Morgens um Acht…

November 6th, 2009

“Und was wollen Sie jetzt damit erreichen”?

Frau Müller (Name von der Redaktion geändert) blickt prüfend mit leicht forderndem Blick durch die verwinkelte Glasscheibe, die ihrem Gesicht einen grünlichen Ton verleiht. Ein wenig kalt ist es im Konsular-Zimmer 10 der deutschen Botschaft. Der kühle Lufthauch der Autorität.

Das offizielle Schriftstück des Einwohnermeldeamtes Hamburg Wandsbek hängt wie eine stinkende Makrele zwischen Frau Müllers spitzen Fingern. ABMELDEBESCHEINIGUNG steht am oberen Rand. 24 Punkt Versalien, Courier New Regular Schriftschnitt. Hübsch ist das nicht, aber immerhin so deutlich lesbar, als wäre es die Schlagzeile der BILD. Wie zum Nachdruck hält Frau Müller das A4 Blatt nach Deutscher Industrie Norm hoch, damit der Bittsteller auf der falschen Seite des Schalters auch ganz sicher weiss, um was sich die Frage dreht.

Weggestempelt und verzogen“Ich möchte nur meiner Pflicht genüge tun”. erwidert dieser und ist ein wenig verwirrt. Aber etwas in der nach verstaubten Akten klingenden Formulierung scheint zu Frau Müller durchzudringen und ihr Ablageherz zu berühren. Ihr Mund strebt die Form eines stilisierten Paragraphenschlüssels an: “Na, dem wollen wir uns natürlich nicht entgegenstellen”. Sprachs leicht schnippisch und verschwand in den tiefen Tunneln der Gesetzgebung.

Dummer Spruch, dumme Antwort. Und diesmal hat’s sogar was geholfen. Nach klassischen deutschen 7 Minuten, die ein ordentliches Bier benötigt ist sie wieder zurück. Ohne Schriftstück aus der Hansestadt, dafür mit einem neu verstempelten Pass: “Wohnort amtlich geändert in Peking / VR China” – Zack, Ummeldung erledigt.

Da hätte man sich die 5min Diskussion im Vorfeld auch sparen können. Die Kollegin in Hamburg hatte gesagt, ich müsse das hier vorzeigen, um offiziell gemeldet zu sein. Dass Frau Müller das nun nicht sonderlich gut in den Kram passt tut mir ja auch irgendwie leid, aber Ordnung muss sein. Insbesondere in Amtsangelegenheiten.

Mir war es natürlich nicht neu, dass ich in Peking wohne. Dennoch fällt einem erstmal eine der genormten Schrauben aus der Reishutkrempe, wenn man es Schwarz auf Weiss liest. Gut, eigentlich Stempelblau auf RotGrünTürkisKrisselkram, aber das ändert nichts an der Schockfrost-Erkenntnis: Ich bin zwar noch Deutscher, aber so richtig grad auch nicht mehr wirklich. Zumindest wirkt es so. Daran ändert sogar diese fröhliche Mädchenschrift nichts, mit der das Datum darüber gekringelt wurde. Sie gehören nicht mehr zu uns, einen schönen Tag auch noch.

Aufm AmtBeim Verlassen der Stube wirkt die Welt oder zumindest erstmal das lokale deutsche Amt verändert. Die erwachende Sonne sticht durch die Fenster und taucht die Szenerie in das warme Licht der Unschuld als sei nichts geschehen. Der Wohnsitz hat den schwarzen und goldenen Balken verloren, sonst war ja auch nichts. Ich müsste das eigentlich kennen, immerhin habe ich alle drei Balken schon einmal gegen rot-weisse Streifen und Sterne auf blauem Grund eingetauscht, aber das hier fühlt irgendwie anders an. Mein kleiner Herr Vorurteil ist offenbar bei bester Laune.

Mit meiner veränderten Wahrnehmung blicke ich mich um. Eigentlich ist die Botschaft hier faktisch sowas wie das deutsche Einwohnermeldeamt. Und dennoch: nicht nur vor den Schaltern, sondern auch dahinter sieht man praktisch nur Chinesen. (Ich glaube im Gegenzug jedoch nicht, dass man in der chinesischen Botschaft in Deutschland entsprechend fast nur Deutsche antrifft. Eine Schief-Lage, die Rätsel aufgibt)
Das Wort ‘Ausländerbehörde’ drängt sich auf. Wie die Hühner auf der Stange sitzt hier in zwei Reihen die Klientel. Zumeist zwecks Visums-Beantragung. “Nur nach vorheriger Terminabsprache” wie man sowohl vor Ort, als auch auf der entsprechenden, sogar sehr informativen Website lesen kann. Das heisst, der Andrang ist kontrolliert. Ohne Termin kein Einlass in die heilige Halle. Und draussen nur Kännchen. Ich sags ja: Ordnung muss sein.

DSC04654Die Stimmung verheisst durchweg eine diffuse Mischung aus Unbehagen und Verunsicherung. Im Gegenzug ist es auf den Ämtern in Deutschland eher ein scharf profiliertes Gefühl von Genervtheit. Zumindest auf den Ämtern FÜR DEUTSCHE. Wenn man im Ausland in seiner eigenen Botschaft sitzt, kann man dagegen erstmals nachvollziehen, was Achmed, Igor und Karim bei uns dort aushalten müssen, wohin wir Deutschen normalerweise niemals gehen. Wer Menschen kennt, die Begriffe wie “Bleiberecht” und “Einbürgerung” kennen und nutzen müssen, der hat die Geschichten bereits gehört, aber sicherlich niemals wirklich verstanden. Und vielleicht sogar nicht so recht geglaubt.

