicht schlauer.
Beim Umschalten auf Satellitenansicht wird es ganz kurios. Dort scheint die Nadel plötzlich ganz woanders zu stecken. Nach einigem Hin- und Herschalten zwischen Satellliten- und Kartenansicht ist man sich sicher: die Nadel springt munter umher. Da ist doch was kaputt. Wo ist denn das jetzt, verdammt noch mal?

nanluoguxian SchreibweisenMan probiert es mit Google als Suchmaschine und tippt die Pinyin-Adresse ein. Nach einer Weile hat man alle möglichen Schreibweisen der Strasse auf diversen Blogs und Websites gesehen:
Nanluo guxiang
Nan luogo Xiang
nanlu guoxiang
Nan luo gu xiang

Und endlich – bei der letzten Variante will auch das internationale Google Maps mitspielen und wirft eine Nadel in den Heuhaufen. Die zeigt allerdings auf eine Strasse, auf der 南锣鼓巷 steht, obwohl alle anderen drumherum fein lesbar in Pinyin angezeigt werden. Ausserdem liest man noch S Luogu Alley. Klingt zwar ähnlich, aber so richtig dann auch wieder nicht. Da man die ursprünglich per Email geschickte Adresse leider nur als Rechtecke angezeigt bekommt, kann man die Schriftzeichen nicht vergleichen. So weiß man immer noch nicht sicher, ob der Ort stimmt. Aber ein Vergleich mit dem Link zur chinesischen Google Karte lässt Hoffnung aufkommen. Sieht ziemlich identisch aus. Nur Satellit ist auf beiden derart verschoben, dass es unnutzbar ist. (Kleine Anmerkung: Das hat der Herr Li veranlasst. Wegen der Staatssicherheit und so)

Und so druckt man halb zuversichtlich die in Pinyin geschriebene Adresse samt Karte aus und macht sich auf den Weg nach Pingpongland. Man glaubt eigentlich nicht, den Ausdruck zu benötigen, aber sicher ist sicher – falls der Taxifahrer nicht allzu gut des Englischen mächtig sein sollte.

Am Flughafen angekommen setzt man sich in einen der Knoblauchbomber und sagt dem Fahrer schon mal vorsichtshalber freundlich “to City Center please”, während man noch nach dem Ausdruck kramt. Ein solcher kommt prompt zurück und zwar im Gesicht des Höllenlenkers. Er schaut, als hätte man gerade den Krieg erklärt und erwidert ein militärisch abgehackt schroffes -áhh? Wenn man etwas Glück hat, artikuliert er sich sogar nachvollziehbar mit einem gällenden 什么?? – nicht, dass einen das weiterbringt, aber Eloquenz ist Trumpf. Unterm Strich soll beides bedeuten: Du nix Chinesich, Du mächtig in der roten Tinte. Er kann kein schlechtes Englisch, er kann überhaupt gar keines. Nicht einmal Hoch-Chinesisch, sondern Muffelmandarin at best.

Gut, keine Panik, dafür hat man vorgesorgt. Flugs den Ausdruck nach vorn gereicht, die Karten mit der Nadel mittendrin. Der Ausschnitt mag klein sein, aber genügend Strassen sind drauf. Da sollte sich ein Taxifahrer wohl orientieren können. Was dann folgt ist das Schauspiel der dramatischen Distanzierung. So zumindest könnte der Titel lauten: der Fahrer hält den Zettel so weit wie möglich von sich entfernt, kneift die Augen zusammen, zieht ihn mehrere Male abrupt zu sich heran und wieder weiter weg, um ihn dann zurück zu reichen. Begleitet wird die Aktion von einer Schallmauer aus rückwärtsdrehenden texanischen Nebengassenkatharrismen. Allesamt wenig erfreut klingend, falls die Bemerkung notwendig sein sollte.

Der Fahrgast auf der Rückbank findet sich nun in einer Zwickmühle wieder: Soll er sich erst aufregen, dass der Kerl vorne seine Stadt möglicherweise nicht kennt oder gleich das Weite suchen, weil dieser äusserst dringendst eine Sehhilfe benötigt. Ob mit Zuzahlung oder ohne. Auf jeden Fall mit viel Dioptrin.

Man besinnt sich seiner guten Kinderstube und bleibt. Mit einem Finger auf der Straße sagt man noch “I want to go there. See? Right there”. Aber das ist bereits Makulatur, denn dass man dem Fahrer den Zettel nicht aus reiner Begeisterung für Grauschattierungen hingehalten hat, ist offensichtlich.

just take me thereIn diesem Moment macht es ‘klick’ und man begreift, dass der wahrscheinlich die kleinen Buchstaben einfach nicht lesen kann. Zum Glück hat man ja das Pinyin und liest laut: “Nanluoguxiang”. Dabei gibt man sich Mühe, besonders fernöstlich zu klingen. Stolz blickt man nach vorne und in ein regungsloses Gesicht. Es scheint nicht nur, als hätte dieser den Strassennamen nicht verstanden, aus Erfahrung kann ich dem geneigten Leser sogar sagen, dass dieser in dem Moment nicht einmal gemerkt hat, dass das kein Englisch war. Ein Nachteil der Pinyin-Schreibweise ist nämlich, dass sie ausserhalb vom Sprachunterricht zumeist ohne die alles entscheidenden Betonungs-Akzente geschrieben werden. “nanluoguxiang” müsste korrekt “Nán luó gǔ xiàng” geschrieben werden.

