Mal mir mal ‘ne Bedeutung

November 25th, 2009

“a, e, i, o, u” – ein Vokal hat es gut bei uns. Als warm wird er empfunden, als ehrlich und angenehm. Die deutsche Sprache ist voll von Vokalen. Ließe man sie weg, wäre man schnell bei Tschechisch, ukrainisch oder Südpolnisch. Und das klingt in unseren westlichen Ohren hart und unangenehm.

aeiouGut, Konsonanten braucht es auch. Würde man diese weglassen, klänge ein jeder von uns wie ein sabberndes brabbelndes Baby. Niedlich zwar, aber wenig sinnvoll für die Verständigung.

Der Vorteil an der Kombination der beiden ist unübersehbar. Es lässt sich damit beinahe jedes Wort so niederschreiben, dass der Nachbar es phonetisch reproduzieren kann. (wir lassen hier einmal kultur- und dialektbedingte Unterschiede in der Aussprache ausser Acht)

Ein weiterer, oft vernachlässigter Vorteil dieses Systems ist die Möglichkeit, neue Worte zu erfinden, die wiederum andere direkt lesen und aussprechen können. Und durch Ableiten von Wortähnlichkeiten können sie in diesen neuen Begriffen sogar oftmals sofort Sinn erkennen. “Fluxkompensator” beispielsweise. Dieser scheint einen irgendwie gearteten Fluss auszugleichen. Vielleicht weiss man zunächst nicht mehr als das, ist aber zumindest schon einmal darüber informiert, dass es sich mit großer Wahrscheinlichkeit nicht um ein Frühstücksei handelt.

Ein Nachteil des Buchstaben-Reigens ist die absolute Notwendigkeit, jeden Ton durch einen Alphabet-Teilnehmer repräsentieren zu lassen. Das führt dann gerne mal zu Bandwürmern wie diesem hier: “Suppenlöffelstielholz”. Das erfahrene Plappermaul sieht hier 4 Wörter in einem. Der weniger erfahrene hingegen muss sich durch 21 aneinander gereihte Buchstaben kämpfen. Und beide bekommen leichte Verspannungen im Handgelenk, wenn sie das Wort zehnmal aufschreiben sollen.

Unser Herr Li hat hier ebenso wie Herr Nakamura und andere Mitspieler des Linguistik-Clubs “Welt SüdOst” ein anderes System erdacht. Kaya Yanar würde es sicherlich als “Guckst Du, dann weisst Du” bezeichnen und träfe mitten in die schwarze Tinte. Nun, wenn man denn weiss, wie man gucken muss.

Die chinesischen Schriftzeichen sind von der Grundidee her weniger abstrakt als unser Alphabet, da sie Logogramme, also Wortbilder sind. Höhlenmalerei deluxe sozusagen. Im Laufe der Jahrtausende haben diese Logogramme jedoch eine ganze Reihe an Schriftreformen und optischen Vereinfachungen hinter sich. Die heute verwendeten Symboliken sind für das ungeübte Auge kaum mehr als Wortbilder zu erkennen. Natürlich liegt das auch daran, dass man die historische Genese der Kombinationslogik verschiedener Symbole nicht kennt oder nachvollziehen kann. Manches jedoch ist so bestechend einfach, dass man sich ein Schmunzeln nicht verwehren kann.

Ein Beispiel:

Chinese character: womanDas Wort für ‘Frau’ oder ‘weiblich’ lautet ‘nǚ’. Das dazugehörige Symbol sieht so aus:

Man muss sich das jetzt wie eine auf dem Boden kauernde Frau vorstellen, ein Knie angewinkelt auf dem Boden, ein Knie aufrecht. Den Arm auf dem aufrechten Knie und den Kopf verträumt darauf gelegt. Es ist schon erstaunlich, wieviel Romantik-Kitsch in vier Strichen liegen kann, die ohne dieses Wissen maximal als ‘Gekritzel’ gelten würden.

Chinese chracter: childEines der Begriffe für ‘Kind’ lautet ‘zi’ und der Wortstamm schreibt sich wie folgt:

Zu diesem Zeichen habe ich die historische Grundlage nie gesehen, aber ich stelle es mir wie eine Seitenansicht eines Kindes vor. Mit zu großem Kopf, unten die Füße und dabei die Arme ausgestreckt, weil es noch wackelig auf den Beinen ist.

So, und jetzt wird’s lustig.

Chinese character: goodDas chinesische Wort für ‘gut’ lautet ‘hao’. Das dazugehörige Symbol ist dieses:

Wie unschwer zu erkennen ist, hat es der Worterfinder also als ‘gut’ empfunden, wenn man Frau und Kind hat. Eine leicht nachvollziehbare Kreation. Und hier beginnt man zu verstehen, wie Logogramme funktionieren. Die beiden Zeichen sind übrigens etwas gequetscht, da sie zusammen nicht zwei, sondern ein einziges Symbol bilden und die quadratische Maximalfläche eines Zeichens einhalten müssen.

Chinese character: peace

Und nun mein heimliches Highlight – das Wort für Stille oder Frieden. Ausgesprochen wird es “ān” und das zugehörige Symbol ist dieses:

Man erkennt es eigentlich sehr leicht. Über der jungen Dame befindet sich ein Dach und damit weiss man gleich was los ist: verträumte Frau zuhause = Ruhe & Frieden. Fragt sich nur, ob der Mann seinen Frieden gefunden hat, weil er gemeinsam mit einer Frau zuhause ist oder weil er Baijio kippend in der nächsten Spelunke hockt und Madame hinterm Herd steht und somit keinen Stress macht. Aber hier interpretieren wir vielleicht zu viel.

Natürlich sind nicht alle Wörter so leicht zu verstehen. ‘Bruttosozialprodukt’ etwa dürfte deutlich schwieriger herzuleiten sein. Dennoch KANN man sie alle herleiten. Und wenn man das erstmal weiss, ist so ein fernöstliches Logogramm auch gleich viel sympathischer. Vielleicht sogar sympathischer als ein Haufen Konsonanten und Vokale.

Einzig die Aussprache will schwerlichst erlernt werden. Hinweise in den Zeichen gibt es nur versteckt. Und gänzlich neue Begriffe zu erfinden ist enorm schwierig. Man muss Herleitungen finden, die in dieser Kombination nicht aus Versehen ein anderes der tausenden existierenden Symbole darstellen. Vor einigen Jahren war es in China Trend, für den Nachwuchs einzigartige Namen zu finden. Sprachexperten wurden teuer bezahlt, um nie dagewesene Schriftzeichen zu erdenken. So konnte man etwas aus der Masse der Millionen anderen Lis, Zhangs und Zhus herausstechen.

Viele dieser Kinder leiden heute unter der Tatsache, dass nicht nur niemand ohne Nachfrage ihren Namen aussprechen kann. Sie stehen zudem vor einem viel größeren Problem: Die besonderen Schriftzeichen sind in keinem Computer-Sprachschatz enthalten. Damit können sie nirgendwo ihren Namen angeben, wo er elektronisch erfasst werden soll. Und so werden die teuer erkauften Einzigartigkeiten wieder aufgegeben, und man sucht sich bekanntere Schreibweisen oder ändert gleich den ganzen Namen.

Sich ein unbekanntes, aber standardmäßiges Symbol zu erarbeiten ist übrigens nicht unmöglich. Dafür gibt es extra ein Lexikon-System, aber das ist eine andere Geschichte und soll ein andernmal erzählt werden.

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