Mit deutschem Pass ist man hier jedenfalls offenkundig in der Minderzahl und wird von allen beäugt. Ein ungewolltes Gefühl der Überheblichkeit macht sich breit, wenn man an den Massen vor dem Tor vorbei schreiten und ohne Zögern eintreten kann. Eingang Nord Deutsche Botschaft PekingZwei der zehn Schalter sind für Konsularangelegenheiten und damit sozusagen exklusiv für Deutsche. Wieder eine Schnellspur. Die Geschwindigkeit und vermeintliche Problemlosigkeit, die den Staatsbürger bei seinen Erledigungen hier begleitet, wirft deutlich Neid in die Augen der übrigen Anwesenden. Ein Schengen-Bürger! Hat der’s gut. Und damit haben sie sogar recht.

Bewaffnet mit Bergen an Papier warten sie hier darauf, ihr Anliegen vorbringen zu können. Um anwesend sein zu dürfen, mussten sie sich bereits im Vorfeld ordentlich informieren, Dokumente lesen, Telefonate führen, Passbilder machen und von Li zu Confuzius laufen, um auch das letzte Papier zu besorgen, das als Voraussetzung für den eigenen Fall notwendig ist. Und notwendig sind viele. Und nie weiss man, ob man alles korrekt gemacht hat. Einen Infoschalter gibt es nicht. Das Warten kann recht lang werden. Und machmal stellt man dann am Schalter fest, dass man doch etwas vergessen hat. Und dann ist man auch schon unangenehm aufgefallen. Das mindert die Chancen auf einen Visumzuspruch. Spätestens hier stolpert man über die Tatsache, dass die eigene Heimat es offenbar sehr wert ist, beschützt zu werden.

Wir Bundesbürger haben es sehr leicht in der Welt. Kaum irgendwo benötigen wir ein aufwändig zu besorgendes Visum. Und selbst wenn dem so ist: Niemals wird uns unterstellt, wir könnten dem ausstellenden Staat finanziell zur Last fallen wollen, weil wir aus einem armen Land kommen und ergo allein deswegen verdächtig sind.

“Oh, Sie sind Deutscher”? Der Gesichtsausdruck, der mit diesem Ausruf verbunden ist, ist ein anderer als man denkt. Nicht die europäische Furcht vor dem pauschalreisenden Kegelklub begleitet ihn. Sondern ein erstaunliches Maß an Anerkennung für Gelbe Scheinwerferdie Leistungen, die die Großeltern- und Elterngeneration erbracht hat. Das Label “Made in Germany” hat noch immer große Strahlkraft. Und das zu recht. Um das zu erkennen muss man jedoch erstmal weit weg sein.

Wer maximal bis Spanien oder Dänemark reist, der weiss überhaupt nicht zu schätzen, was die EU möglich gemacht hat. Wir haben uns daran gewöhnt, mal eben den Ryan Air Flieger nach Churchills Heimat zu besteigen oder den ICE ins ehemalige Deutschland nach Stalins Ideologie zu nehmen. Viele Menschen wissen nicht einmal mehr, weshalb die alten französischen PKWs gelbe Schweinwerfer haben. Der Krieg ist lange her und Europa zu einem Reisetraum geworden.
Aber selbst wer die Untiefen von Pass- und Visumsbeantragungen durchlaufen muss, ist mit dem Bundesadler immer auf der Sonnenseite. Auch wenn man das manchmal nicht glauben mag.
In der deutschen Botschaft
Ein Chinese, der hier sitzt und nach Deutschland, bzw. in die EU reisen möchte, muss sogar schriftlich über sich ergehen lassen, dass er ein potenzieller Schädling ist. “Ich reise nicht ein, um zu heiraten, kann meinen Unterhalt für die Aufenthaltsdauer selbst bestreiten oder einen nationalen Bürgen vorweisen und werde die EU zum angegebenen Termin wieder verlassen”.
Wer sowas unterschreibt, muss sich fragen, ob das mit diesem ominösen Paragraphen 1 vereinbar ist, von dem man irgendwo gehört hat. Der soll irgendwas über Menschenwürde sagen. So genau weiss man das nicht, denn im eigenen Land gibt es so einen Eintrag von vorn herein nicht. Willkommen fühlen kann sich ein Mensch auf diese Weise nicht. Da wirken die an den Wänden hängenden Werbeposter mit Claudia Schiffer, dem FC Bayern und dem Kölner Dom wie die Karotte vor Esels Nase.

Dem Schengenbürger, der die Botschaft mit dem noch feuchten Stempel des Wegzuges im Pass verlässt, schwirrt der Kopf vor lauter Fragen zu Recht und Unrecht. Er nimmt sich zumindest vor, in Zukunft weniger zu meckern.

Und er hofft, nicht allzu oft hierher kommen zu müssen. Denn das nervt ungemein und freundlich sind sie nun auch nicht unbedingt. SOWAS von unmöglich aber auch…

Alte Gewohnheiten sind halt zäh.

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