Breadkrümels

November 21st, 2009

Die Sonne bricht mit ihrer üblichen Kraft durch die Vorhänge. Selbst die zweite, dickere Lage kann sie nicht davon abhalten, die Nachricht zu überbringen, die ihr so sehr am flammenden Herzen liegt: Guten morgen, es ist Samstag!

Und der Samstag beginnt fast immer gleich – Ein vorsichtiges Blinzeln aus dem Fenster mit der leichten Smog Patina, ein erster Blick auf das dreiundzwanzig Stockwerke tiefer liegende verschlafene Hauptstädtchen.

Alles ist chinesisch still. Das Adjektiv muss sein. Nach deutschen Massstäben wäre es stadtlaut. Wie die Hamburger Innenstadt um 20:03 Uhr etwa, wenn die Läden schliessen und Menschen nach Hause strömen, um ihrem erbeuteten Gut zu huldigen oder in die Restaurants zum Abendessen pilgern. Nicht wirklich ruhig, aber auch kein lärmender Berufsverkehr mehr.

Für die teilverbotene Stadt gilt dieser Zustand als absolute Stille. Der Samstag beginnt also freundlich. Jede Woche. Immer wieder.

Von der verglasten Südseite des Apartments führt der Weg direkt zur Dusche. Das heisst, zunächst noch den Wasserspender anschalten. Kaltes auf gähnenden Magen trinken ist in China ja praktisch verboten.

In jedem Fall aber führt der Weg nicht wie in Deutschland in die Küche zum Wochenend-Schlachtfeld: der Einkaufsliste für den Samstag. Man mag über die 7-Tage Woche arbeitsrechtlich denken, was man will. Aber sie erleichtert den Büroknechten um einen der penetrantesten Stressmomente.

Im Anschluss an epidermialer Furchenzählung und vercremten Restaurationsversuchen dann der einzig herausfordernde Moment des Tages: wohin zum Frühstücken?
Die fernöstliche Umsetzung des Rama Spots von der Gemütlichkeit zuhause scheitert leider an daran, dass es nicht nur keine Rama, sondern auch keine Brötchen gibt. Zumindest keine, die man als solche bezeichnen möchte.

Es gibt zum Glück The Beijinger, That’s Beijing, City Weekend, Time Out und ähnliche monatlich erscheinende Publikationen, die den Expat über die kulinarische Lage der Wahlheimat auf dem Laufenden halten. Da findet sich immer was.

Also raus aus dem Haus und erstmal tief die frische Luft* (Zustand von der Redaktion geändert) eingeatmet. Hallo Welt.

Szenenwechsel: PaninoTeca, Sanlitun, Peking
Der letzt Happen europäischen Wohlfühl-Toastes winkt den Geschmacksknospen noch einmal zu, bevor er seinen Weg in die Abgründigkeit aller Verköstigungen antritt. Die entleerte Espresso-Tasse ist noch leicht warm. Sie ist zwar keine Berliner Luft, hat aber mindestens ebenso erwähnenswerte Auswirkungen auf die Umgebung.

Ich kann nicht sagen, ich würde chinesisches Frühstück nicht mögen. Da gibt es Pfannkuchen-ähnliche würzige Rollen, Backwerk und allerlei interessantes. Aber ich muss gestehen, wenn es um die friedlichste Zeit des Tages geht, bin ich sehr heimatverbunden. Ein paar Brötchen mit Kaffee und zwei Stunden Zeit sind der Gipfel des Luxus. Gern auch englisches oder sonstwie westliches Frühstück. Wenn es nur die seit Kindesalter bekannten Gewürze sind.

Und so sitze ich in diesem Moment im Parma-Himmel meiner Wahl und beobachte die übrigen Gäste.

Peking hat, anders als Shanghai oder Hong Kong noch immer nur eine begrenzte Auswahl an westlichen Restaurants. Deren Zahl geht zwar schon weit über das hinaus, was man im Jahr abarbeiten könnte. Wie aber jeder weiß, kommen auf ein wirklich gutes Restaurant mindestens 20, die einem nicht zusagen.

Unterm Strich ist die persönliche Auswahl also eher gering. Und weil in der Stadt tausende Expats leben, denen es ebenso ergeht, tummeln sie sich jedes Wochenende mehr oder weniger in denselben Speise-Tempeln.

Geht man in Deutschland zu einem Italiener, Griechen, Türken, (hier eine andere Nation eintragen), wird man mit 95%iger Wahrscheinlichkeit von einem Kellner eben dieser Nationalität bedient. Geht man in China zu einem Restaurant, gleich welcher Landesfarbe, wird man zu 99% von ein bis vier Kellnern chinesischer Nationalität bedient. Diese sind manchmal nicht einmal in der Lage, die Gerichte auszusprechen, die auf der Karte stehen und wissen wenig vom richtigen Servieren. Dem Geschmack tut das aber keinen Abbruch, der Chef hat die Karte gemacht und die Zutaten definiert. Nur beim Bestellen muss man etwas häufiger die Hände nutzen als zuhause.

Und so fuchteln links von mir zwei Holländerinnen, die keine Zwiebeln mögen. Ein Amerikaner weiter am Fenster versucht es mit der Variation der Lautstärke – er will mehr Eiswürfel – und ein Grüppchen spießiger Norddeutscher tut das, was es am besten kann: über irgendwas meckern und muffelig umher schauen. Sie wissen noch nicht, wie man den Kellner herbei bekommt. Mit hoch aufgrecktem Kopf warten funktioniert halt nur in Blankenese. Ein Afrikaner hilft ihnen. Sie schauen betreten und bedanken sich zögernd.
Vor mir ein Tisch mit Franzosen. Die scheinen schon länger da zu sein. Als einzige bestellen sie locker in Chinesisch und zwar nicht nur mit dem üblichen “zhèi gè” (‘dschäyiga’ -das da), gefolgt vom Fingerzeig auf das Objekt der Begierde, sondern flüssig.

Ein bunter Haufen sind wir. Ausländer, die Chinesisch sprechen, Chinesen, die keins können, weil sie in den USA geboren wurden. Europäer, die ein klein wenig Mandarin können, Australier, die beim Suchen nach den fehlenden Worten aushelfen. Ein akkustischer Knoten aus Akzenten und Dialekten. Menschen aus allen Teilen der Welt, die es gewohnt sind zwischen zwei, drei oder mehr Spachen hin und her zuschalten.
Viele von ihnen helfen einander wie selbstverständlich ohne sich zu kennen. Und alle beißen in denselben Schinken der Verbundenheit. Blonde Kinder mit schmalen Augen sind der beste Beweis dafür.

Man gewöhnt sich an sowas. Denn das Chaos hat Herz. Wer sich nur sporadisch verständigen kann, verzichtet auf alles, was das Leben verkompliziert. Aus Mangel an Worten versucht der Mensch eher, durch Lächeln zu kommunizieren, als ausdrucksstark nach dem Haar in der Suppe zu suchen. In der Einfachheit liegt das kleine Glück. Insbesondere wenn es Alltag ist und keine urlaubs-Ausnahme.

Am Samstag morgen ist die Welt in Ordnung. Und mittlerweile nach deutschem Verständnis recht laut. Zum Glück gibt’s hier keinen Hausmeister.

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