Aber mal ehrlich – wer nicht weiss, wie man diese Betonungshilfen anwendet und wie man hierzulande die Buchstaben ausspricht, der steht auch damit im Regen. Sogar wenn er es weiss und es schon zweihundertdreiundsechzig Mal auf verschiedene Art und Weise ausgesprochen hat. Und es hilft auch wenig, dass es selbst auf den Strassenschildern falsch steht. Hier muss man irgendwann einsehen, dass Chinesen nicht nur so gut wie kein Verständnis für westliche Schreibkultur haben – es ist ihnen auch schlicht nicht sonderlich wichtig. Darüber sollten wir aber tunlichst hinwegsehen, denn wer in Deutschland kann sich schon die Strichabfolge eines chinesischen Schriftzeichens merken? Das ist Europäern wurscht. Schau an, wie ähnlich man sich ist.

what?Zurück im Taxi hat man nun also auf der einen Seite eine theoretisch les- und aussprechbare Version der Adresse in der Hand, kann diese aber nicht verständlich vorlesen und der Fahrer mit den lateinischen Buchstaben nicht viel anfangen. Auf der andere Seite hat man eine korrekte chinesische Schreibweise, die man nicht vorlesen kann und für den Fahrer zu klein zum Entziffern ist.

Die oben beschriebene Situation endet für gewöhnlich mit einem genervten Anruf bei der chinesischen Firma, in dessen Verlauf ein muttersprachlicher Angestellter dem Gangschalter Ziel- und Wegbeschreibung übermittelt. Für eine halbe Stunde teilen sich danach zwei Menschen ein Fahrzeug, die sich gegenseitig für den größten Idioten auf dem Planeten halten.

Jetzt könnte man argumentieren, dass man daraus lernen und in Zukunft besser ausgestattet in ein Taxi steigen kann. Leider jedoch ist jede Vorbereitung der Willkür von Chinglisch, Denglisch und jeder freien Kombination dieser Sprachen und Sprachverständnissen mit Pinyin vermischt ausgesetzt. Da liest man in einem Dokument “Guanghua Rd.”, wobei Rd. natürlich die englische Abkürzung für Road ist. Diese sagt aber keinem Fahrer etwas. Der kennt nur die “guāng hua lù”, weil die nunmal so heisst. In Hamburg gibt es immerhin auch keine “Mönckeberg street”, sondern nur eine “Strasse” mit diesem Namen. “Di’anmen West St.” verwirrt z.B. auch eher, als dass es hilft, auch wenn es zumindest die Namensteile erklärt, . Die Strasse heisst “Di’anmen xī dà jiē” und wird wegen Unverständnis gern auch mal “Di’anmen xidajie” geschrieben, was wiederum Google Maps hilflos macht.

Die Möglichkeiten, Pinyin und Englisch zu kombinieren, zusammen- und auseinander zu schreiben sind so endlos wie in der Praxis unverständlich. Man ist gut beraten, sich jede Adresse schön groß in chinesischen Schriftzeichen aufschreiben zu lassen, falls man sie nicht fehlerfrei aussprechen kann. Und das kann man in den seltendsten Fällen. An vielen Strassenrändern sieht man Auländer im Taxi sitzen und auf der Rückbank den Zappelphillip geben, weil selbst die 22ste Version des Begriffs “Jiā lì zhōng xīn” beim Fahrer keine Glocke klingeln lässt. Dabei ist das noch ein verhältnismässig einfaches Ziel, denn das Kerry Center, so der englische Name, kennt praktisch jeder. Zudem sollte das Handy mit Kontakt zu einem Einheimischen immer griffbereit sein. Das gilt sogar für die großen Sehenswürdigkeiten. Die Begriffe “Forbidden City” oder “Summer Palace” lassen für gewöhnlich keine Gefühlsregung beim Droschkenlenker erkennen. Und wenn der Kollege am Telefon dann seinen Teil getan hat, wiederholt der Fahrer fröhlich “Jiā lì zhōng xīn? Méi wèn tí.” und braust los. An dem Punkt ist man bereit aus dem Fenster zu springen, denn genau so hat man es ihm unzählige Male vorgebetet.

Aber selbst wenn man für alle Fälle gerüstet ist und sogar einen patentierten Falkplan ausbreiten könnte, um das Ziel anzuzeigen, ist man nicht vor der letzten Falle gefeit: einem Neuling im Taxigeschäft gegenüber zu sitzen. Dieser kommt in 100% der Fälle nicht aus Peking und kennt die Stadt in der Tat noch weniger als man selbst. Also muss man diesen verbal zum Ziel leiten. In Chinesisch wohlgemerkt. “Left” und “Right” hat er noch nie gehört. Diese Situation sollte man schnellstens erkennen, wenn man nicht stundenlang umher irren will. Aufgrund mangelnder Sprachkenntnis und Angst vor Gesichtsverlust fährt dieser nämlich einfach zögernd los und zwar in irgendeine Richtung. Er hofft, der Gast würde irgendwann etwas Bekanntes wieder erkennen und sich dann mit Richtungshinweisen melden. Dieser sitzt jedoch hinten und weiss auch nicht, wo er ist. In dem Moment geht die Nadel dann vollkommen im Heuhaufen der Stadt unter.

Und so versteht man vielleicht schon eher die alltägliche Situation des abwinkenden Fahrers, der eine Tour verweigert. Wer will sich schon freiwillig mit diesen hilflosen Ausländern herumschlagen, die nicht einmal erklären können, wo sie hin wollen?

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